Ein Kämpüfer der Ambazonisten-Rebellen © Jonny Pickup
Ein Kämpüfer der Ambazonisten-Rebellen © Jonny Pickup

Kamerun Wahllose Gräueltaten in englischsprachigen Regionen müssen gestoppt und untersucht werden

4. Juli 2023
In den englischsprachigen Regionen Kameruns sind Menschen im Kreuzfeuer verschiedener Akteure gefangen. Streit- und Sicherheitskräfte, Milizen und bewaffnete Separatisten sind für Morde, Vergewaltigungen und Brandstiftungen verantwortlich. Besonders besorgniserregend sind Angriffe auf Angehörige der Mbororo Fulani durch bewaffnete Separatisten. Aktivist*innen werden bedroht und willkürlich inhaftiert.

Der englischsprachige Amnesty-Bericht With or against us: the population caught between the army, armed separatists and militias in North-West Cameroon (PDF 61 pages english) deckt auf, wie bewaffnete Separatisten sowie Mitglieder von Milizen, Streit- und Sicherheitskräften in der Region Nordwest Verbrechen begehen, vor allem seit 2020. Der Bericht zeigt auch, dass Personen, die derartige Gräueltaten gegen die Bevölkerung anprangern, dringend Schutz erhalten müssen.

«Wir fordern die kamerunischen Behörden auf, die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen und Verstössen gegen innerstaatliches Recht im Kontext der Waffengewalt in den englischsprachigen Regionen zu untersuchen. Die Verantwortlichen müssen in fairen Verfahren vor unabhängigen, unparteiischen und zuständigen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden. Die Opfer dieser Verbrechen und Verstösse haben ein Recht auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachung», sagte Samira Daoud, Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika bei Amnesty International.

Die Krise in den anglophonen Regionen geht auf weitgehend friedliche Proteste in den Jahren 2016 und 2017 zurück, denen mit repressiven Massnahmen begegnet wurde. Die Protestierenden forderten damals ein Ende der Ausgrenzung der anglophonen Minderheit. Dies führte zu den anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen in den Regionen Nordwest und Südwest, wo die Bevölkerung zwischen die Fronten der verschiedenen Parteien gerät und grosser Not und tödlicher Gewalt ausgesetzt ist.

Amnesty International stattete Kamerun zwischen November 2022 und März 2023 zwei Besuche ab. Die Organisation sprach mit mehr als 100 Betroffenen, NGO-Mitarbeiter*innen, Journalist*innen und Angehörigen der kamerunischen Menschenrechtskommission CHRC. Wiederholte Anfragen nach einem Treffen mit Minister*innen wurden von der Regierung nicht beantwortet.

«Sie erschossen meine Frau und verbrannten sie zusammen mit meinen beiden Kindern»

Der Bericht von Amnesty International enthält detaillierte Schilderungen schwerer Verbrechen der bewaffneten Separatisten gegen die Bevölkerung und konzentriert sich besonders auf Übergriffe gegen die Gemeinschaft der Mbororo Fulani in der Region Nordwest.

So griffen beispielsweise am Abend des 28. März 2022 bewaffnete Separatisten eine Siedlung der Mbororo Fulani im Dorf Mbokop-Tanyi an. Amnesty International sprach mit einem Mann, der bei dem Überfall seine Frau und zwei Kinder verloren hatte. Dieser berichtete: „Die Amba Boys [Bezeichnung für die bewaffneten Separatisten] brannten mein Haus nieder, während zwei meiner Kinder und meine Frau darin waren. Sie schossen auf meine Frau und als sie am Boden lag, verbrannten sie sie zusammen mit meinen beiden Kindern, die sechs Monate bzw. sieben Jahre alt waren und im Haus schliefen.»

In den Sozialen Medien werden Angehörige der Mbororo Fulani mit diskriminierender und hetzerischer Rhetorik ins Visier genommen. Ein separatistischer Medienkanal veröffentlichte ein Interview auf Facebook, in dem ein führender Vertreter der Separatisten sagte: «Was ist falsch daran, wenn ein Ambazonist einen Mbororo tötet, der ein Angreifer ist? Er ist aus einem anderen Land nach Ambazonien, auf unser Territorium gezogen. Und [sie] greifen unsere Bevölkerung an und [sie] töten sie, brennen ihre Häuser nieder und zerstören ihre Ackerflächen. Wenn wir sie alle töten können, werden wir sie alle töten, und zwar ohne Reue.»

Milizen der Mbororo Fulani sind ebenfalls für Tötungen und die Zerstörung von Häusern in der Region Nordwest verantwortlich, in einigen Fällen mit Unterstützung oder zumindest Duldung durch kamerunische Militärangehörige. Vier Personen, mit denen Amnesty International gesprochen hat, berichteten, dass am 18. Oktober 2021 etwa 45 bewaffnete Personen, die als Angehörige der Fulani, Haoussa und Aku in Begleitung von kamerunischen Armeeangehörigen beschrieben wurden, in der Ortschaft Gheidze einfielen und dort mindestens 13 Häuser zerstörten und mindestens fünf Bewohner*innen töteten. Die Milizen waren mit Buschmessern, Stöcken, Speeren und Messern bewaffnet, und die Streitkräfte trugen Gewehre bei sich. Die Milizionäre brannten Häuser nieder, während die Armeeangehörigen in die Luft schossen und Wache standen.

