Sie hatte gerade ihre Kinder in die Schule gebracht und wollte wieder nach Hause fahren. Da wurde Miriam López gepackt, gefesselt und verschleppt. Erst dachte sie an Kidnapping, doch als man ihr die Binde von den Augen nahm, befand sie sich auf einem Militärgelände. Dort erlebte sie einen Alptraum, der sieben Tage dauern sollte. Lopez wurde mit Elektroschocks gefoltert und mehrfach vergewaltigt. Die Militärs warfen ihr vor, Marihuana zu schmuggeln. Als sie abstritt, ging die Folter weiter: «Die Tür wurde geöffnet und sie legten mir ein nasses Tuch auf das Gesicht. Ich bekam kaum noch Luft. Dann gossen sie Wasser über mein Gesicht, es war in meinem Mund, meiner Nase. Ich wollte aufstehen, aber sie drückten mich zu Boden, quetschten mir den Bauch und stellten immer dieselben Fragen.»
Lopez war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und wurde so Opfer eines militärischen Einsatzes gegen kriminelle Banden. Und – sie ist kein Einzelfall. Gewalt ist in Mexiko omnipräsent. Seit 2006 haben die Sicherheitskräfte mehr als 43.000 Verdächtige verhaftet. Viele von ihnen wurden nie dem Staatsanwalt vorgeführt, sondern direkt verschleppt und «verhört». Seit sechs Monaten ist der neue Präsident Enrique Peña Nieto nun im Amt. Bislang gibt es allerdings kaum Anzeichen, dass er dem Schutz der Menschenrechte eine grössere Priorität einräumt als sein Vorgänger Calderon.
Regierungen setzen Folter gezielt ein
Im vergangenen Jahr wurde in 112 Staaten gefoltert. Zahlreiche Regierungen setzen Folter gezielt und systematisch gegen ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger ein. Folter wird zur Bestrafung angewandt, zur Erpressung von Geständnissen, zur Erniedrigung oder zur Einschüchterung. Gefoltert wird mit Schlägen, mit Elektroschocks, durch Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch. Menschen werden zur Folter an Händen oder Füssen aufgehängt, fast zum Ersticken gebracht, mit dem Tod bedroht oder bis zum Ertrinken in eiskaltes Wasser getaucht.
Doch auch Misshandlungen wie lange Einzelhaft, regelmässiger Schlafentzug, die unablässige Einwirkung von grellem Licht oder lauter Musik, stundenlanges Verharren in Stresspositionen oder etwa das Überstülpen von Kapuzen gelten als Folter, wenn sie über einen längeren Zeitraum angewandt werden. All diese Methoden wurden auch im sogenannten «Krieg gegen den Terror» durch die USA und ihre Verbündeten verwendet.
Alle Formen von Folter und Misshandlung sind ein Angriff auf die Persönlichkeit und die Menschenwürde des Opfers. Sie zerstören den Kern der menschlichen Würde und hinterlassen seelische Traumata, die lange über die körperlichen Schmerzen und Verletzungen hinaus andauern.
Straffreiheit für die Täter
Das Verbot der Folter ist eines der Menschenrechte, die absolut und ohne Ausnahme gelten. Neben der Antifolterkonvention von 1984 verbieten auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das geltende Völkerrecht und das Kriegsrecht alle Formen von Folter und Misshandlung Folter ist selbst in Notsituationen und in bewaffneten Konflikten nicht erlaubt. Hinter dem absoluten Verbot von Folter und Misshandlung steht ein weltweiter ethischer Konsens, dass solche Methoden verabscheuungswürdig und unmoralisch sind.
Die Geschichte zeigt, dass die Anwendung von Folter niemals begrenzt ist. Wenn ein Staat Folter in eng umgrenzten Ausnahmefällen zulässt, ist das Tor zu einem System institutionalisierter Folter geöffnet. Wer den Einsatz von Folter oder Misshandlung in einer spezifischen Situation gestattet, etwa um ein Bombenattentat zu verhindern, wird bald auch Menschen foltern, die ein Bombenattentat planen könnten, oder die jemanden kennen, der ein Bombenattentat plant. Informationen, die unter Folter erzwungen sind, sind wertlos. Sie können wahr, halb wahr oder erfunden sein – nur damit die Qualen aufhören.
Folterer werden selten bestraft. Von dieser Straflosigkeit geht die Botschaft aus, dass Folter – obwohl verboten – toleriert wird. Deshalb setzt sich Amnesty International dafür ein, dass alle Staaten ihre internationalen Verpflichtungen einlösen, Folter zu verhüten und zu bestrafen, ganz gleich ob sie von Amtsträgern oder anderen Personen verübt werden.
St Galler Tagblatt 26. Juni 2013 von Alexandra Karle
26. Juni: Internationaler Tag zur Unterstützung von Folteropfern (an diesem Tag trat 1987 die Uno-Konvention gegen Folter in Kraft)