In den Lagern nahe der Stadt Tambura im Südsudan herrschen menschenunwürdige Zustände: Essen ist knapp, sanitäre Anlagen sind kaum vorhanden.  © Amnesty International
In den Lagern nahe der Stadt Tambura im Südsudan herrschen menschenunwürdige Zustände: Essen ist knapp, sanitäre Anlagen sind kaum vorhanden. © Amnesty International

Südsudan Tötungen, Massenvertreibungen und Terror in Western Equatoria

Während der jüngsten Welle der Gewalt in Western Equatoria im Südsudan wurden Dutzende Zivilpersonen getötet und mehr als 80 000 Menschen vertrieben. Dies zeigen neuste Recherchen von Amnesty International. Recherchen vor Ort ergaben, dass die ethnischen Spannungen von Politiker*innen weiter angeheizt werden.

Bei Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen im Bundesstaat Western Equatoria im Südsudan wurden von Juni bis Oktober 2021 Dutzende Zivilpersonen getötet, und Zehntausende vertrieben. Zu diesem Ergebnis kommt Amnesty International nach einer Recherche und der Befragung von zahlreichen Überlebenden.

Laut Amnesty International kam es 2021 im Bezirk Tambura zu Zusammenstössen zwischen konkurrierenden lokalen Gruppen, die einerseits mit den Streitkräften des Südsudan (SSPDF) und andererseits mit der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung In Opposition (SPLM-IO) verbündet sind.

Die jüngste Gewalt geht auf die Zuweisung des Bundesstaates an die SPLM-IO im Mai 2020 zurück. Dieser Entscheid war Teil des Friedensabkommens von 2018. Trotz der Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit Anfang 2020 hält die Gewalt in verschiedenen Gebieten des Südsudan an, wobei die Konfliktparteien und die mit ihnen verbündeten lokalen Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Wichtige Bestimmungen des Friedensabkommens – darunter auch einige zu den Bereichen Rechenschaftspflicht und Sicherheit – sind nach wie vor nicht umgesetzt.

In der ersten detaillierten Menschenrechtsanalyse dieses Konflikts dokumentierte Amnesty International mögliche Kriegsverbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen, die von allen Konfliktparteien an Angehörigen der Azande- und Balanda-Gemeinschaften begangen wurden, welche zuvor über Generationen hinweg friedlich miteinander gelebt hatten und durch Ehen mit Angehörigen der jeweils anderen Gemeinschaft verbunden waren.

Amnesty International befragte 76 Personen, darunter Binnenvertriebene, humanitäres Personal, Regierungsangehörige und Aktivist*innen. 50 davon waren Angehörige der Gemeinschaften der Azande und Balanda oder Überlebende, die in Wau, Yambio und Tambura, dem früheren Epizentrum der Gewalt, Zuflucht gefunden hatten.

Entführungen und rechtswidrige Tötungen

«Seit Politiker*innen den ethnischen Hass geschürt und die Jugend zum Kampf mobilisiert haben, gibt es Tod, Zerstörung und Spaltung. Die Zeug*innenaussagen, die wir zusammengetragen haben, sprechen von unvorstellbarer Gewalt. Zivilpersonen wurden auf der Flucht getötet, Leichen in Brand gesteckt und verstümmelt», sagte Deprose Muchena, Regionaldirektor für das östliche und südliche Afrika bei Amnesty International. «Dass an den Angriffen nicht nur lokale Gruppen beteiligt waren, zeigt, dass es sich um weit mehr als nur um Gewalt zwischen ethnischen und religiösen Gruppen handelt.»

Die Überlebenden berichteten von erschütternden Erlebnissen: Viele mussten flüchten, weil sie stundenlang beschossen wurden und weil ganze Stadtteile in Brand gesetzt wurden. Dreizehn Zeug*innen, von denen einige kurzzeitig entführt worden waren, berichteten von Vorfällen, bei denen Angehörige der SSPDF oder der SPLM-IO Menschen kurzerhand erschossen oder ihnen die Kehle durchgeschnitten haben. Nach Angaben der örtlichen Behörden wurden rund 300 Menschen getötet.

Eine 20-jährige Angehörige der Balanda-Gemeinschaft schilderte, wie drei bewaffnete Männer, die Gesichtsbedeckungen trugen, am 2. September nachts in ihrem Haus in der Stadt Tambura auftauchten. Sie töteten ihren 27-jährigen Ehemann, während sie und ihre dreijährige Tochter zusehen mussten. «Ich, mein Mann und mein Kind schliefen... Einer von ihnen kam herein und zerrte meinen Mann nach draussen... Sie setzten ihn neben die Tür und erschossen ihn... vor meinen Augen. Ich sah, wie mein Mann zu Boden fiel», sagte sie gegenüber Amnesty International.

