Im April 2014 entführte die islamistische Gruppierung Boko Haram in der Stadt Chibok 276 Schülerinnen einer Mädchenschule. Einige der entführten Mädchken konnten sich seither aus eigener Kraft aus der Gefangenschaft befreien; andere wurden nach intensiven Bemühungen von Organisationen wie Amnesty International freigelassen . Noch immer befinden sich aber 82 Mädchen in der Gewalt von Boko Haram.
Mit ein paar der zurückgekehrten Schülerinnen und mit Müttern von zurückgekehrten oder weiterhin vermissten Mädchen konnte Amnesty International sprechen. Hier ihre Berichte.
Die Mädchen, die ihr Leben neu aufbauen
Glory Mainta.
© Amnesty International Nigeria
Glory Mainta wurde vor zehn Jahren verschleppt. Nach ihrer Freilassung musste sie ihr Leben neu aufbauen. Mit Erfolg: Sie hat die weiterführende Schule erfolgreich beendet.
«Ich bin eines der entführten Chibok-Mädchen. Es war schmerzhaft, von meinen Eltern getrennt zu sein. Meine Entführer haben mir und den anderen Mädchen viel Schreckliches angetan. Wir wurden geschlagen, angeschrien – es gibt nichts, was sie uns nicht angetan haben. Sie haben uns zwar nicht gezwungen, sie zu heiraten, aber was sie mit uns gemacht haben, war noch schlimmer. Wir hielten irgendwie durch, bis Gott uns rettete. Ich musste Wasser holen, die Böden kehren und viele andere Dinge tun, die Frauen nicht tun sollten. Ich habe mich dadurch schlecht gefühlt.
«Wir wurden geschlagen, angeschrien – es gibt nichts, was sie uns nicht angetan haben.» Glory Mainta
Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich ich an dem Tag war, als ich erfuhr, dass ich freigelassen werden sollte. Es war, als wäre ich im Himmel. Nach meiner Freilassung bin ich in die Schule zurückgekehrt. Am Anfang hatte ich Angst, zurückzugehen, also habe ich die Schule gewechselt, um in der Nähe meiner Eltern bleiben zu können – ich möchte keine Minute mehr ohne sie sein. Ich habe jetzt meinen Sekundarschulabschluss gemacht.
Als ich in den Händen von Boko Haram war, fehlte mir alles. Die Mädchen, die immer noch in Gefangenschaft sind, tun mir sehr leid. Meine Hoffnung ist, dass sie die Freiheit wiedererlangen, so wie ich. Ich weiss, wie es dort war, und deshalb möchte ich, dass sie freikommen, damit sie bei ihren Eltern sein können.»
Auch Mary Dauda wurde von Boko Haram verschleppt. Sie beschreibt ihr Leben in der Gefangenschaft und die Drohungen, denen sie ständig ausgesetzt war.
«Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich verschleppt wurde. Es war sehr schlimm, ich habe geweint – es tut immer noch sehr weh. Der Ort, an dem ich gefangen gehalten wurde, war furchtbar. Mit so etwas hätten wir nie gerechnet. Wir haben dort gelitten. Wir waren hungrig. Wir dachten ständig an unsere Eltern zu Hause und fragten uns, ob wir sie jemals wiedersehen würden.
Wir hatten schon viele Geschichten über Boko Haram gehört, und jetzt waren wir in ihren Fängen. Wir wussten nicht, wie es ausgehen würde. Diese Gedanken gingen mir ständig durch den Kopf. Unsere Entführer sagten uns, wir müssten sie heiraten, sonst bekämen wir nichts zu essen. Wir müssten Räume für sie bauen und sie sauber halten, damit darin schlafen könnten. Sie sagten, wenn wir sie heiraten würden, wäre das unser Leben; wenn wir es nicht täten, würden sie uns zu ihren Sklavinnen machen. Diejenigen, die sich weigerten, sie zu heiraten, werden immer noch gefangen gehalten.
Ich wurde 2016 freigelassen und war überglücklich. Ich war wie neu geboren. Nach meiner Freilassung ging ich drei Jahre lang zur Schule und heiratete dann. Ich lebe jetzt mit meinem Mann und meinen beiden Kindern zusammen. Ich möchte gern irgendwann weiter lernen – ich möchte sicherstellen, dass meine Kinder zur Schule gehen und unabhängig sind. Was die noch verschleppten Chibok-Mädchen betrifft, so hoffe ich, dass sie freigelassen werden.»
Die Mutter, die ihre Tochter zurückbekam
Rose Musa.
© Amnesty International Nigeria
Als die Tochter von Rose Musa nach Hause kam, wollte das Mädchen zunächst weder essen noch mit anderen sprechen. Doch sie hat ihre Stimme wieder gefunden – auch weil sie wieder zur Schule ging.
