Amnesty International hat die Untersuchung der schweren Menschenrechtsverletzungen und möglichen Völkerrechtsverbrechen, die im Kontext der Proteste in Chile begangen werden, noch nicht abgeschlossen. Doch auch die bis jetzt vorliegenden Informationen lassen den Schluss zu, dass dies keine isolierten Vorkommnisse sind, sondern eine kontinuierliche exzessive Gewaltanwendung durch die chilenischen Behörden vorliegt.
Die Sicherheitskräfte gehen mit konstanter Gewalt gegen die Demonstrierenden vor. Er ika Guevara Rosas, Amnesty-Direktorin für die Region Amerikas.
«Es ist offensichtlich, dass Präsident Sebastián Piñera nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Massnahmen ergriffen hat, um die schweren Menschenrechtsverletzungen und möglichen Völkerrechtsverbrechen zu stoppen, zu denen es seit Beginn der Proteste in Chile kommt. Die Sicherheitskräfte gehen mit konstanter Gewalt gegen die Demonstrierenden vor, und dies könnte noch zunehmen, nachdem der Präsident am 7. November neue Sicherheitsmassnahmen vorgeschlagen hat», befürchtet Erika Guevara Rosas, Amnesty-Direktorin für die Region Amerikas.
Amnesty vor Ort
«Diese Kontinuität zeigt, dass es keinen wirklichen Willen gibt, die gescheiterte Strategie zu korrigieren und den Forderungen der Bevölkerung ohne Verletzung ihrer Rechte zu begegnen. Wir wiederholen unseren Aufruf an Präsident Piñera: Ordnen Sie unverzüglich die Einstellung der exzessiven Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte an, da andernfalls kein Raum für einen wirklichen Dialog entstehen kann, in dem die Forderungen der chilenischen Gesellschaft gehört werden. Die Welt blickt jetzt auf Chile.»
Das Krisenteam von Amnesty International für die Region Amerikas befindet sich seit zwei Wochen vor Ort und führt zusammen mit Amnesty International Chile eine minuziöse Dokumentation der schweren Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverbrechen durch. Das Recherche-Team hat sich mit chilenischen Behörden, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und deren Angehörigen getroffen. Zudem hat Amnesty International in nur einer Woche mehr als 10'000 Anzeigen und viel audiovisuelles Material zu der exzessiven Gewaltanwendung des Militärs und der Carabineros erhalten – beides wird derzeit von den ExpertInnen für Digitales und Waffen bei Amnesty International ausgewertet. Die Ergebnisse werden in Kürze vorgestellt.
Es gibt Tausende von Fällen und sie geschehen praktisch im ganzen Land. Ana Piquer, die geschäftsführende Direktorin von Amnesty International Chile.
«Was in Chile derzeit passiert, ist furchtbar. Schon seit drei Wochen setzt der Staat exzessive und vielfach unnötige Gewalt ein, oft gegen Personen, die an überwiegend friedlichen Demonstrationen teilnehmen oder sich in ihrer Nähe aufhalten. Damit das klar ist: Wir sprechen nicht von vereinzelten Vorfällen. Es gibt Tausende von Fällen und sie geschehen praktisch im ganzen Land», betonte Ana Piquer, die geschäftsführende Direktorin von Amnesty International Chile.
«Es ist erschreckend, dass in nur wenigen Tagen mehr als 20 Menschen gestorben sind, fünf davon allem Anschein nach durch das Verhalten staatlicher Akteure. Zu diesen düsteren Zahlen summieren sich Hunderte Personen, die dauerhafte Verletzungen davongetragen haben. So zum Beispiel den Verlust des Augenlichts durch Gummi- oder Tränengasgeschosse, die auf ihre Gesichter gerichtet waren. Darüber hinaus haben wir Fälle von Folter und sexualisierter Gewalt dokumentiert. Wie kann die chilenische Regierung die Schwere dieser Fakten, zu denen täglich weitere hinzukommen, herunterspielen? Es müssen dringend Massnahmen ergriffen werden, um dies zu stoppen.»