Zentralafrikanische Republik Blog: Leichenschau in der Zentralafrikanischen Republik

Leichenschau in der Zentralafrikanischen Republik: Blog von Donatella Rovera, Expertin für Krisenregionen, Amnesty International

Donatella Rovera Donatella Rovera. © AI

Die Leiche eines zehnjährigen Jungen, erschossen, mit abgehackter Hand.

Die Überreste der Söhne eines 76-jährigen Mannes, der selbst nur knapp mit dem Leben davonkam, nachdem Anti-Balaka-Kämpfer drei Schüsse auf ihn abgegeben hatten und ihn für tot hielten.

Der leblose kleine Körper eines sechs Monate alten Babys, das zusammen mit zwölf weiteren Familienmitgliedern ermordet wurde, während seine Cousine mitansehen musste, wie ihrem Vater der Kopf abgeschlagen wurde.

«Sie haben meine Kinder erbarmungslos umgebracht. Vor unseren Augen wurden sie geschlachtet», weint eine verzweifelte Mutter, deren vier Söhne Ende Januar von Anti-Balaka-Milizen getötet wurden.

Willkommen in der Realität der Zentralafrikanischen Republik.

Während der vergangenen Wochen reiste ich als Mitglied einer Amnesty-Delegation im Land herum. Wir besuchten die Hauptstadt Bangui, aber auch Dörfer im Nordwesten des Landes, und untersuchten Fälle von Verstümmelung und Mord. Fall um Fall.

Hunderte von Menschen, in der Mehrzahl Muslime, sind in den letzten Wochen von christlichen Anti-Balaka-Milizen umgebracht worden. Ihre Häuser und Läden wurden geplündert und angezündet. Jene, die noch stehen, sind mit beleidigenden Graffitis übersprayt.

Inzwischen ist die Lage derart schlimm, dass Zehntausende aus ihren Dörfern und Städten geflohen sind. Viele vormals von Muslimen bewohnte Wohnviertel sind heute menschenleer. «Alle wollen hier weg», sagte mir der Chef eines muslimischen Viertels in Bouar, einer Stadt im Westen des Landes. «Wir warten nur auf eine Gelegenheit.»

Riskante Flucht

Wer kann, flieht per Auto oder Motorrad und reiht sich in die langen Konvois ein, die von tschadischen oder internationalen Truppen ausser Landes begleitet werden. Andere tragen ihre nötigste Habe in den Händen oder auf dem Rücken und springen auf bereits gefährlich überladene Lastwagen auf. Wieder andere versuchen zu Fuss zu fliehen, im Wissen, dass Anti-Balaka-Milizen sie jederzeit angreifen könnten.

Am 16. Januar zum Beispiel wurden etwa 20 Zivilistinnen und Zivilisten, darunter mehrere Kinder, erschossen und zu Tode gehackt, als sie aus dem Dorf Bohong fliehen wollten. In einem anderen Fall stoppten Anti-Balaka-Kämpfer an einem Checkpoint im Dorf Boyali einen Lastwagen, zwangen alle Muslime auszusteigen, und ermordeten eine sechsköpfige Familie.

Doch selbst wer das Glück hat, lebend aus der Zentralafrikanischen Republik zu entkommen, steht vor einer höchst ungewissen Zukunft. Die Aufnahmezentren im Tschad sind überfüllt, Essen und Wasser sind ein Luxus, eine Unterkunft ist extrem schwer zu bekommen, und medizinische Versorgung gibt es nahezu keine.

Eine Tragödie von historischem Ausmass

Kein Zweifel, der Exodus von Muslimen aus der Zentralafrikanischen Republik ist eine Tragödie historischen Ausmasses. Umso schockierender ist es, dass die internationale Gemeinschaft bisher nicht in der Lage war, angemessen auf die Situation zu reagieren. Die Stationierung von 5‘500 Soldaten der Afrikanischen Union und von 1‘600 französischen Soldaten in der Hauptstadt Bangui und in den Dörfern im Nord- und Südwesten reicht bei weitem nicht aus. Brutale Mordanschläge und andere Attacken sind weiterhin an der Tagesordnung.

Die religiös motivierte Gewalt gegen Muslime in den vergangenen Wochen war vorauszusehen. Amnesty International hatte bereits letzten Dezember die Alarmglocken geläutet. Doch die internationalen Friedenstruppen waren nicht imstande, die ethnischen Säuberungen zu stoppen. Dass sie überall wären und vor jedem Haus einen Soldaten stationierten, konnte nicht von ihnen verlangt werden. Aber sie hätten mehr tun können. Für Zehntausende Muslime, die inzwischen zum Verlassen des Landes gezwungen wurden, ist es nun zu spät. Aber noch sind andere im Land und in Gefahr.

Die Weltgemeinschaft muss jetzt sofort handeln, wenn die noch verbliebenen Muslime – Männer, Frauen, Kinder – wirksam geschützt werden sollen. Internationale Friedenskräfte müssen die Kontrolle durch Anti-Balaka-Milizen brechen und gut ausgerüstete Truppen in ausreichender Stärke in den Dörfern stationieren, in denen Muslime gefährdet sind. Truppen müssen aber auch in anderen Landesteilen stationiert werden, um die Zivilbevölkerung zu schützen, namentlich im Osten der Hauptstadt, wo die muslimischen Seleka-Rebellen der vormaligen Regierung sich sammeln und wo nun Rachefeldzüge gegen Christen drohen.

Auch nur eine Spur weniger zu tun, wäre katastrophal.

Dieser Blog erschien zuerst auf Englisch in The Independent vom 12. Februar 2014.