Nigeria / Boko Haram Verschleppt, missbraucht und zum Kämpfen gezwungen

London / Bern, 14. April 2014.
Mindestens 2000 nigerianische Frauen und Mädchen sind seit Anfang 2014 von der Terrorgruppe Boko Haram verschleppt worden. Sie werden als Sex-Sklavinnen gehalten und für den Kampf ausgebildet. Das stellt Amnesty International in einem Bericht fest, der zum Jahrestag der Verschleppung der Schulmädchen von Chibok veröffentlicht wird.

Der 90-seitige Bericht «Our job is to shoot, slaughter and kill“: Boko Haram’s Reign of terror» basiert auf 200 Zeugenaussagen, darunter 28 von verschleppten Frauen und Mädchen, die aus der Gefangenschaft fliehen konnten. Er dokumentiert zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Boko Haram auf ihrem Terrorzug durch den Nordosten Nigerias im Jahr 2014 und 2015 verübt hat, darunter auch den Mord an 5.500 Zivilpersonen.

Der Bericht wirft ein neues Licht auf die brutalen Methoden der Terrorgruppe im Nordosten Nigerias. Die Kämpfer von Boko Haram zwangsrekrutieren regelmässig Männer und Jungen oder richten sie hin. Frauen und Mädchen werden verschleppt, eingesperrt, manchen von ihnen vergewaltigt, zwangsverheiratet und gezwungen, mitzukämpfen, mitunter sogar gegen die Bewohner ihrer eigenen Dörfer und Städte.  

«Die Beweise, die in diesem schockierenden Bericht ein Jahr nach der Verschleppung der Schulmädchen von Chibok vorgelegt werden, verdeutlichen das erschreckende Ausmass der Gewalt von Boko Haram», sagt Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International.«Frauen, Männer, Jungen und Mädchen, Christen und Muslime sind von Boko Haram getötet oder verschleppt worden, Millionen von Menschen leiden unter der brutalen Terrorherrschaft. Die jüngsten militärischen Erfolge der Regierungstruppen könnten der Anfang vom Ende dieser Terrorgruppe sein. Aber es muss noch viel geschehen, um Zivilisten zu schützen, die humanitäre Krise zu lösen und einen Aussöhnungsprozess in Gang zu setzen.»

Entführungen und Massenhinrichtungen

Die 19-jährige Aisha berichtete Amnesty International, dass sie im September 2014 mit ihrer Schwester von der Hochzeit einer Freundin entführt wurde, ebenso wie die Braut und deren Schwester. Boko-Haram-Kämpfer brachten die jungen Frauen in ein Lager bei Gullak im Bundesstaat Adamawa, wo sich zu dieser Zeit bereits etwa hundert verschleppte Mädchen befanden. Eine Woche später zwangen die Milizionäre von Boko Haram die Braut und deren Schwester, zwei ihrer Kämpfer zu heiraten. Aisha und andere Mädchen wurden an der Waffe ausgebildet. Aisha berichtet, dass sie in Gefangenschaft mehrfach vergewaltigt wurde, manchmal von einer Gruppe von bis zu sechs Milizionären. Sie musste mitansehen, wie 50 Menschen von Boko Haram ermordert wurden, darunter auch ihre Schwester.

Seit Anfang 2014 hat Amnesty International mindestens 300 Überfälle von Boko Haram auf Zivilpersonen dokumentiert. Dabei geht die Terrorgruppe immer nach demselben Muster vor: Zuerst überfällt sie Militärposten und Polizeistationen, um an Waffen und Munition zu gelangen. Dann greift sie die Zivilbevölkerung an. Jeder, der zu fliehen versucht, wird erschossen. Alle Männer, die im Kampfesalter sind, werden hingerichtet.

Ahmed und Alhaji, 20 und 18 Jahre alt, mussten nach dem Überfall von Boko Haram auf Madagali am 14. Dezember 2014 mit anderen Männern auf ihre Hinrichtung warten. Ahmed berichtete Amnesty, dass sein Instinkt ihm befahl zu fliehen, doch er konnte sich nicht rühren. «Sie haben die Männer mit Messern abgeschlachtet, zwei von ihnen. Wir sassen alle in einer Reihe auf dem Boden und sollten darauf warten, dass wir an die Reihe kommen.» Alhaji konnte nur deshalb entkommen, weil die Messer der Schlächter nach einer Weile zu stumpf waren, um noch weitere Gefangene hinzurichten. Er berichtete, dass an diesem Tag mindestens 100 Männer hingerichtet worden seien, weil sie sich weigerten, in den Reihen von Boko Haram zu kämpfen.

Das Leben unter Boko Haram

In dem Bericht finden sich auch Schilderungen, wie Boko Haram seine Terrorherrschaft in neu erorberten Gebieten ausübt: Nachdem die Terrorgruppe eine Stadt oder ein Dorf eingenommen hatte,  musste sich die gesamte Bevölkerung auf einem Platz versammeln, auf dem die bewaffneten Kämpfer die neuen Regeln verkündeten. Unter anderem wurde die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung eingeschränkt, dies gilt insbesondere für Frauen. Die meisten Familien waren darauf angewiesen, dass ihre Kinder Nahrung beschafften oder ihnen Mitglieder von Boko Haram geplünderte Nahrungsmittel gaben.

Nach der Machtübernahme führte Boko Haram in der Regel grausame Strafen ein. Wer das tägliche Gebet verpasst, wird ausgepeitscht. Eine Frau bekam 30 Peitschenhiebe, nur weil sie Kinderkleidung verkaufen wollte. Es wurden auch Menschen gesteinigt, berichten Augenzeugen.

Amnesty International fordert Boko Haram auf, sofort damit aufzuhören, Zivilpersonen zu töten. Amnesty fordert die nigerianische Regierung auf, alle möglichen legalen Schritte zu unternehmen, um Zivilisten und Zivilistinnen zu schützen und die Sicherheit im Nordosten Nigerias wiederherzustellen. Die Internationale Gemeinschaft muss die neu gewählte Regierung in Nigeria beim Kampf gegen Boko Haram unterstützen.

Neue Satellitenbilder

Dem Amnesty-Bericht liegen auch neue Satellitenbilder von der Stadt Bama bei, die das Ausmass der Zerstörung nach dem Kampf der nigerianische Armee gegen Boko-Haram-Kämpfer im März 2015 dokumentieren. Sie belegen, dass mindestens 5.900 Gebäude beschädigt oder völlig zerstört sind, darunter auch das Krankenhaus. Das entspricht rund 70 Prozent der Stadt. Augenzeugen berichten, dass in den Strassen Bamas unzählige Leichen lagen und Menschen in den Gebäuden am lebendigen Leibe verbrannten.

Medienmitteilung veröffentlicht: London/Bern, 14. April 2015
Medienkontakt