«Ich habe eine doppelte Tragödie erlebt, als meine Tochter entführt wurde. Im selben Monat wurde meine Kleinstadt angegriffen und mein Mann getötet. Ich war damals im dritten Monat schwanger und die einzige im Haus. Gott sei Dank gab mir Gott die Kraft, weiterzumachen, nur dank ihm lebe ich noch.
Zu hören, dass meine Tochter Junmai Miutah freigelassen worden war, machte mich sehr glücklich und stolz. Obwohl es nicht leicht war, zu hören, was sie durchgemacht hat. Was während ihrer Zeit in Gefangenschaft geschah, ist nicht in Ordnung, und es hat ihr sehr zugesetzt. Als sie nach Hause kam, wollte sie nichts essen. Sie wollte nicht mit anderen Kindern sprechen. Zum Glück ist sie jetzt wieder in der Schule und es geht ihr gut. Sie führt ein gutes Leben, sie unterstützt meine anderen Kinder und hilft mir dabei, alle auftretenden Probleme zu lösen. Sie möchte ihre Ausbildung fortsetzen.
Ich werde diejenigen, die immer noch in Gefangenschaft sind, nicht vergessen. Wir beten für ihre sichere Rückkehr. Ich möchte, dass die Regierung mit anderen zusammenarbeitet, um sicherzustellen, dass die übrigen Mädchen nach Hause zurückkehren können – ich möchte, dass ihre Eltern den gleichen Stolz empfinden, den ich empfinde, wenn ich meine Tochter anschaue.»
Die Mütter, deren Töchter immer noch vermisst werden
Mary Abdullahi.
© Amnesty International Nigeria
Noch immer warten viele Eltern auf die Rückkehr ihrer Töchter. So wird Mary Abdullahis Tochter Bilkis immer noch vermisst.
«Seit meine Tochter entführt wurde, habe ich nichts mehr von ihr oder über sie gehört. Ich weiss nicht, wie es ihr geht. Ich habe sie nicht wiedergesehen. Wenn ihr Name fällt, werde ich ganz traurig. Ich möchte, dass die Regierung etwas unternimmt. Unsere Mädchen wurden nicht von zu Hause entführt, sondern aus der Schule. Es ist die Regierung, die hier tätig werden muss. Einige Mädchen wurden freigelassen, und ich hoffe, dass auch meine Tochter nach Hause kommt, wenn ich weiterhin bei der Regierung vorstellig werde.
Ich wäre so glücklich, wenn ich meine Tochter wiedersehen oder mit ihr sprechen könnte – es sind jetzt schon zehn Jahre. Ich hoffe wirklich, dass sich Organisationen weiterhin für die Freilassung der noch immer verschleppten Mädchen einsetzen. Alles, was ich möchte, ist meine Tochter wiederzusehen.»
Comfort Ishaya.
© Amnesty International Nigeria
Auch die Tochter von Comfort Ishaya, Hauwa, wurde vor zehn Jahren verschleppt. Sie wird immer noch vermisst – ob sie noch lebt, ist ungewiss.
«Meine Tochter Hauwa wurde vor zehn Jahren aus Chibok entführt. Als es passierte, fühlte ich mich sehr schlecht. Es gab nichts, was ich tun konnte. Mir gefror das Blut in den Adern. Es ist nicht leicht, ein Kind zur Welt zu bringen. Ich habe sie neun Monate lang gestillt. Dann, einige Tage vor ihren Abschlussprüfungen, wurde sie entführt. Sie war einfach nicht mehr da.
«Jedes Mal, wenn ein Mädchen freikommt, ist es sehr schmerzhaft festzustellen, dass es nicht die eigene Tochter ist.» Comfort Ishaya, Mutter von Hauwa
Als wir hörten, dass Mädchen freigelassen worden waren, hoffte ich, dass meine Tochter dabei wäre, aber das war sie nicht. Jedes Mal, wenn ein Mädchen freikommt, ist es sehr schmerzhaft festzustellen, dass es nicht die eigene Tochter ist.
Ich frage mich, ob meine Tochter noch am Leben ist. Ich hoffe wirklich, dass sie es ist. Das ist es, was ich will. Wenn ich esse, denke ich an sie und frage mich, ob sie etwas zu essen hat. Ich denke ständig an sie. Ich hoffe wirklich, dass ich meine Tochter wiedersehen kann, selbst wenn das noch lange dauern sollte.
Wir dürfen die Mädchen nicht vergessen, die immer noch vermisst werden. Ich denke ständig an sie. Ich bin immer noch auf der Suche nach meiner Tochter. Ich möchte, dass mich die Regierung dabei weiterhin auf allen Ebenen unterstützt. Ich hoffe und bete, dass wir sie wiedersehen.»