Bald geschlossen: Das Dadaab Flüchtlingscamp in Kenia. © Film Aid. Weitere Fotos durck Klicken auf das Bild.
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Kenia Regierung drängt Flüchtlinge zur Rückkehr ins kriegszerrüttete Somalia

Medienmitteilung 15. November 2016, Bern – Medienkontakt
Zwei Wochen vor Ablauf der offiziellen Frist zur Schliessung des Flüchtlingslagers Dadaab übt die kenianische Regierung gezielt Druck auf somalische Flüchtlinge aus: Diese sollen in ihr Herkunftsland zurückzukehren, obwohl ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht.

Im Mai 2016 hatte die Regierung angekündigt, das weltgrösste Flüchtlingslager schliessen zu wollen. Mehr als 280'000 Flüchtlinge leben dort, die meisten von ihnen aus Somalia. Als Gründe für die geplante Schliessung wurden sicherheits- und umwelttechnische sowie wirtschaftliche Bedenken angeführt, sowie auch die mangelnde Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Seitdem haben Regierungsvertreter und -vertreterinnen Stellungnahmen in den Medien abgegeben und das Lager besucht, um die Menschen dort zu nötigen, das Camp vor der geplanten Schliessung am 30. November zu verlassen. In Somalia laufen die Flüchtlingen aber Gefahr, aufgrund des anhaltenden bewaffneten Konflikts verletzt oder getötet zu werden, wie Amnesty International in einem am 15. November veröffentlichten Bericht (Nowhere else to go: Forced returns of Somali refugees from Dadaab Refugee Camp, Kenya) schreibt.

Gebrochene Versprechen

«Die Flüchtlinge befinden sich in einer Sackgasse. Sie werden von kenianischen Regierungsbeamten aufgefordert, bis Ende des Monats das Lager zu räumen oder sie riskierten, ohne jegliche Unterstützung nach Somalia zurückkehren zu müssen», so Michelle Kagari, stellvertretende Regionaldirektorin für Ostafrika bei Amnesty International. «Diese Massnahmen laufen den Zusicherungen zuwider, die Kenia gegenüber der internationalen Gemeinschaft gemacht hat und nach denen alle Rückführungen von Flüchtlingen freiwillig, sicher und in Würde zu erfolgen haben.»

VertreterInnen von Amnesty International kamen im August nach Dadaab und führten persönliche Gespräche mit 56 Flüchtlingen. Mit weiteren 35 Personen wurden Diskussionsrunden abgehalten. Unter den GesprächspartnerInnen befanden sich auch zwei Brüder im Alter von 15 und 18 Jahren, die im Januar 2016 nach Somalia zurückgegangen waren und vier Monate später wieder nach Dadaab kamen. Sie sagten, dass nach ihrer Rückkehr nach Somalia ihr Vater vor ihren Augen getötet wurde und sie gezwungen wurden, Al-Shabaab beizutreten. Sie konnten schliesslich fliehen und sich wieder nach Dadaab retten.

Gefährliche Rückführung

Die Gefahren des bewaffneten Konflikts in Somalia sind den Flüchtlingen weder von den Vereinten Nationen noch von Nichtregierungsorganisationen, die in den Rückführungsprozess von Dadaab nach Somalia involviert sind, angemessen deutlich gemacht worden. So waren beispielsweise im August, als Tausende Menschen den Rückführungsprozess durchliefen, die Informationen des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zur Sicherheitslage in Somalia seit Dezember 2015 nicht mehr aktualisiert worden, obwohl dort in vielen Gebieten die Unsicherheit stark zugenommen hatte. Die Vereinten Nationen und die Nichtregierungsorganisationen arbeiten derzeit an der Aktualisierung ihrer Informationen, doch es ist unklar, bis wann dieser Prozess abgeschlossen sein soll und wie detailliert die Informationen sein werden.

Fehlende Ressourcen auf der einen, Drohungen auf der anderen Seite

Hinzu kommt, dass es in Somalia derzeit mehr als 1,1 Millionen Binnenvertriebene gibt, das Land also nicht die notwendigen Ressourcen hat, um unzählige Rückkehrende aus Dadaab angemessen aufnehmen zu können. Dienstleistungen wie z. B. Unterkünfte, Gesundheitsleistungen und Bildungsangebote sind nach wie vor sehr spärlich gesät.

Die meisten der Flüchtlinge, mit denen Amnesty International gesprochen hat, sagten, dass sie nur deshalb überlegten, nach Somalia zurückzukehren, weil sie von kenianischen RegierungsbeamtInnen bedroht worden seien.

Laut einer Befragung der kenianischen Regierung und des UNHCR im Juli und August haben nur 25 Prozent der Flüchtlinge angegeben, nach Somalia zurückkehren zu wollen. Als Gründe für die Rückkehr gaben die Flüchtlinge Warnungen der Regierung an, entweder jetzt zurückzukehren oder später dazu gezwungen zu werden, sowie die Furcht, später keine UNHCR-Zuschüsse mehr zu bekommen.

Hadi, der seit 24 Jahren in Dadaab lebt, sagte zu Amnesty International: «Sie [die kenianischen Behörden] zwingen uns, nach Somalia zu gehen. Sie kamen mit Mikrofonen zu unseren Unterkünften und sagten: ‚Ihr müsst euch für die Rückkehr nach Somalia registrieren ... Wenn ihr euch jetzt nicht registriert, müsst ihr zu Fuss zurückgehen, mit euren Babys auf dem Rücken.‘»

Ähnlich äusserte sich Samira, die seit acht Jahren in dem Lager lebt. Sie sagte: «Die Menschen glauben, dass das kleine Rückkehrpaket nach November nicht mehr zur Verfügung steht, und dass es keinen Transport geben wird ... Sie gehen jetzt, damit sie die Transportmöglichkeit und das Geld bekommen.»

