Neue Gräber bei der St. Georges-Kirche in Kobo, in der Amhara-Region in Äthiopien. Amnesty hat dokumentiert, wie tigrayische Streitkräfte dort Anfang September 2021 Dutzende von Zivilist*innen getötet haben. © private
Neue Gräber bei der St. Georges-Kirche in Kobo, in der Amhara-Region in Äthiopien. Amnesty hat dokumentiert, wie tigrayische Streitkräfte dort Anfang September 2021 Dutzende von Zivilist*innen getötet haben. © private

Äthiopien TPLF-Kämpfer morden, vergewaltigen und plündern in Amhara-Region

Medienmitteilung 16. Februar 2022, London/Bern – Medienkontakt
Kämpfer der der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) haben in der nordäthiopischen Region Amhara in Racheakten Dutzende Menschen getötet sowie Frauen und Mädchen vergewaltigt. Dies zeigt ein neuer Bericht von Amnesty International.

Die TPFL hat in der nordäthiopischen Region Amhara Dutzende Menschen gezielt getötet und sowohl privates als auch öffentliches Eigentum geplündert. Ausserdem fielen zahlreiche Frauen und Mädchen – einige von ihnen erst 14 Jahre alt – Massenvergewaltigungen zum Opfer. Dies geht aus einem Bericht von Amnesty International hervor.

Die Gräueltaten wurden Ende August und Anfang September 2021 in und um die Orte Chenna und Kobo verübt. Kurz zuvor, im Juli, hatte die TPFL die Kontrolle über diese Gebiete übernommen. Die Angreifer gingen mit äusserster Brutalität vor. Häufig bedrohten sie die Betroffenen mit dem Tod, beschimpften und erniedrigten sie. Das Vorgehen der TPLF gegen die Zivilbevölkerung in Kobo ist als Vergeltungsmassnahme für den zunehmenden Widerstand durch örtliche Milizen und bewaffnete Einwohner*innen zu sehen.

«Die tigrayischen Kräfte haben die grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts missachtet, die alle Konfliktparteien befolgen müssen. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die TPLF seit Juli 2021 in den von ihr kontrollierten Gebieten in der Amhara-Region Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht. Dazu gehören zahlreiche Vergewaltigungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Plünderungen – sogar von Krankenhäusern», sagte Sarah Jackson, stellvertretende Regionaldirektorin für Ostafrika bei Amnesty International. «Die TPLF-Führung muss den von uns dokumentierten Gräueltaten sofort ein Ende setzen und alle Personen aus ihren Reihen entfernen, die im Verdacht stehen, an solchen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein.»

Rechtswidrige Tötungen

In Kobo, einer Stadt im Nordosten der Amhara-Region, töteten tigrayische Kämpfer vorsätzlich unbewaffnete Zivilpersonen – offenbar aus Rache für eigene Verluste, die ihnen Amhara-Milizen und bewaffnete Bauern zugefügt hatten. Amnesty International befragte 27 Zeug*innen und Überlebende des Angriffs, darunter auch einige die geholfen hatten, die Getöteten zu bergen und begraben.

In Kobo, einer Stadt im Nordosten der Amhara-Region, töteten tigrayische Kämpfer vorsätzlich unbewaffnete Zivilpersonen – offenbar aus Rache für eigene Verluste.

Die Befragten berichteten, wie TPLF-Kämpfer am Nachmittag des 9. September 2021 ihre Verwandten und Nachbar*innen vor deren Häusern getötet hatten. Später hätten sie die Toten auf dem Gelände der St. George's Church und der St. Michael's Church begraben. Mit diesen Angaben stimmt auch eine spätere Analyse von Satellitenbildern der besagten Orte durch das Crisis Evidence Lab von Amnesty International überein, auf denen Spuren von neu angelegten Grabstätten zu erkennen sind.

Die vorsätzliche Tötung von Zivilpersonen – oder von gefangenen, sich ergebenden oder verwundeten Kämpfer*innen – stellt ein Kriegsverbrechen und möglicherweise ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

Sexualisierte Gewalt

Das Dorf Chenna liegt nördlich von Bahir Dar, der Hauptstadt der Amhara-Region. Dort vergewaltigten TPLF-Kämpfer ab Juli 2021 Dutzende Frauen und Mädchen, einige von ihnen erst 14 Jahre alt. Häufig drangen sie in die Häuser ihrer Opfer ein und zwangen diese vor der Tat, für sie zu kochen.

Vierzehn der 30 von Amnesty International befragten Überlebenden gaben an, von mehreren tigrayischen Kämpfern vergewaltigt worden zu sein, einige sogar vor den Augen ihrer Kinder.

Die sexualisierten Übergriffe wurden mit schockierender Brutalität verübt. Die Betroffenen wurden geschlagen, mit dem Tode bedroht und rassistisch beleidigt. Vierzehn der 30 von Amnesty International befragten Überlebenden gaben an, von mehreren tigrayischen Kämpfern vergewaltigt worden zu sein, einige sogar vor den Augen ihrer Kinder. Sieben der Überlebenden waren Mädchen unter 18 Jahren.

Viele der Überlebenden erlitten schwere und langfristige körperliche und psychische Schäden. Zehn von ihnen lagen noch drei Monate nach der Vergewaltigung im Krankenhaus. Einige der behandelnden Ärzt*innen berichteten Amnesty International, dass zwei Überlebende wegen Risswunden behandelt werden mussten, die offensichtlich von Bajonetten stammten, die ihnen in die Genitalien eingeführt worden waren.

Amnesty International hat bereits ähnliche Muster von Vergewaltigungen an Amhara-Frauen und -Mädchen durch tigrayische Kämpfer in Nifas Mewcha dokumentiert. Auch aus anderen Gebieten der Amhara-Region erhielt die Menschenrechtsorganisation glaubwürdige Berichte über Vergewaltigungen. Solche Gräueltaten stellen Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. 

Plünderungen ziviler Einrichtungen

Sowohl in Kobo als auch in der Region Chenna berichteten die Bewohner*innen Amnesty International, dass die TPFK Hab und Gut aus ihren Häusern und Geschäften gestohlen haben. Auch öffentliches Eigentum, einschliesslich medizinischer Einrichtungen und Schulen, hätten sie geplündert und verwüstet.

Der Konflikt in Tigray begann im November 2020. Seit Juli 2021 breitet er sich auch in anderen Regionen in Nordäthiopien aus. Amnesty International hat zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch alle Konfliktparteien dokumentiert. Dazu gehören Massaker, aussergerichtliche Hinrichtungen und andere rechtswidrige Tötungen, sexualisierte und andere geschlechtsspezifische Gewalt sowie willkürliche Inhaftierungen durch äthiopische Regierungstruppen und verbündete Milizen sowie durch eritreische Streitkräfte, die an ihrer Seite agieren.