Indem das Unternehmen seine Lieferkette nicht ausreichend darauf prüft, ob Rinder illegal in Schutzgebieten im Amazonas-Regenwald geweidet wurden, verstösst JBS gegen seine Sorgfaltspflicht gemäss der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. JBS trägt damit zu Menschenrechtsverletzungen gegen indigene Gemeinschaften und Bewohnerinnen und Bewohner von Reservaten bei: Das Unternehmen schafft wirtschaftliche Anreize für die illegale Haltung von Rindern in Schutzgebieten, wie Amnesty International in dem Bericht «From Forest to Farmland» aufzeigt.
«JBS ist sich seit spätestens 2009 der Risiken bewusst, dass Rinder, die illegal in Schutzgebieten weiden, in seine Lieferkette gelangen können», sagte Richard Pearshouse, leitender Krisen- und Umweltexperte bei Amnesty International. «JBS hat es versäumt, ein wirksames Überwachungssystem für seine Lieferkette, einschliesslich seiner indirekten Lieferanten, einzuführen. Es muss den verursachten Schaden wiedergutmachen und umgehend Systeme einführen, um zu verhindern, dass sich dies wiederholt.»
Die Menschenrechtsorganisation fand an den drei untersuchten Standorten im Bundesstaat Rondônia zwar keine Hinweise auf eine direkte Beteiligung von JBS an Menschenrechtsverletzungen; Amnesty stellte allerdings fest, dass das Fleisch illegal in Schutzgebieten geweideter Rinder in die Lieferkette des Unternehmens gelangt war. Die Menschenrechtsorganisation fordert JBS auf, bis Ende 2020 die notwendigen Schritte einzuleiten, um diesen Missstand zu beheben.
Grosse Teile des Regenwalds wegen Rinderzucht vernichtet
Rund drei Viertel des brasilianischen Rindfleischs werden im Inland konsumiert. Das verbleibende Viertel gelangt in die globale Lieferkette und macht Brasilien zum weltweit grössten Rindfleischexporteur. Die Hauptabsatzmärkte sind China, Hongkong, Ägypten, Chile, die Europäische Union, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland.
Innerhalb der brasilianischen Viehwirtschaft verzeichnet die Amazonasregion das grösste Wachstum. So hat sich die Rinderzahl in diesem Gebiet von 1988 bis 2018 fast vervierfacht. Durch die Ausweitung der Weideflächen wurden weite Teile geschützten Regenwalds auf dem Territorium indigener Gemeinschaften und in Reservaten vernichtet. Insgesamt sind aus 63 Prozent des zwischen 1988 und 2014 abgeholzten Regenwalds Weideflächen geworden – eine Fläche fünf Mal so gross wie Portugal. Im November 2019 veröffentlichte Amnesty International einen entsprechenden Bericht und dokumentierte detailliert diese Entwicklung.
Regierungsangaben zufolge gingen zwischen August 2018 und Juli 2019 in indigenen Amazonasgebieten 497 km² Regenwald verloren.
Regierungsangaben zufolge gingen zwischen August 2018 und Juli 2019 in indigenen Amazonasgebieten 497 km² Regenwald verloren. Im Vergleich mit der Fläche aus dem gleichen Zeitraum im Vorjahr entspricht das einer Steigerung von 91 Prozent.
Amnesty International besuchte für den Bericht drei verschiedene Gebiete: das Territorium der indigenen Gemeinschaft der Uru-Eu-Wau-Wau sowie die Reservate Rio Jacy-Paraná und Rio Ouro Preto, alle im Bundesstaat Rondônia.
In all diesen Gebieten verloren indigene Gemeinschaften durch illegale Landaneignungen Teile ihrer angestammten Ländereien, die eigentlich gesetzlich geschützt sind. Die Landrechte indigener Menschen sind zudem in internationalen Menschenrechtsnormen festgeschrieben. In allen drei Gebieten ist die kommerzielle Viehhaltung gesetzlich verboten.