Eine weitere Zeugin erzählte, wie Kämpfer*innen im August in Mupoi die Leiche ihres Bruders verbrannten, nachdem sie ihn enthauptet hatten. Ihr Mann und drei ihrer Kinder waren Wochen zuvor entführt und getötet worden.

Die Überlebenden gaben an, dass einige ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität zurückgelassen und getötet wurden. Eine Zeugin beschrieb, wie bewaffnete Männer eine psychisch kranke Frau zu Tode prügelten, bevor sie ihren Leichnam in Brand steckten.

Vertreibungen führen zu humanitärer Krise

Von Amnesty International ausgewertete Satellitenaufnahmen zeigen, dass zwischen Juni und Oktober zahlreiche Gebäude im ganzen Land beschädigt oder zerstört wurden. Dies betrifft unter anderem die Orte Tambura und Mupoi, einschliesslich des Umlands, sowie die Gegend um Source Yubu. Die Mehrheit der Befragten gab an, dass ihre Häuser geplündert oder niedergebrannt wurden. Aufgrund der unsicheren Situation konnten sie die Ernte nicht einholen. Viele von ihnen sind von der Landwirtschaft abhängig.

Bewaffnete Männer haben Gesundheitseinrichtungen geplündert und gebrandschatzt, was die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung massiv beeinträchtigte. Eine leitende Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation berichtete Amnesty International im November, dass 13 der 20 medizinischen Einrichtungen im Bezirk Tambura durch Vandalismus unbrauchbar gemacht worden waren und auch die restlichen Einrichtungen «kaum funktionsfähig» seien.

Ein anderer humanitärer Helfer erklärte, dass zum Zeitpunkt des Interviews im November nur acht der 53 Schulen im Bezirk geöffnet waren.

Nach von den Vereinten Nationen überprüften Regierungsangaben wurden durch die Kämpfe mehr als 80 000 Menschen vertrieben. Einige von ihnen sind in provisorischen Unterkünften in Tambura untergebracht; darunter eine Kirche und ein von Uno-Friedenstruppen geschütztes Lager. Andere flohen bis in die südlich gelegene Landeshauptstadt Yambio, wieder andere bis in den Norden nach Wau, die Hauptstadt des Bundesstaates Western Bahr el Ghazal.

Die Vertriebenen berichteten von unhaltbaren Zuständen sowohl in den Lagern als auch in anderen Unterkünften. Es gebe weder ausreichend Lebensmittel noch Medikamente. Die Mehrheit der Betroffenen gab an, dass sie entweder gar keine humanitäre Hilfe oder nur eine einmalige 15-Tage-Ration an Grundnahrungsmitteln erhalten hätten. Diese Aussagen wurden von Amnesty International nach dem Besuch in den Lagern vor Ort bestätigt.

Die Überlebenden haben weiterhin Angst vor den Kämpfer*innen, obwohl die Kampfhandlungen offiziell für beendet erklärt wurden. Auch Politiker*innen, die die Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen schürten, seien nach wie vor eine Bedrohung. Viele Betroffene betonten ihren dringenden Bedarf an schneller Hilfe, einschliesslich psychosozialer Unterstützung.

«Die Regierung muss ihre Wiederaufbaubemühungen sowie die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen und Hilfsangebote für die Vertriebenen beschleunigen. Sie muss entsprechende Bedingungen schaffen, damit die Betroffenen sicher, freiwillig und dauerhaft in ihre Heimat zurückkehren können. Ausserdem muss sie dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden», sagte Deprose Muchena.

«Die Gewalt in Western Equatoria ist eine weitere deutliche Erinnerung daran, dass im Südsudan ein umfassender Prozess der Aufarbeitung notwendig ist. Dieser muss die Punkte Wahrheitsfindung, Reformen und Entschädigung sowie die Zusammenarbeit mit der Kommission der Afrikanischen Union zur Einrichtung eines Hybrid-Gerichts für den Südsudan umfassen. In der Zwischenzeit muss der Uno-Sicherheitsrat sein Waffenembargo aufrechterhalten, um den Zustrom von Waffen an die Konfliktparteien einzudämmen.»