Symbolbild (nach Ablauf der Bildrechte vom Originalbild) © pixabay (jorono)
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Nach der Präsidentschaftswahl in Kenia Polizei tötet und misshandelt Protestierende

13. Oktober 2017
Die kenianische Polizei hat bei Protestveranstaltungen im Zuge der Präsidentschaftswahlen vom 8. August 2017 in einigen Stadtteilen der Hauptstadt Nairobi zwischen 33 und 50 Personen getötet und Hunderte weitere verletzt.

Zu diesem Schluss kommen Amnesty International und Human Rights Watch in einem gemeinsam veröffentlichten Bericht.  Der 50-seitige englischsprachige Bericht «Kill Those Criminals: Security Forces’ Violations in Kenya’s August 2017 Elections» dokumentiert die Anwendung unverhältnismässiger Gewalt durch PolizistInnen und andere Sicherheitskräfte sowohl gegen Protestierende als auch gegen BewohnerInnen von Stadtteilen, die mehrheitlich Kandidierende der Oppositionsparteien unterstützen.

Tote durch Polizeieinsatz

Laut Recherchen der beiden Organisationen verhielt sich die Polizei zwar in manchen Fällen angemessen, sorgte jedoch in vielen anderen Fällen durch Prügel und Schusswaffeneinsatz für den Tod von Protestierenden. Einige Menschen starben auch durch Ersticken, nachdem sie Tränengas oder Pfefferspray eingeatmet hatten oder aus kurzer Distanz von Tränengaspatronen getroffen worden waren. Wieder andere wurden in der entstandenen Panik zu Tode getrampelt.

Die Nachforschungen von Amnesty International und Human Rights Watch ergaben, dass Polizeiangehörige direkt mit dem Tod von mindestens 33 Personen in Verbindung gebracht werden können. Die Tötung von weiteren 17 Menschen, zumeist in Kawangware, einem Slum von Nairobi, konnte bisher noch nicht bestätigt werden. Die kenianischen Behörden müssen dringend dafür sorgen, dass alle für rechtswidrige Gewaltanwendung Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Polizei bei den anstehenden Neuwahlen das Völkerrecht und internationale Standards einhält, was die Anwendung von Gewalt angeht.

«Bei den Angriffen der Polizei auf Unterstützerinnen und Unterstützer der Opposition wurden dutzende Menschen getötet, und viele weitere Personen trugen lebensverändernde Verletzungen davon», so Michelle Kagari, die stellvertretende Regionaldirektorin für Ostafrika bei Amnesty International. «Dieser tödliche Einsatz unverhältnismässiger Gewalt ist bei Polizeieinsätzen in Kenia mittlerweile an der Tagesordnung und muss vor der bevorstehenden Neuwahl entschieden gestoppt werden.»

Breite Recherchen belegen Polizeigewalt

VertreterInnen von Amnesty International und Human Rights Watch sprachen mit 151 Überlebenden, AugenzeugInnen, MenschenrechtlerInnen, MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen und PolizistInnen in ärmlichen Stadtteilen von Nairobi, die als Oppositionshochburgen bekannt sind. Vor den Wahlen waren viele dieser Gegenden von der Polizei als «Hotspots» für mögliche Gewaltausbrüche eingestuft worden, weshalb man sehr viele Sicherheitskräfte dorthin entsandte, was die Spannungen noch weiter verschärfte.

Vorangegangene Recherchen von Human Rights Watch dokumentieren, dass im Westen Kenias bei Protestveranstaltungen zwölf Personen von der Polizei getötet wurden. Die Kenianische Nationale Menschenrechtskommission hat 37 Todesfälle dokumentiert, darunter fünf getötete Personen, die bei den 33 von Amnesty International und Human Rights Watch dokumentierten Fällen nicht mitgezählt wurden. Zusammen mit den 17 weiteren mutmasslich von der Polizei getöteten Personen ist es möglich, dass landesweit bis zu 67 Menschen getötet wurden.

In den Tagen nach dem Urnengang gingen in ganz Nairobi OppositionsanhängerInnen auf die Strasse, um gegen Unregelmässigkeiten bei der Wahl zu demonstrieren, bei der Amtsinhaber Uhuru Kenyatta erneut zum Wahlsieger ausgerufen worden war. Am 1. September erklärte Kenias oberstes Gericht schliesslich die Präsidentenwahl für ungültig und ordnete eine Wiederholung der Wahl innerhalb von 60 Tagen an. Die Neuwahl ist für den 26. Oktober angesetzt, doch ist es nach dem Rückzug des Oppositionskandidaten Raila Odinga unklar, ob diese überhaupt stattfinden werden.

Laut den Recherchen von Amnesty International und Human Rights Watch wurden zwischen dem 9. und 13. August verschiedene Polizeieinsätze in den Stadtteilen Mathare, Kibera, Babadogo, Dandora, Korogocho, Kariobangi und Kawangware durchgeführt. Dort schossen Sicherheitskräfte – vornehmlich Angehörige der paramilitärischen Einheiten General Service Unit und Administration Police – sowohl auf Protestierende als auch scheinbar wahllos auf versammelte Menschen. Überlebende und andere AugenzeugInnen gaben an, dass die Polizei flüchtende Protestierende verfolgt habe und in einigen Fällen auch Türen eingetreten und die Betroffenen erschossen oder zu Tode geprügelt habe.

Die neunjährige Stephanie Moraa Nyarangi wurde auf dem Balkon der Wohnung ihrer Familie erschossen. Jeremiah Maranga, ein 50-jähriger Sicherheitsbediensteter, wurde von PolizistInnen so schwer verprügelt, dass er am ganzen Körper blutete und an seinen Verletzungen starb. Die Haushälterin Lilian Khavere, die im achten Monat schwanger war, wurde zu Tode getrampelt, nachdem sie durch das Einatmen von Tränengas das Bewusstsein verloren hatte.

Gewalt gegen JournalistInnen und MenschenrechtlerInnen

Die Recherchen von Amnesty International und Human Rights Watch haben zudem ergeben, dass JournalistInnen und MenschenrechtlerInnen in diesen Stadtteilen von der Polizei daran gehindert werden sollten, über diese Verstösse zu berichten. In einem Fall zerstörte ein Polizist in Kibera die Kamera eines ausländischen Journalisten, als dieser versuchte, einen gewalttätigen Polizisten zu fotografieren. In Mathare griff die Polizei einen Aktivisten an und zerstörte seine Kamera, als er versuchte, PolizistInnen zu filmen.

Amnesty International und Human Rights Watch haben den Generalinspektor der Polizei über ihre Erkenntnisse informiert und um ein Treffen gebeten. Sie haben allerdings noch keine Antwort erhalten. Die Organisationen haben zudem mehrmals um ein Gespräch mit dem Polizeisprecher gebeten, bisher jedoch nur Absagen erhalten.

«Die kenianischen Behörden müssen die begangenen Verstösse öffentlich benennen und umgehend unparteiische, gründliche und transparente Untersuchungen durchführen. Sie müssen alle gesetzlich notwendigen Schritte einleiten, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, damit Gerechtigkeit für die Opfer möglich ist», betont Otsieno Namwaya, Afrikaexperte bei Human Rights Watch. «Die Polizei hat Oppositionsanhänger angegriffen und dann versucht, diese Angriffe zu vertuschen. Die Behörden müssen dafür sorgen, dass sich diese Art der willkürlichen und unverhältnismässigen Gewaltanwendung durch die Polizei bei den Neuwahlen keinesfalls wiederholt.»