Am 27. Dezember 2014 riegelten kamerunische Sicherheitskräfte im Rahmen einer Fahndungsoperation die Ortschaften Magdeme und Doublé im Bezirk Mayo-Sava in der Region Extrême-Nord ab. Sie nahmen mehr als 200 Männer und Jungen willkürlich fest. Noch in der Nacht starben mindestens 25 Männer im Gewahrsam. 45 Personen wurden am nächsten Tag in das Gefängnis von Maroua verlegt. Seither sind wegen schlechter Haftbedingungen drei der Inhaftierten gestorben. Von den restlichen mehr als 130 Jungen und Männern fehlt seitdem jede Spur.
Unerträgliches Schweigen
«Die kamerunischen Behörden müssen sich für das Schicksals dieser Jungen und Männer verantworten. Für die Familien, die schon so lange auf Nachricht von ihren 'verschwundenen' Angehörigen warten, wird das beharrliche Schweigen der Regierung immer unerträglicher», so Alioune Tine, Regionaldirektor von Amnesty International für West- und Zentralafrika. «Kamerun darf Menschenrechtsverletzungen nicht länger mit dem Kampf gegen Boko Haram rechtfertigen.»
Bei der Fahndungsoperation im Dezember 2014 wurden zudem mindestens neun Zivilpersonen rechtswidrig von Sicherheitskräften getötet, darunter auch ein Kind. Darüber hinaus wurden mehr als 70 Häuser und andere Gebäude zerstört.
Amnesty International betrachtet die mehr als 130 nach wie vor «verschwundenen» Jungen und Männer als Opfer des Verschwindenlassens. Dies stellt ein völkerrechtliches Verbrechen dar. Kamerun muss den Verbleib dieser Jungen und Männer umgehend offenlegen und sicherstellen, dass eine unabhängige, gründliche und wirksame Untersuchung der Fälle von Verschwindenlassen eingeleitet wird. Die Verantwortlichen müssen in fairen Verfahren ohne Rückgriff auf die Todesstrafe vor Gericht gestellt werden.
Amnesty International hat eine Liste mit den Namen aller «Verschwundenen» erstellt und sie an den kamerunischen Verteidigungsminister, an den Justizminister und an den Militäreinsatzleiter im Norden des Landes weitergeleitet. Die Familien der «Verschwundenen» haben jedoch nach wie vor nichts von den Behörden gehört.
«Wir wissen einfach nicht mehr weiter»
Eine Frau, deren Mann und zwei Söhne bei dem Einsatz «verschwanden», sagte gegenüber Amnesty International: «Wir wissen einfach nicht mehr weiter. Ich war schon achtmal beim Gefängnis von Maroua. Wir brauchen Hilfe. Die Behörden müssen uns sagen, wo unsere Angehörigen sind.»
Ein Augenzeuge beschrieb den Einsatz der Sicherheitskräfte, bei dem die mehr als 130 Jungen und Männer festgenommen worden waren, folgendermassen:
«Wir hörten überall Schüsse. Alle haben sich gefragt, was los ist. Überall waren plötzlich Soldaten. Dann nahmen sie einige der Männer, zogen sie aus und schlugen auf sie ein. Anschliessend durchsuchten sie die Häuser nach weiteren Personen. Dann trieben die Soldaten alle zusammen und luden sie in ihre Kleinlaster. Wir suchten überall nach ihnen, konnten sie aber nicht finden.»
Den Behörden zufolge waren die 25 Männer und Jungen, die im Gewahrsam starben, in einer provisorischen Zelle der Polizeistation von Maroua in der Region Extrême-Nord inhaftiert. Ihre Familien haben nie eine offizielle Bestätigung über deren Tod erhalten und auch keine Informationen über die Todesursache, die Todesumstände oder den Ort, an dem ihre Angehörigen begraben wurden.
Verantwortliche müssen zur Rechenschaft gezogen werden
Im März 2015 kündigten die Behörden eine interne Untersuchung der Todesfälle an, die im Verteidigungsministerium durchgeführt werden sollte. Die Untersuchungsergebnisse sind nie öffentlich gemacht worden und nur eine Person muss sich bisher vor Gericht verantworten: Oberst Zé Onguéné Charles, der Leiter der Gendarmerie in der Region Extrême-Nord. Die Anklage gegen ihn beschränkt sich jedoch auf «Fahrlässigkeit und Verstoss gegen die Haftregelungen».
Amnesty International hat weitere 17 Fälle mutmasslichen Verschwindenlassens in der Region Extrême-Nord dokumentiert. Hierbei handelt es sich um Personen, die verdächtigt wurden, Boko Haram zu unterstützen. Sie «verschwanden» zwischen Juni 2014 und Juni 2016.
«Die Behörden müssen die Ereignisse in Magdeme und Doublé gründlich und unparteiisch untersuchen und dafür sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Ausserdem müssen die Familien der Betroffenen umfassend und effizient entschädigt werden», betont Alioune Tine.
Hintergrundinformationen: Kameruns Kampf gegen Boko Haram
Seit Ende 2013 kommt es im Norden Kameruns immer wieder zu Angriffen durch die bewaffnete Gruppe Boko Haram. Zwischen Juli 2015 und August 2016 verübte Boko Haram mehr als 200 Anschläge, bei denen mindestens 500 Menschen getötet wurden. Bei fast 40 dieser Anschläge handelte es sich um Selbstmordattentate.
Für ihren Kampf gegen Boko Haram hat die kamerunische Regierung mindestens 2000 Truppen der Schnellen Eingreiftruppe (Bataillon d'Intervention Rapide BIR) sowie mobile Einsatzkräfte des Bataillon d'Intervention Mobile (BIM) in der Region Extrême-Nord stationiert.
Einerseits spielen die Sicherheitskräfte eine wichtige Rolle beim Schutz der Bevölkerung vor Anschlägen durch Boko Haram. Gleichzeitig begehen sie jedoch selbst vielfach Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Festnahmen, exzessive Gewaltanwendung, aussergerichtliche Hinrichtungen, rechtswidrige Haft, Haft ohne Kontakt zur Aussenwelt sowie Folter und Verschwindenlassen.
Eine neue Amnesty-Kampagne setzt sich für die Menschenrechte von Personen ein, die zwischen den Fronten stehen und die einerseits Opfer von Menschenrechtsverstössen durch Boko Haram werden, andererseits aber auch Menschenrechtsverletzungen durch die kamerunischen Behörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen Boko Haram ausgesetzt sind.