Der Bericht «I Have Nothing Left Except Myself: The Worsening Impact on Children of Conflict in the Tillabéri Region of Niger» (PDF, 59 Seiten englisch) dokumentiert die verheerenden Auswirkungen des Konflikts im Dreiländereck der Sahelzone auf Kinder.
2012 brach der Konflikt in Mali aus und hat sich seitdem auf die Nachbarländer Burkina Faso und Niger ausgeweitet. Bewaffnete Gruppen kämpfen um die Kontrolle in den Grenzgebieten und stossen häufig mit dem nigrischen Militär und Streitkräften aus Ländern wie Tschad, Mali, Burkina Faso und Frankreich zusammen.
«Wir sind alle daran gewöhnt, Schüsse zu hören und [tote] Menschen zu sehen, die auf [toten] Menschen liegen.» Ein Junge von 13 oder 14 Jahren
An dem Konflikt sind die bewaffneten Gruppen Islamischer Staat in der Grosssahara (ISGS) und die mit Al-Qaida verbundene Jama'at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM) beteiligt. Beide haben Kriegsverbrechen begangen, Zivilpersonen ermordet und Schulen angegriffen. In einigen Gebieten ist es Frauen und Mädchen untersagt, das Haus zu verlassen, da sie sonst Gefahr laufen, entführt oder mit Kämpfern zwangsverheiratet zu werden. Besonders stark betroffen ist die Region Tillabéri, wo der Konflikt seit Beginn dieses Jahres eskalierte.
Kindheit inmitten von Tod und Zerstörung
«In Nigers Region Tillabéri wächst eine ganze Generation inmitten von Tod und Zerstörung auf. Bewaffnete Gruppen haben wiederholt Schulen angegriffen und Lebensmittelvorräte zerstört. Ausserdem rekrutieren sie Kinder», sagt Matt Wells, der stellvertretende Leiter der Crisis Response von Amnesty International. Viele Kinder sind nach den tödlichen Angriffen auf ihre Dörfer traumatisiert.
Mitglieder der bewaffneten Gruppen haben in Häuser geschossen und Zivilpersonen, die sich zu verstecken versuchten, verletzt oder getötet. Zeug*innen von Angriffen berichteten, dass die nigrischen Sicherheitskräfte trotz eingehender Notrufe häufig erst lange nach dem Ende der Morde und Plünderungen eintrafen.
Bewaffnete Gruppen haben im Jahr 2021 bereits mehr als 60 Kinder im Dreiländereck getötet. Die ISGS, die vor allem an der Grenze zu Mali operiert, scheint für die meisten dieser gross angelegten Tötungen verantwortlich zu sein. Die nigrischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (FDS) haben sich aus einigen Grenzgebieten zurückgezogen, nachdem sie Ende 2019 Gebiete an den ISGS und die JNIM verloren hatten. In diesem Jahr werden schätzungsweise 13,2 Millionen Menschen in den drei Ländern humanitäre Hilfe benötigen, etwa 1,9 Millionen Menschen wurden vertrieben.
Rekrutierung von Kindersoldaten
Amnesty International befragte 119 Personen, darunter 22 Kinder, drei junge Erwachsene zwischen 18 und 20 Jahren sowie 36 Eltern und andere Betroffene. Zu den weiteren Befragten gehörten Mitarbeiter*innen von NGOs und humanitären Organisationen sowie der Uno und der nigrischen Regierung.
Amnesty sprach mit 16 Jungen, die Angriffe der ISGS auf ihre Dörfer nur knapp überlebt hatten. Sie beschrieben, wie maskierte Angreifer auf Motorrädern das Feuer eröffneten und vor allem auf Männer und ältere Jungen zielten. Ein Junge, im Alter von 13 oder 14 Jahren, sagte: «Wir sind alle daran gewöhnt, Schüsse zu hören und [tote] Menschen zu sehen, die auf [toten] Menschen liegen.»
Als Teil ihres Widerstands gegen die Bildung, die sie als «westlich» betrachten, haben der ISGS und die JNIM Schulen angezündet und das Lehrpersonal bedroht, was zu vielen Schulschliessungen führte. Im Juni 2021 waren mindestens 377 Schulen in der Region Tillabéri geschlossen, wodurch mehr als 31‘000 Kinder keinen Zugang zu Bildung hatten.
Zudem hat die Rekrutierung von Kindern durch die JNIM in diesem Jahr im Department Torodi, nahe der Grenze zu Burkina Faso, erheblich zugenommen. Zeug*innen zufolge hat die JNIM jüngere Männer und Jungen im Alter von 15 bis 17 Jahren, möglicherweise auch jünger, ins Visier genommen. JNIM-Mitglieder bieten Anreize wie Essen, Geld und Kleidung, um Rekruten anzulocken. Die Rekruten erhalten Berichten zufolge eine Waffenausbildung, die zwischen einer Woche und drei Monaten dauern kann. Es ist auch bekannt, dass die JNIM Kinder als Spione, Kundschafter und Späher einsetzt.
Hunger und Vertreibung
Bei Angriffen hat der ISGS Getreidelager niedergebrannt, Geschäfte geplündert und Vieh gestohlen, so dass die betroffenen Familien mittellos und ohne ausreichende Nahrungsmittel dastehen. Für die Kinder besteht ein erhöhtes Risiko der Unterernährung und den damit verbundenen Krankheiten. Durch die Analyse von Satellitenbildern konnte Amnesty International das gezielte Abbrennen von Getreidelagern bestätigen. Durch solche Angriffe wurden Zehntausende Menschen gewaltsam vertrieben, oft wurden ganze Dörfer wegen des Mangels an Nahrungsmitteln aufgegeben.
Die unerbittlichen Angriffe hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder. Nur sehr wenige der befragten Kinder hatten psychosoziale Unterstützung erhalten. Amnesty International dokumentierte Symptome von Trauma und Verzweiflung bei Kindern, darunter Albträume, Schlafstörungen, Angst, Unruhe und Appetitlosigkeit.