Der Bericht von Amnesty International dokumentiert zudem schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Streit- und Sicherheitskräfte im Bezirk Bui in der Region Nordwest. Vertriebene Personen in Bafoussam und Douala gaben an, dass dort außergerichtliche Hinrichtungen, Vergewaltigungen und andere Formen der Gewalt gegen Frauen verübt worden seien.

Eine Betroffene berichtete: «Am 3. September 2021 kamen sie in das Dorf und verübten Gräueltaten. Sobald ich sie sah, holte ich schnell meine Tochter und wir gingen ins Haus. Wir schlossen die Tür, doch sie brachen sie auf. Sie fingen an, das Haus zu durchsuchen, und befahlen meinem Mann, sich hinzulegen... Ein Soldat vergewaltigte mich.

Dann nahmen sie mich und meine Tochter mit. Sie setzten uns in einen Wagen und steckten das Haus in Brand. Sie nahmen uns mit zu ihrem Stützpunkt. Sechs andere Frauen waren bereits dort... die jüngste war zwölf. Wir waren zweieinhalb Monate lang dort. Jeden Tag vergewaltigten sie uns, eine nach der anderen.»

Verdächtiger Einsatz ausländischer Waffen durch Separatisten

Der Amnesty-Bericht untersucht ausserdem die militärische Zusammenarbeit zwischen Kamerun und seinen internationalen Partnern, insbesondere bezüglich der Herkunft und Umleitung von Waffen. Amnesty International konnte in Propagandavideos separatistischer Gruppen in den Sozialen Medien mehrere Waffenarten erkennen, die darauf hindeuteten, dass manche der gegen die Bevölkerung eingesetzten Waffen von der kamerunischen Armee gestohlen worden waren. Die Armee wiederum hatte die Waffen mittels internationaler Unterstützung erhalten. 

«Wir appellieren an die internationalen Partner Kameruns, u. a. die Regierungen Frankreichs, Grossbritanniens, Belgiens, Kroatiens, Israels, Russlands, Serbiens und der USA, im Vorfeld weiterer Waffenlieferungen an Kamerun strikte Menschenrechtsbewertungen vorzunehmen und Prüfungen zum Endverbleib durchzuführen, um sicherzustellen, dass militärische Unterstützung nicht zu weiteren Menschenrechtsverstössen beiträgt», so Samira Daoud.

«Wo stichhaltige Beweise dafür vorliegen, dass Waffen an bewaffnete Gruppen weitergeleitet werden, denen schwere Verbrechen vorgeworfen werden, ist die Bereitstellung der militärischen Unterstützung so lange auszusetzen, bis Massnahmen ergriffen worden sind, um zu gewährleisten, dass Waffenlieferungen zuverlässig sind und die Waffen von befugten Endverwendern verantwortungsvoll eingesetzt werden.»

Willkürliche Reaktion der Justizbehörden

Die Reaktion der politischen Instanzen und Justizbehörden auf die Krise lief bisher auf weitere Menschenrechtsverletzungen hinaus. Statt die Verbrechen der bewaffneten Separatisten aufrichtig zu untersuchen, haben die Behörden Personen, die Gräueltaten anprangerten, vorgeworfen, selbst Angehörige oder Unterstützer*innen bewaffneter Separatistengruppen zu sein, und diese willkürlich festgenommen und inhaftiert. Gleichzeitig lässt die mangelnde Transparenz bei der Untersuchung von Verbrechen der Streitkräfte Straflosigkeit befürchten.

Versuche der Behörden, die Meinungsfreiheit zu beschneiden und das Recht auf Informationsbeschaffung einzuschränken, haben die Lage noch weiter verschärft. Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen, Rechtsbeistände und Medienorganisationen, die mutig Gräueltaten durch die Streit- und Sicherheitskräfte anprangern, werden vor Gericht gestellt, willkürlich inhaftiert und bedroht. In manchen Fällen sind Personen vor Militärgerichte gestellt worden, obwohl diese Gerichte laut Völkerrecht nicht für Zivilpersonen zuständig sind.

Der Bericht von Amnesty International zeigt zudem auf besorgniserregende Weise auf, dass die kamerunischen Behörden nicht wirksam mit internationalen und überregionalen Menschenrechtseinrichtungen zusammenarbeiten. Wiederholte Anfragen für Besuche von Expert*innengruppen wurden nicht beantwortet, was Bemühungen zur Einschätzung der Lage und dem Einsatz für Gerechtigkeit entgegenwirkte.

«Die Behörden haben zu garantieren, dass Festnahmen und Inhaftierungen entsprechend internationaler Menschenrechtsnormen und -standards geschehen, und müssen bedrohten Journalist*innen, Menschenrechtler*innen und Aktivist*innen Schutz gewähren», so Samira Daoud.