Sudanesisches Flüchtlingslager in Adre, Tschad © Amnesty International
Sudanesisches Flüchtlingslager in Adre, Tschad © Amnesty International

Sudan Nachbarländer müssen sichere Fluchtwege gewährleisten

Medienmitteilung 5. Juli 2023, London/Bern – Medienkontakt
Die Nachbarländer des Sudan müssen ihre Einreisebeschränkungen für Menschen, die vor dem Konflikt im Sudan fliehen, unverzüglich aufheben. Etwa eine halbe Million Menschen sind bereits vor den Kämpfen geflohen. Die Nachbarländer müssen ihnen Schutz und Sicherheit gewähren.

Zwischen dem 9. Mai und dem 16. Juni 2023 interviewten Mitarbeiter*innen von Amnesty International 29 Zivilpersonen, die vor dem im April ausgebrochenen Konflikt geflohen waren. An der Grenze standen sie vor der schwierigen Entscheidung, entweder in die umkämpften Gebiete zurückzukehren oder weiter auszuharren und zu warten, bis sie die Grenze passieren können – und das auf unbestimmte Zeit. Selbst die Grundversorgung der Betroffenen war nicht gewährleistet. Sowohl die medizinische Versorgung als auch der Schutz der Privatsphäre und der Menschenwürde erwiesen sich als schwierig. 

Zu den Befragten gehörten Menschen in Wadi Halfa nahe der ägyptischen Grenze und in Port Sudan, einem Hafen am Roten Meer, sowie Personen, die die sudanesische Grenze an verschiedenen Orten überquert hatten und sich in Addis Abeba in Äthiopien, Juba und Renk im Südsudan, Kairo in Ägypten, Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder N'Djamena im Tschad aufhielten.

«Wenn wir allen Menschen, die vor Konflikten fliehen, einen schnellen Grenzübertritt und sofortigen Zugang zu Registrierungsstellen ermöglichen würden, damit sie Asyl beantragen können, würde sich die katastrophale humanitäre Lage an den Grenzen verbessern», sagte Tigere Chagutah, Regionaldirektor von Amnesty International für das östliche und südliche Afrika.

Einigen Asylsuchenden, die aus dem Sudan geflohen sind, wird in den Nachbarstaaten die Einreise verweigert. Dies verschlimmert ihre Notlage und kann sie dazu zwingen, in die Gefahren zurückzukehren, denen sie zu entkommen versuchten.

Während im April 2023 zahlreiche ausländische Staatsangehörige von der Hafenstadt Port Sudan aus in ihr Land gebracht wurden, wurde Sudanes*innen ohne Visum die Evakuierung verweigert.

Neben den direkt Betroffenen befragte Amnesty International auch Zeug*innen und Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen; ausserdem wurden Dokumente, Videos, Fotos und Berichte von Medien und Nichtregierungsorganisationen in der Region ausgewertet, um die Berichte verifizieren zu können.

«Sicherheitsüberprüfung» durch sudanesische Behörden

Diejenigen, die vor dem Konflikt in Khartum und im ganzen Land geflohen sind, mussten mehrere Strassensperren und Kontrollpunkte passieren, wo sie von Beamt*innen schikaniert und bedroht wurden, sodass sie den Sudan nicht ohne weiteres verlassen konnten.

Amnesty International liegen Berichte vor, wonach die Kosten für Fahrten von Khartum zur Grenze erheblich gestiegen sind, was die Möglichkeiten für Menschen, die vor der Gewalt fliehen wollen, massiv einschränkt.

Drei der Interviewpartner*innen gaben an, dass sie vom sudanesischen Militär befragt wurden, als sie versuchten, das Land zu verlassen. Damit wurde ihnen die Ausreise erschwert und es kam zu erheblichen Verzögerungen an der Grenze.

