Cover des Berichts «We thought they would fight with those they came to fight with, not with us» – Extrajudical executions in Bahir Dar by ENDF soldiers © Amnesty International
Cover des Berichts «We thought they would fight with those they came to fight with, not with us» – Extrajudical executions in Bahir Dar by ENDF soldiers © Amnesty International

Äthiopien Armee begeht aussergerichtliche Hinrichtungen in Amhara

26. Februar 2024
Äthiopische Streitkräfte (Ethiopian National Defense Forces – ENDF) haben 2023 in der Hauptstadt der Amhara-Region Zivilpersonen aussergerichtlich hingerichtet. In einigen dieser Fälle verweigerten sie Familienangehörigen das Recht, ihre Angehörigen zu beerdigen, schreibt Amnesty International in einem neuen Bericht.

Amnesty International dokumentiert in einem neuen Bericht mehrere aussergerichtliche Hinrichtungen in der äthiopischen Amhara-Region. Der Bericht «We thought they would fight with those they came to fight with, not with us» – Extrajudical executions in Bahir Dar by ENDF soldiers. (PDF, 19 pages) schildert, wie ENDF-Soldat*innen im August und Oktober 2023 in mehreren Vierteln von Bahir Dar, der Hauptstadt der Region Amhara, Zivilpersonen getötet haben.

Die Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen während des Konflikts in der Amhara-Region sind schwierig, da das Internet seit Monaten abgeschaltet ist und andere Kommunikationswege immer wieder unterbrochen werden. Seit August 2023 ist zudem ein weitreichender Ausnahmezustand in Kraft, der die Meinungs- und Pressefreiheit einschränkt und zu Verhaftungen von Journalist*innen und Regierungskritiker*innen führt.

Tigere Chagutah, Regionaldirektor von Amnesty International für das östliche und südliche Afrika sagte: «Die systematische Straflosigkeit in Äthiopien macht es Täter*innen leicht, immer weiter Verbrechen zu begehen. Es gibt keine unabhängige Justiz und keine Konsequenzen für schwere Straftaten, auch nicht gegen solche, die Verbrechen gegen das Völkerrecht darstellen. Dieser weit verbreiteten Straflosigkeit muss ein Ende gesetzt werden. Die äthiopischen Behörden müssen dafür sorgen, dass die Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverbrechen, die seit Ende 2020 von der ENDF und verbündeten Kräften begangen werden, untersucht und vor Gericht gebracht werden.»

Aussergerichtliche Hinrichtungen in Abune Hara, Lideta und Seba Tamit

Mehr als ein Jahr nach Ende der Kämpfe in Tigray verletzen die ENDF dem Bericht zufolge weiterhin die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht. Am 8. August 2023 richteten die ENDF während Kampfhandlungen sechs Zivilpersonen aussergerichtlich hin – dies dokumentierte Amnesty International in den Vierteln Abune Hara und Lideta im Stadtteil Kebele 14 von Bahar Dar. Nach Angaben von Augenzeug*innen und Familienangehörigen wurden die Opfer durch Schüsse aus nächster Nähe getötet.

Im Oktober brachen in anderen Stadtteilen von Bahir Dar Kämpfe aus, hauptsächlich in Seba Tamit. In diesem Zusammenhang haben die ENDF am 10. und 11. Oktober sechs weitere Männer hinrichtetet, darunter mindestens fünf Zivilpersonen. Unter den Getöteten war auch ein Patient eines Gesundheitszentrums. Im selben Gesundheitszentrum schlugen und bedrohten die ENDF auch medizinisches Personal mit vorgehaltener Waffe.

In der gleichen Gegend richteten ENDF-Soldat*innen am Morgen des 11. Oktober drei Brüder und eine*n Nachbar*in aussergerichtlich hin. Nach Angaben von Angehörigen hatten die ENDF einer Familie zunächst verboten, die Leichen zu bergen, so dass sie warten mussten, bis die Soldat*innen abgezogen waren.

«Es ist an der Zeit, Äthiopien wieder in den Blickpunkt der regionalen und internationalen Öffentlichkeit zu rücken. Die Partner*innen des Landes, einschliesslich Mitglieder des UNO-Menschenrechtsrates, müssen unverzüglich Massnahmen zur erneuten Überprüfung der Menschenrechtslage in Äthiopien ergreifen. Ausserdem müssen sie ein Verfahren dafür etablieren, wie sie mit den Ergebnissen der Internationalen Expert*innenkommission für Menschenrechte in Äthiopien (ICHREE) weiterarbeiten wollen», sagte Tigere Chagutah,

Hintergrund

Im August 2023 ist in der Region Amhara ein nationaler bewaffneter Konflikt zwischen der ENDF und der Fano-Miliz ausgebrochen. Die jetzt verfeindeten, früheren Verbündeten hatten zuvor gemeinsam in der nordäthiopischen Region Tigray gekämpft. Zu den Kämpfen kam es nach dem Abkommen über die Einstellung der Feindseligkeiten zwischen der äthiopischen Regierung und der Volksbefreiungsfront Tigray im November 2022 und dem Beschluss der äthiopischen Regierung im April 2023, regionale Spezialeinheiten in die Streitkräfte Äthiopiens zu integrieren. Aus Verärgerung über diese Entscheidung schlossen sich Mitglieder des Sondereinsatzkommandos der Polizei Amhara der Fano-Miliz an.

Am 4. August 2023 verhängte die äthiopische Regierung aufgrund der zunehmenden Gewalt in der Region Amhara einen landesweiten sechsmonatigen Ausnahmezustand, der am 2. Februar 2024 um weitere vier Monate verlängert wurde.