Lancierung der Rio-Kampagne «Fünf Ringe für Rio. Eine Flamme für die Menschenrechte» © Klaus Petrus
Lancierung der Rio-Kampagne «Fünf Ringe für Rio. Eine Flamme für die Menschenrechte» © Klaus Petrus

Noch hundert Tage bis Rio Erneuter Anstieg der Polizeigewalt vor den Olympischen Spielen

Medienmitteilung 27. April 2016, Rio de Janeiro, Bern – Medienkontakt
Die Polizei in Rio de Janeiro hat seit Monatsbeginn bereits elf Personen erschossen. Die erneute Zunahme der Polizeigewalt versetzt die Bewohnerinnen und Bewohner der Favelas in Angst und Schrecken, stellt Amnesty International 100 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele fest. Die Schweizer Sektion startet deshalb die Kampagne «Fünf Ringe für Rio. Eine Flamme für die Menschenrechte». Prominente Unterstützer: Fussballer Gelson Fernandes und Schauspieler Urs Althaus.

Mindestens 307 Menschen wurden 2015 alleine in der Stadt Rio de Janeiro von der Polizei getötet. In anderen Worten: Einer von fünf Toten ging auf das Konto der Polizei. Statt die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, gehen die Behörden der Stadt mit harter Hand gegen friedliche Demonstrierende vor.

«Den Bewohnerinnen und Bewohnern von Rio wurde als Vermächtnis der Olympischen Spiele eine sichere Stadt versprochen. Stattdessen erleben sie einen Anstieg der Polizeigewalt – bis hin zu Tötungen», sagt Atila Roque, Direktor von Amnesty International Brasilien. «Die Polizei reagiert auf Demonstrationen und Proteste vermehrt mit Gewalt: In den vergangenen Jahren wurden durch den Einsatz von Gummigeschossen, Handgranaten und Feuerwaffen mehrere Menschen ernsthaft verletzt.»

Weder Ermittlungen noch klare Vorschriften für die Polizei

«Zu kaum einem der tödlichen Polizeieinsätze wurden bisher Ermittlungen eingeleitet und die Sicherheitskräfte erhalten weder ein angemessenes Training noch klare Vorschriften für den Einsatz von sogenannten «nicht-tödlichen Waffen». Demonstrierende werden mittlerweile wie Staatsfeinde behandelt.»

«Die Behörden der Stadt und das Organisationskomitee von Rio 2016 haben noch hundert Tage Zeit, um sicherzustellen, dass durch Einsätze zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit an den Olympischen Spielen keine Menschenrechte verletzt werden. Wir erwarten von den Polizeikräften, dass sie bei ihren Einsätzen mit Umsicht vorgehen, statt ihre bisherigen Strategie ‹erst schiessen, später fragen› fortzuführen.»

Anstieg der Polizeigewalt während der Weltmeisterschaft

Während der Fussballweltmeisterschaft in Brasilien 2014 tötete die Polizei im Bundesstaat Rio de Janeiro 580 Menschen, das entsprach einem Anstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2015 stieg die Zahl der Opfer tödlicher Polizeigewalt sogar auf 645.

Obwohl kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zunahme der Tötungen durch Polizistinnen und Polizisten und den Vorbereitungen für die Olympischen Spiele besteht, zeichnen die Zahlen ein klares Bild von exzessivem Gewalteinsatz und Straffreiheit für die Sicherheitsbeamten. Solange die Verantwortlichen nicht zur Verantwortung gezogen werden, wird die Polizeigewalt in Rio de Janeiro nicht weniger werden.

Junge, schwarze Männer am stärksten betroffen

Im August 2015 veröffentlichte Amnesty International den Bericht «You Killed My Son: Homicides Committed by Military Police in the City of Rio de Janeiro» (pdf, 47 p.). Dieser belegt, dass die Gewaltbereitschaft der Polizei in der Favela Acari nach der Weltmeisterschaft 2014 gestiegen ist. Die grosse Mehrheit der Opfer exzessiver Polizeigewalt sind junge, schwarze Männer, die in den Favelas oder anderen marginalisierten Gegenden wohnen.

«Es ist beunruhigend, zu sehen, wie die Polizei in Rio und anderen brasilianischen Städten jeden Tag tötet und die Behörden kaum was dagegen unternehmen. Den Preis für das Versagen der Behörden bezahlen mehrheitlich die Bewohnerinnen und Bewohner der Favelas» sagt Atila Roque.

Anti-Terror-Gesetz zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit

Weitere Besorgnis bereitet die gewaltsame Unterdrückung von Protesten im Vorfeld der Olympischen Spiele. Zwei Jahre nach der Fussball-Weltmeisterschaft sind noch immer keine wirksamen Massnahmen zur Verhinderung von Polizeigewalt implementiert worden. Und das, obwohl Amnesty International damals mehrere Fälle von exzessiver und unnötiger Gewaltanwendung durch die Polizei bei Protestkundgebungen dokumentiert hatte.

Bezeichnenderweise ist das einzige Gesetz, das die Regierung zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit mit Blick auf die Olympischen Spiele erlassen hat, ein Anti-Terror-Gesetz, das häufig als Vorwand dient, um Protestkundgebungen zu verbieten oder Protestierende zu kriminalisieren.

Lancierung der Rio-Kampagne in der Schweiz

Am 23. April lancierte die Schweizer Sektion von Amnesty International anlässlich ihrer Generalversammlung in Genf die Kampagne «Fünf Ringe für Rio. Eine Flamme für die Menschenrechte.» Die Kampagne fordert einen Stopp der Polizeigewalt und will eine Zunahme der Menschenrechtsverletzungen im Kontext der Olympischen Spiele verhindern. Schweizer Botschafter der Kampagne sind Gelson Fernandes, Fussballspieler der Schweizer Nationalmannschaft, und Urs Althaus, Schauspieler und Schriftsteller.

Die Online-Petition dazu finden Sie auf www.amnesty.ch/rio2016