Mit dem Titel «The cost of curing: Health workers’ rights in the Americas during COVID-19 and beyond» (PDF, 23 Seiten) zeigt der Bericht auf, wie diejenigen, die an vorderster Front gegen die Pandemie kämpfen, dies oftmals unter unsicheren Arbeitsbedingungen und ohne ausreichende Sicherheitsausrüstung tun müssen und obendrein Repressalien von Behörden und/oder Arbeitgebern fürchten müssen, wenn sie Missstände kritisieren. In einigen Fällen wurden sogar Morddrohungen und körperliche Angriffe geschildert. Der Bericht verlangt von den zuständigen Regierungen, auch für das Reinigungspersonal und andere in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen tätige Berufsgruppen sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen, da diese an ihrem Arbeitsplatz ebenfalls einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.
«In diesen schwierigen Zeiten sind wir dem Reinigungspersonal in Krankenhäusern und Pflegeheimen, den ÄrztInnen und EpidemiologInnen, den Schwestern, Pflegern und PflegehelferInnen sowie den HausmeisterInnen dieser Einrichtungen zu tiefem Dank dafür verpflichtet, dass sie sich unermüdlich für unser aller Sicherheit und Gesundheit einsetzen. Nur Danke zu sagen, ist jedoch nicht genug. Die Regierungen müssen die notwendigen Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die grundlegenden Rechte und die Sicherheit dieser Menschen garantiert sind und nie wieder einem derartig hohen Risiko ausgesetzt werden», erklärt Erika Guevara-Rosas, Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International.
In den Ländern der Region Amerikas gibt es mehr als zwei Millionen bestätigte Covid-19-Fälle, was rund der Hälfte aller weltweit positiv auf das Virus getesteten Menschen entspricht. Gerade jetzt, da in Lateinamerika wöchentlich traurige Rekorde bei den Todeszahlen aufgestellt werden, ist dringend erforderlich dass die Staatsgemeinschaft zusammenkommt und Einschnitten bei der Finanzierung des Gesundheitswesens eine Absage erteilt. «Diese Pandemie kennt keine Grenzen», führt Guevara-Rosas aus und unterstreicht dass auch die USA eine globale Lösung unterstützen muss, indem sie gemeinsam mit anderen Ländern ihren Beitrag zur Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation WHO leistet. Nur so können die technischen Ressourcen und das Fachwissen dieser Institution dort eingesetzt werden, wo es am notwendigsten ist
Für diesen Bericht führte Amnesty International in den USA, Mexiko, Honduras, Nicaragua, Guatemala, der Dominikanischen Republik, Kolumbien und Paraguay ausführliche Interviews mit insgesamt 21 Beschäftigten im Gesundheitswesen durch. Nur zwei von ihnen gaben an, über eine angemessene bzw. nahezu angemessene Schutzausrüstung (Persönliche Schutzausrüstung, PSA) zu verfügen. Der Rest der Befragten berichtete mit Sorge vom Mangel an angemessener PSA und sprach Probleme in Bezug auf Themen wie Krankschreibungen, Arbeitspausen und psychologische Unterstützung am Arbeitsplatz an.
Die WHO-Richtlinien zur PSA-Rationierung besagen, dass Reinigungs- und Haushaltspersonal in grösserem Umfang über Schutzausrüstung verfügen sollten als GesundheitsarbeiterInnen (einschliesslich ÄrztInnen und Pflegekräfte) ohne direkten Kontakt mit Covid-19-Kranken. Wie Amnesty International in den Gesprächen herausfand, erhielten Reinigungskräfte oftmals nur einen niedrigen Lohn mit geringfügigen Sozialversicherungsleistungen und arbeiteten teilweise für Unternehmen, die ihnen keine angemessene PSA bereitstellen. Ein Arzt aus Honduras gab Amnesty International gegenüber an, er habe beobachtet, wie Reinigungskräfte mit ungeschützten Händen Bereiche säuberten, in denen sich zuvor Covid-19-PatientInnen aufgehalten hatten.
