Kumi Naidoo, der internationale Generalsekretär von Amnesty International, sagte anlässlich der Amtsenthebung von al-Bashir am 11. April 2019: «An diesem historischen Tag für den Sudan muss die Welt in erster Linie anerkennen, mit welch ausserordentlichem Mut, mit welcher Kreativität und Tapferkeit die sudanesische Bevölkerung ihre Rechte einfordert. Dieses Ereignis sollte auch ein Weckruf für politische Entscheidungsträger rund um die Welt sein, die denken, sie könnten damit davonkommen, der Bevölkerung grundlegende Rechte zu verwehren.»
Dennoch mahnt Kumi Naidoo: «Wir sind alarmiert angesichts der angekündigten Notmassnahmen. Die sudanesischen Militärbehörden müssen sicherstellen, dass die Notstandsgesetze nicht die Rechte der Bevölkerung untergraben. Stattdessen müssen sie dafür sorgen, dass Menschenrechtsverletzungen, wie sie al-Bashirs 30-jährige Amtszeit gekennzeichnet haben, der Vergangenheit angehören.»
Die Übergangsbehörden müssen einen friedlichen Machtwechsel im Sudan ermöglichen – das heisst, Meinungs- sowie Versammlungsfreiheit zu gewährleisten und dem Blutvergiessen und der Unterdrückung im Land ein Ende zu setzen.
Verbrechen des Geheimdienstes müssen untersucht werden
Inzwischen ist auch der Chef des berüchtigten Geheimdienstes NISS, Salah Gosh, von seinem Amt zurückgetreten. Der NISS war massgeblich verantwortlich für die blutige Unterdrückung von Demonstrationen und das Wüten von Todesschwadronen in den letzten Monaten. Amnesty International fordert von den nunmehr Verantwortlichen, diese Menschenrechtsverbrechen und die Rolle Salah Goshs eingehend zu untersuchen.
Sieben Fakten zu den Protesten im Sudan
- Grosse Zahl an Demonstrierenden
Die Amtsenthebung von Präsident Omar al-Bashir ist das Ergebnis der grössten regierungskritischen Proteste seit al-Bashir 1989 durch einen Militärputsch an die Macht kam. Es gab mehr als 700 Demonstrationen im ganzen Land seit Beginn der Proteste.
- Wie die Proteste begannen
Die Proteste begannen Mitte Dezember 2018 mit Demonstrationen von SchülerInnen gegen den rasanten Anstieg der Brotpreise in Atbara, im Bundesstaat River Nile. Die Regierung hatte in Reaktion auf einen Rückgang der Ölproduktion sowie jahrelange US-Sanktionen neue Sparmassnahmen beschlossen, darunter auch Kürzungen von Brot- und Kraftstoffsubventionen. Am 20. Dezember fanden in mehreren sudanesischen Städten ähnliche Proteste statt. Dort wurde bereits der Rücktritt von al-Bashir gefordert.
- Sicherheitskräfte reagierten mit Gewalt
Die Regierung reagierte auf die Proteste mit unrechtmässiger, exzessiver und teilweise tödlicher Gewalt. Sicherheitskräfte nutzten scharfe Munition sowie Gummigeschosse und Tränengas und griffen Verletzte sogar in Krankenhäusern an. Mindestens 59 Personen wurden getötet, Hunderte wurden verletzt und Tausende wurden seit Beginn der Proteste verhaftet. Um die Proteste niederzuschlagen, setzte die Regierung setzte bewaffnete Männer mit Gesichtsvermummung ein.
- Durchgreifen in den sozialen Medien
Die Regierung ging scharf gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit vor, indem sie den Zugang zu sozialen Medien wie Facebook, Twitter und WhatsApp unterband. Die Seiten sind grösstenteils offline geblieben. Viele Menschen haben jedoch über VPNs auf die Plattformen zugegriffen.
- Proteste getragen durch die Gewerkschaften
Die Gewerkschaft SPA (Sudanese Professionals Association) stellte sich an die Spitze der Proteste. Anfangs rief sie zu einer Demonstration der ArbeiterInnen auf, um angesichts der massiven Inflation eine Anhebung des Mindestlohns zu fordern. Seit Ende Dezember erweiterte sie ihre Forderungen und forderte ebenso al-Bashirs Rücktritt. Die SPA hat die meisten der Proteste organisiert.
- Al-Bashirs Reaktion
Al-Bashir bezeichnete die Demonstrierenden als «Ratten» und der ehemalige Vize-Präsident Ali Osman Taha sprach von einer Schatten-Miliz, die aufsteigen würde, um die Regierung zu stützen. Im Februar erklärte al-Bashir den Ausnahmezustand und entliess mehrere MinisterInnen. Am 11. April erklärte der Armeechef Awad Ibn Ouf in einer Fernsehansprache die Absetzung von al-Bashir und dass dieser an einen «sicheren Ort» gebracht worden wäre.
- Wegen Kriegsverbrechen gesucht
Bereits im März 2009 hat der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen al-Bashir sowie drei weitere Mitglieder seiner Regierung ausgestellt. Die Anklagepunkte umfassen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Kontext des Konflikts in Darfur. Bisher konnte al-Bashir sich jeglicher strafrechtlicher Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen entziehen. Amnesty International spricht sich dafür aus, dass al-Bashir und die drei anderen nun an den Internationalen Strafgerichtshof übergeben werden. Die neuen Behörden im Sudan müssen es sich ausserdem zur Priorität machen, auch auf nationaler Ebene Völkerrechtsverbrechen der letzten drei Jahrzehnte strafrechtlich zu verfolgen. Alle Verantwortlichen müssen in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden, ohne Verhängung der Todesstrafe.
Übersetzung: Lea Rösner