Humanitäre Lage

Berichten zufolge, die von Amnesty International ausgewertet wurden, warteten Hunderte von Menschen an den Grenzübergängen Qustul und Argeen in der Nähe von Wadi Halfa darauf, die Grenze überqueren zu können. Die Einrichtungen an der Grenze und in den umliegenden Städten waren für die Anzahl der Menschen völlig unzureichend.

Flüchtlinge berichteten, dass die an der Grenze von Wadi Halfa Gestrandeten gezwungen waren, die Nacht im Freien zu verbringen, ohne angemessene Unterkunft, Wasser oder Nahrung. Das Fehlen grundlegender Einrichtungen wie Toiletten und sauberes Wasser führte zu einer unhygienischen Umgebung, die vor allem für ältere Menschen und Kinder viele Risiken birgt.

Zusätzliche Einschränkungen durch die ägyptischen Behörden 

Ägypten hat die meisten Menschen aufgenommen, die vor dem Konflikt im Sudan geflohen sind. Nach Angaben des ägyptischen Aussenministeriums sind bis zum 26. Juni über 250‘000 sudanesische Staatsangehörige nach Ägypten eingereist.

Nach den von Amnesty International gesammelten Informationen verlangten die ägyptischen Behörden ab dem 10. Juni 2023 von allen sudanesischen Staatsangehörigen ein Einreisevisum, das von den ägyptischen Konsulaten in Wadi Halfa oder in Port Sudan ausgestellt werden kann. Das Land begründete diesen Schritt damit, dass es notwendig sei, Visafälschungen entgegenzuwirken und den Zustrom sudanesischer Staatsangehöriger nach Ägypten besser steuern zu können.

Regionale Flüchtlingshilfe

Lokale Organisationen unterstützen Sudanes*innen auf der Flucht, insbesondere an der Grenze zwischen Sudan und Südsudan und in den Grenzregionen zwischen Sudan und Tschad. Die derzeit mangelnde Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft verschärft jedoch die ohnehin prekäre Situation, da die begrenzten Ressourcen vor Ort kaum ausreichen.

Im Tschad versorgen humanitäre Hilfsorganisationen die mehr als 120‘0000 Sudanes*innen, die seit Beginn des Konflikts in das Nachbarland geflohen sind, mit Wasser, Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und Unterkünften. Zudem hat der Südsudan vor kurzem 129‘000 Menschen aus dem Sudan aufgenommen.

Doch wurden bis zum 27. Juni nur 13% der knapp 520 Mio. Euro bereitgestellt, die das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) im Rahmen des regionalen Hilfsplans für den Sudan beantragt hatte. Der Plan sieht vor allem Nothilfe für den Tschad, den Südsudan, Ägypten, Äthiopien und die Zentralafrikanische Republik vor.

«Amnesty International fordert die Nachbarländer des Sudan auf, ihren Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsnormen und dem internationalen Flüchtlingsrecht nachzukommen und ihre Grenzen für die Menschen zu öffnen, die vor dem eskalierenden Konflikt fliehen», sagte Tigere Chagutah.

«Die Länder müssen alle Restriktionen aufheben, die eine schnelle, sichere und menschenwürdige Einreise von Menschen behindern, die aus dem Sudan fliehen. Sie müssen sicherstellen, dass alle Asylsuchenden uneingeschränkten und diskriminierungsfreien Zugang zu fairen und effektiven Asylverfahren und humanitärer Hilfe haben.»

«Die ägyptischen Behörden sollten ausserdem sicherstellen, dass Vorschläge für neue Gesetze und Verordnungen zur Regelung von Asylverfahren in vollem Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards und dem internationalen Flüchtlingsrecht stehen.»

Hintergrund

Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) haben derzeit mehr als 563’000 Menschen die sudanesische Grenze überquert, um Sicherheit und Schutz vor der anhaltenden Krise im Land zu suchen. Humanitäre Organisationen, die innerhalb und ausserhalb des Landes tätig sind, berichten von einer katastrophalen humanitären Lage und rufen dringend zu sofortiger Hilfe und Unterstützung auf.