Der neue Bericht «We did not believe we would survive: Killings, rape and looting in Juba» dokumentiert Verstösse gegen das Völkerrecht durch Regierungstruppen und die enttäuschende Reaktion der Vereinten Nationen (Uno) darauf.
Grundlage für den Bericht sind Recherchen, die Amnesty im Juli, August und September 2016 vor Ort selbst durchführte. Der Bericht schildert gezielte Tötungen, willkürliche Angriffe, Vergewaltigungen und massive Plünderungen durch die südsudanesischen Truppen.
Forderung nach Waffenembargo
«Es ist beschämend, dass die sudanesische Regierung ohne Einschränkungen Waffen kaufen kann, obwohl sie diese immer wieder einsetzt, um Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen im Sinne des Völkerrechts zu begehen. Die Uno muss endlich ein umfassendes Waffenembargo verhängen. Ansonsten muss sie damit rechnen, als mitschuldig an diesen Verbrechen betrachtet zu werden», erklärte Joanne Mariner, leitende Beraterin von Amnesty International für Krisenarbeit.
«Es muss ein wirksamer Mechanismus etabliert werden, um die Einhaltung eines Waffenembargos zu überwachen. Staaten dürfen keinen Gewinn mit Waffen machen, die zum Töten von Zivilpersonen genutzt werden.»
Waffeneinsatz gegen Zivilpersonen
Die sechsjährige Joy Kamisa wurde durch eine Rakete getötet, die von einem Kampfhubschrauber abgeschossen wurde und das Haus ihrer Grossmutter im Stadtteil Gudele von Juba traf.
Die zweieinhalbjährige Nyamuch erlag Kopfverletzungen, die durch einen Granatsplitter verursacht worden waren. Sie und mehrere ihrer Geschwister wohnten in einer Schutzzone, die speziell für Zivilpersonen auf dem Uno-Stützpunkt im Stadtteil Jebel in Juba eingerichtet worden war. Sie wurden von einem Sprengsatz getroffen, als sie versuchten, den Hauptstützpunkt der Uno zu erreichen, um sich dort in Sicherheit zu bringen.
Menschliche Schutzschilde
Der Bericht dokumentiert auch Verstösse der bewaffneten Oppositionsgruppe Sudan People's Liberation Army-in-Opposition (SPLA-IO). So wird beschrieben, wie Kämpferinnen und Kämpfer der Opposition am 10. und 11. Juli 2016 in die Schutzzonen des Uno-Stützpunkts im Stadtteil Jebel eindrangen.
Ausserdem hat die SPLA-IO einen Stützpunkt in der Nähe einer Schutzzone für Zivilpersonen errichtet. Dadurch wurden Zivilpersonen der Gefahr ausgesetzt, bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Oppositionsgruppen und Regierungstruppen zwischen die Fronten zu geraten.
«Mein Leben ist zerstört»
Die Kämpfe begannen am 8. Juli, als es am Präsidentenpalast zu einem Schusswechsel kam zwischen Truppen, die loyal zu Präsident Salva Kiir standen, und Kämpferinnen und Kämpfern, die den Vize-Präsidenten Riek Machar unterstützen. Kurz darauf attackierten Regierungstruppen Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Gruppe der Nuer oder ihrer mutmasslichen politischen Unterstützung für Riek Machar.
Der 32-jährige Journalist John Gatluak Manguet Nhial, der Gesichtsnarben der ethnischen Gruppe der Nuer aufwies, wurde bei einem Angriff auf das Hotel Terrain am 11 Juli von einem Regierungssoldaten erschossen, wobei andere Soldaten höhnisch riefen: «Nuer, Nuer.»
Eine 24-jährige Angehörige der Dinka, deren Ehemann Nuer ist und seit Juli vermisst wird, berichtete Amnesty, dass Regierungstruppen das Grundstück der Familie gestürmt und ihren Mann und Schwager festgenommen hätten. Sie habe den Soldaten gesagt, dass die beiden Männer für die Regierung arbeiteten. Die Soldaten hätten darauf geantwortet, dass sie immer noch Nuer seien, und «Nuer sind Rebellen». «Mein Leben ist zerstört», sagte sie gegenüber Amnesty. «Ohne ihn ist mein Leben hoffnungslos.»
Soldaten vergewaltigten gezielt Frauen, die nicht der Gruppe der Dinka angehörten. Damit sollte ihnen Leid zugefügt und ihre Ehemänner erniedrigt und bestraft werden. Eine 35-jährige Angehörige der Nuer, die von drei Soldaten vergewaltigt worden war, gab an, dass die Männer gesagt hätten: «Dein Mann ist ein Nuer, also ein Feind.» Ihre Kleidung sei voller Blut gewesen, als die Männer sie schliesslich freiliessen.
Das Versagen der Uno-Friedenstruppen
Der neue Amnesty-Bericht zeigt auch schwere Verfehlungen der Uno-Friedenstruppen auf. Die Reaktion der Uno-Truppen auf die Gewalt war «enttäuschend und unangemessen». Zivilpersonen wurden nicht vor Vergewaltigungen und Tötungen geschützt.
Eine 24-jährige Nuer-Frau wurde vor dem Uno-Stützpunkt in Jebel von fünf Regierungssoldaten vergewaltigt. Ihren Angaben zufolge konnten sowohl Angehörige der Uno-Friedenstruppe als auch private Sicherheitsleute die Tat beobachten, kamen ihr aber nicht zu Hilfe. Auch beim Angriff auf das Hotel Terrain, bei dem Frauen von mehreren Männern vergewaltigt wurden, griffen die Uno-Truppen nicht ein, obwohl ihr Stützpunkt nur einen Kilometer entfernt liegt.
Während der Kämpfe haben Uno-Friedenstruppen sogar ihre Stellungen verlassen, als sie in einer der für Zivilpersonen eingerichteten Schutzzonen, POC 1, unter Feuer gerieten. Die Zivilpersonen wurden dadurch schutzlos zurückgelassen.
Uno-Friedenstruppen gefährdeten die Zivilbevölkerung sowohl durch ihre Handlungen als auch durch ihre Untätigkeit. In einem Fall schossen Uno-Truppen Tränengas in eine Gruppe verängstigter Nuer-Angehöriger auf dem Uno-Stützpunkt Jebel.
«Die Uno-Friedenstruppen sind an ihrer Aufgabe gescheitert, die Zivilbevölkerung zu schützen. Sie standen untätig daneben, als Menschen vergewaltigt und getötet wurden», so Joanne Mariner.
Verantwortliche für Gewalt müssen zur Rechenschaft gezogen werden
Der neue Amnesty-Bericht kritisiert auch den Einsatz von Militärgerichten bei Verfahren, in denen Soldatinnen und Soldaten Straftaten zur Last gelegt werden. Angesichts des chronischen Versagens der Justiz im Südsudan muss ein sogenannter hybrider Gerichtshof für schwere Menschenrechtsverbrechen, wie dem vorsätzlichen Töten von Zivilpersonen, eingesetzt werden. Ein hybrider Gerichtshof setzt sich aus internationalen und südsudanesischem juristischem Personal zusammen.
«Systematische Vergewaltigungen und Tötungen dürfen nicht straffrei bleiben. Die Regierung des Südsudan muss sicherstellen, dass diese Taten umgehend, unparteiisch und unabhängig untersucht werden. Diejenigen, die solcher Verbrechen verdächtigt werden, müssen in fairen Verfahren vor zivilen Gerichten und ohne Todesstrafe zur Verantwortung gezogen werden», so Mariner.