Keine Alternativen

Für die Mehrheit der Flüchtlinge, die nicht nach Somalia zurückkehren möchte, wurden weder von der kenianischen Regierung noch von der internationalen Gemeinschaft Alternativen zur Verfügung gestellt. Einige der GesprächspartnerInnen sagten zu Amnesty International, dass sie sich nicht nur vor den Gefahren fürchteten, sondern auch wegen dem Mangel an Basisdienstleistungen und aus Angst vor Diskriminierung nicht zurückkehren möchten.

Unter ihnen befanden sich auch Menschen mit Behinderungen und Angehörige von Minderheiten. Für diese Menschen ist die Rückkehr nach Somalia schlicht unmöglich, da keine zusätzlichen Schutzgarantien für sie existieren.

Mouna, die ein behindertes Kind hat, sagte: «In Somalia gibt es keine Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Als Flüchtlinge müssen wir uns sowieso schon hinten anstellen. Wer ein Kind mit Behinderung hat, braucht keine grosse Unterstützung zu erwarten.»

Amina, deren sechsjähriger Sohn Albinismus hat, sagte: «Ein weiterer Grund, warum ich nicht zurück möchte, ist dass die Leute dort Albinismus nicht verstehen. Auch hier sagen manche Leute, dass er nicht hierher gehört, ein Fremder sei. Die anderen Kinder hänseln ihn, weil er anders ist. In Somalia wird es sicherlich noch viel schlimmer. Und dort bekommt er die Creme nicht, die er für seine Haut braucht.»

Der Mangel an internationaler Unterstützung für Kenia hat zu der schlimmen Lage beigetragen, in der sich die BewohnerInnen von Dadaab jetzt wiederfinden. Appelle für Flüchtlinge in Kenia verhallen ungehört, Hilfsprojekte sind durchgängig unterfinanziert und Drittländer haben nur sehr wenige Resettlement-Plätze für schutzbedürftige Flüchtlinge angeboten. Derzeit hält sich mehr als die Hälfte der 21 Millionen Flüchtlinge weltweit in nur zehn Ländern auf – und Kenia ist eines davon. 

«Kenia verhängt immer stärkere Einschränkungen für somalische Flüchtlinge, und die reichen Länder weigern sich auf empörende Weise, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen. Statt Flüchtlinge nach Somalia zurückzuführen, wo ihnen weitere Menschenrechtsverstösse drohen, sollte die internationale Gemeinschaft gemeinsam mit Kenia an langfristig tragfähigen Lösungen arbeiten», so Michelle Kagari. 

«Dazu gehört auch das Anbieten von mehr Resettlement-Plätzen für die schutzbedürftigsten Flüchtlinge. Mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft muss Kenia die Rechte von Flüchtlingen garantieren und Möglichkeiten finden, sie aus den Lagern zu holen und in die Gesellschaft zu integrieren.»

 

Hintergrund

Die Aussagen der Flüchtlinge wurden mit der Hilfe von VertreterInnen der Regierung und von Nichtregierungsorganisationen überprüft, die entweder in Dadaab oder allgemein im Bereich Flüchtlingspolitik arbeiten. Die bestehenden Erkenntnisse über die Lage der Flüchtlinge in Kenia sowie die relevante nationale Gesetzgebung und politischen Massnahmen wurden von ExpertInnen geprüft.

Kenia hat mehr als 500'000 Flüchtlinge aufgenommen. Mindestens 330'000 von ihnen sind Somalis, davon etwa 260'000 im Flüchtlingslager Dadaab. Kenia hat von der internationalen Gemeinschaft nur wenig Unterstützung erhalten. Am 31. Oktober 2016 war der Finanzierungsappell des UNHCR für Kenia über 272 Mio. US-Dollar erst zu 38 Prozent gesichert. Im Jahr 2015 wurden insgesamt 5001 Flüchtlinge aus Kenia geholt und im Rahmen von Resettlement-Programmen in Drittländern neu angesiedelt. Mehr als 3500 von ihnen wurden von den USA aufgenommen. Lediglich 671 schutzbedürftige Flüchtlinge wurden in EU-Ländern neu angesiedelt. Im Jahr 2016 wurden bisher 1648 Flüchtlinge in den USA und 118 in der EU aufgenommen.

In den vergangenen Jahren haben die kenianischen Behörden immer stärker darauf gedrängt, somalische Flüchtlinge wieder nach Somalia zurückzuführen. Grund hierfür waren eine Reihe von Anschlägen durch Al-Shabaab in Kenia – darunter der Überfall auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi im Jahr 2013 und der Anschlag auf das Garissa University College im April 2015 – sowie eine mutmassliche Verbesserung in der Sicherheitslage in Somalia.

In Somalia wütet seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Bürgerkrieg. Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen, unterstützt durch Truppen der Afrikanischen Union, einerseits und den Al-Shabaab-Milizen andererseits haben zu schweren Menschenrechtsverstössen gegen die Zivilbevölkerung und zur Zerstörung der Grundversorgung und Infrastruktur geführt.