Ein 70-jähriger Gebäudereiniger, der im Auftrag eines Privatunternehmens an einem staatlichen Krankenhaus in Mexiko-Stadt für etwas mehr als fünf US-Dollar/Tag putzte, erklärte Amnesty International, was passierte, als er seinen Arbeitgeber aufgrund seines altersbedingten Risikos und dem Fehlen von PSA bat, nicht mehr in Abteilungen arbeiten zu müssen, in denen Dutzende Covid-19-PatientInnen untergebracht waren: Die Firma gab seiner Bitte zwar statt, kürzte dafür aber den Lohn des Mannes um 16 Prozent.
Mehrfach äusserten Beschäftigte im Gesundheitswesen Angst vor Repressalien, wenn sie unsichere Arbeitsbedingungen kritisieren. Einige der von Amnesty International befragten Personen waren entlassen oder mit Disziplinarmassnahmen belegt worden, weil sie sich über Missstände geäussert hatten. Tainika Somerville zum Beispiel, eine ausgebildete Pflegehelferin in einem privaten Pflegeheim in Chicago, wurde gekündigt, nachdem sie per Facebook-Livestream den Mangel an PSA an ihrem Arbeitsplatz kritisiert hatte. Dabei ist gerade das in Pflegeheimen tätige Personal besonders gefährdet, da diese Einrichtungen Medienberichten in den USA und Kanada zufolge zu den Epizentren der durch Covid-19 bedingten Todesfälle zählen.
In Nicaragua, wo die Regierung wiederholt das nationale Ausmass der Covid-19-Pandemie heruntergespielt hat, sind GesundheitsarbeiterInnen besonders gefährdet. Wie die zivilgesellschaftliche Beobachtungsstelle für die Pandemie in Nicaragua, das Observatorio Ciudadano Covid-19, Amnesty International berichtete, wurden GesundheitsarbeiterInnen entlassen, weil sie PSA am Arbeitsplatz trugen. Zum Teil wurde ihnen die Schutzausrüstung auch mit Gewalt abgenommen. Nicaraguas Vizepräsident erklärte zwar am 28. April, dass PSA grundsätzlich benutzt werden könne und Auflagen zum Abstandhalten eingeführt würden, aber die Regierung von Daniel Ortega spielt die Pandemie trotz steigender Fallzahlen weiterhin herunter. Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation OPS warnte mit Blick auf Nicaragua vor unzureichenden Schutzmassnahmen im Gesundheitsbereich, die Interamerikanische Menschenrechtskommission äusserte Besorgnis in Bezug auf die rechtswidrige Entlassung von GesundheitsarbeiterInnen, die in dem Land Missstände öffentlich gemacht hatten.
Vielerorts kommt es zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit mit Auswirkungen auf das Recht auf Gesundheit und auf den Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen. In mehreren Ländern wurden Journalisten festgenommen, die Informationen über die Pandemie veröffentlicht haben. Die bolivianische Regierung unter Jeanine Añez hat sogar ein Dekret erlassen, um strafrechtlich gegen Menschen vorzugehen, die "Ungewissheit" auslösen.
«Es ist unmöglich, die Gesundheit der mehr als einer Milliarde in Amerika lebenden Menschen zu schützen, wenn die Regierungen weiterhin WhistleblowerInnen, JournalistInnen und Beschäftigte im Gesundheitswesen zum Schweigen bringen, die mutig ihre Stimmen erheben, um unsichere Arbeitsbedingungen zu kritisieren und zu recht auf angemessene und verantwortungsvolle Massnahmen gegen die Pandemie drängen», sagt Erika Guevara-Rosas.
In Ländern wie Kolumbien und Mexiko werden GesundheitsarbeiterInnen stigmatisiert, tätlich angegriffen, mit Morddrohungen belegt und von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausgeschlossen. Während einige Regierungen auf derartige Angriffe zeitnah mit offiziellen Erklärungen und Aufklärungskampagnen reagierten, um die GesundheitsarbeiterInnen zu unterstützen und ihre Position zu stärken, taten andere Staatsführungen das Gegenteil.
Zwei Tage nachdem er Menschenrechtsorganisationen vorgeworfen hatte, mit ihrer Arbeit «sicherzustellen, dass noch mehr Menschen sterben», lehnte der Präsident El Salvadors, Nayib Bukele, Mitte April zwei Dekrete zur Verbesserung der Arbeitsplatzsicherheit von GesundheitsarbeiterInnen ab. Auch die WHO betont, dass die Vernachlässigung oder Verletzung von Menschenrechten ernsthafte gesundheitliche Folgen nach sich ziehen können.