Landraub und Vertreibung von Indigenen
Die illegale Landaneignung geht häufig mit Drohungen, Einschüchterung und Gewalt einher. Einige Angehörige der Uru-Eu-Wau-Wau haben beschrieben, wie sie nachts Schüsse hörten oder wie ihre Kinder mit dem Tode bedroht wurden. Andernorts wurden Gemeinschaften vertrieben, sie müssen bei einer Rückkehr um ihr Leben fürchten. Über die vergangenen 20 Jahre hinweg sind die meisten BewohnerInnen des Reservats Rio Jacy-Paraná vertrieben worden, um Weideflächen zu erschliessen.
Die illegale Landaneignung geht häufig mit Drohungen, Einschüchterung und Gewalt einher.
Amnesty International hat Satellitenaufnahmen ausgewertet, die die Angaben der ehemaligen BewohnerInnen bestätigen: Ehemals bewaldete Flächen sind nun gerodet und man kann weidende Rinder und Wasserlöcher erkennen.
In Brasilien müssen die Behörden der einzelnen Bundesstaaten per Gesetz umfassende Daten zur Viehzucht erheben. Hierzu zählen zum Beispiel Informationen über den Standort von Rinderfarmen, auch von Farmen in Schutzgebieten. Diesen offiziellen Zahlen zufolge ist die kommerzielle Viehhaltung in Schutzgebieten – wo diese Praxis illegal ist – stark angestiegen. Zwischen November 2018 und April 2020 stieg die Zahl der gehaltenen Rinder um 22 Prozent an, von 125'560 auf 153'566.
«Cattle Laundering»
In den allermeisten Fällen werden die Rinder von Farmen in Schutzgebieten zu anderen Ranches transportiert, bevor sie zum Schlachthof gebracht werden. Das bedeutet, dass selbst Fleischerzeugnisse von legalen Rinderfarmen möglicherweise von Rindern stammen, die man zuvor illegal in Schutzgebieten weiden liess.
Laut Angaben von ExpertInnen, mit denen Amnesty International gesprochen hat, gibt es Hinweise darauf, dass Rinder durch solche nachgeschalteten Ranches geschleust werden, um den Anschein von Legalität zu erwecken – eine Praxis, die als cattle laundering bekannt ist und existierende Überwachungsmechanismen umgeht.
Amnesty International kommt zu dem Schluss, dass in den Bundesstaaten die zuständigen Stellen für Tiergesundheitskontrollen – wie z. B. IDARON, die entsprechende Behörde im Bundesstaat Rondônia –de facto die illegale kommerzielle Viehzucht ermöglichen. Sie registrieren kommerzielle Rinderfarmen und stellen ihnen Dokumente für Viehtransporte aus, auch wenn die Farmen sich in Reservaten oder indigenen Gebieten befinden.
Informationen über die Recherchearbeit von Amnesty International
Amnesty International hat über 18 Monate hinweg in mehreren brasilianischen Bundesstaaten in der Amazonasregion recherchiert. Dabei sprach die Organisation mit 24 Angehörigen indigener Gemeinschaften und ReservatsbewohnerInnen sowie mit 18 Regierungsangehörigen und anderen ExpertInnen. Zudem wurden Satellitenaufnahmen von kürzlich gerodeten Gebieten ausgewertet und offizielle Zahlen zur Registrierung von Viehhaltung und Rindertransporten analysiert.
Der neue Amnesty-Bericht baut auf vergangenen Recherchetätigkeiten auf, die die Organisation im Jahr 2019 in der Amazonasregion durchgeführt hatte. Damals warnte Amnesty International vor Zusammenstössen und Entwaldung und dokumentierte Gewalt gegen indigene Gemeinschaften sowie den wirtschaftlichen Anreiz, den die Viehzucht für die Abholzung neuer Waldstücke bietet.
Über JBS
JBS ist ein in Brasilien ansässiges multinationales Unternehmen, das 1953 im Bundesstaat Goiás gegründet wurde. Es beschreibt sich selbst als «eines der weltweit führenden Unternehmen in der Lebensmittelbranche». JBS ist der grösste Rindfleischproduzent der Welt und befindet sich damit in einer einflussreichen Position, um menschenrechtliche Auswirkungen entlang seiner Lieferkette zu verhindern bzw. zu minimieren.
Amnesty International wandte sich 2019 schriftlich mit einigen Erkenntnissen und Fragen an JBS. Weite Teile der Stellungnahme von JBS sind im Bericht enthalten.