Am 8. November 2019 hatte Gustavo Gática an einem Protest gegen die zunehmende Ungleichheit in Chile teilgenommen. Die Polizei löste die Demo mit Gewalt auf, indem sie mit schrotgeladenen Flinten in die Menge schoss. Zahlreiche Menschen erlitten verheerende Verletzungen und verloren - wie Gustavo Gática - das Augenlicht. © Privat
Am 8. November 2019 hatte Gustavo Gática an einem Protest gegen die zunehmende Ungleichheit in Chile teilgenommen. Die Polizei löste die Demo mit Gewalt auf, indem sie mit schrotgeladenen Flinten in die Menge schoss. Zahlreiche Menschen erlitten verheerende Verletzungen und verloren - wie Gustavo Gática - das Augenlicht. © Privat

Good News Chile Ermittlungen gegen Polizeikommandanten wegen Gewalt gegen Protestierende

9. Oktober 2024
Am 9. Oktober 2024 nahm die chilenische Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungen gegen drei hochrangige Polizeikommandanten auf. Unter ihrem Kommando grassierte die Polizeigewalt, die bei den landesweiten Protesten 2019 zu zwei Todesopfern und Tausenden von Verletzten unter den Protes-tierenden führten.

Zu Beginn der Anhörung teilte die Staatsanwaltschaft der Region Metropolitana Centro Norte mit, dass sie gegen die Polizeikommandanten Ermittlungen eingeleitet hat wegen der Unterlassung, gegen die rechtswidrigen Nötigungen (Misshandlungen) von Polizeibeamten gegen Protestierende vorzugehen. Aufgrund dieser Unterlassungstat kam es mutmasslich zu schweren Verletzungen und Tötungen in Folge der Polizeigewalt.

Gemäss internationalem Recht und chilenischer Gesetzgebung sind die für die Polizeikräfte verantwortlichen Befehlshabenden unter bestimmten Umständen für die Handlungen ihrer Untergebenen haftbar. Dies kann der Fall sein, wenn Befehlshabende ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben. Amnesty International hat dies in mehreren Berichten erläutert, zuletzt im Bericht «Verpflichtungen nach internationalem Recht zur Untersuchung und Bestrafung von Vorgesetzten, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind» («Obligaciones de derecho internacional de investigar y sancionar a los responsables jerárquicos de violaciones de derechos humanos», auf Spanisch).

Bei den Ermittlungen soll geklärt werden, ob die Befehlshaber individuell strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können dafür, dass sie es unterlassen haben, die schweren Verletzungen von Tausenden von Demonstranten zu verhindern, obwohl sie dazu in der Lage waren und es ihre Pflicht gewesen wäre. Die strafrechtliche Untersuchung gegen die Polizeikommandeure, welche die Misshandlungen an den Protestierenden zugelassen haben, ist ein Meilenstein für Chile. Das Land hat nun die historische Chance, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die ihre Machtposition nicht genutzt haben, um irreversiblen Schaden von Tausenden von Menschen abzuwenden. Auch für andere Länder in der Region ist dies ein wertvoller Präzedenzfall.

Amnesty begrüsst das Ermittlungsverfahren gegen die befehlshabenden Polizeikommandanten. Die Organisation begrüsst ebenfalls das Ausscheiden des derzeitigen Generaldirektors aus seiner Funktion, da seine fortwährende Anwesenheit ein Risiko für die Verfahrensbeweise und die Einhaltung der Garantien der Nichtwiederholung darstellte.

Hintergrund

Seit Oktober 2019 prangern Amnesty International und andere chilenische und internationale Menschenrechtsorganisationen den wahllosen Einsatz von Metall- und Gummigeschossen durch die Polizei an. Die Geschosse verletzten Tausende von Menschen, über 400 Menschen erlitten schwere Augenschäden. Insgesamt liegen über 1100 Fälle von rechtswidriger Nötigung (Misshandlung) durch die Polizei vor.

Amnesty International hat Hintergrundinformationen zu dieser strafrechtlichen Untersuchung beigesteuert, die sich auf die Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit beziehen, die zwischen dem 18. Oktober und dem 30. November 2019 stattgefunden hat (s. Bericht «Eyes on Chile: Polizeigewalt und Befehlsverantwortung während der Zeit der sozialen Unruhen»). In diesem Bericht dokumentierte Amnesty, dass mehrere Polizeikommandanten – darunter der derzeitige Generaldirektor und der damalige Direktor für Ordnung und Sicherheit – durch vorsätzliche Unterlassungen eine Strategie zur Unterdrückung der Proteste umsetzten, bei der wahllos und unsachgemäss mit Schrotflinten geschossen wurde. Diese Waffen waren mit äusserst gefährlicher Munition geladen, wodurch Tausende Menschen verletzt wurden und über 400 Menschen Augenschäden erlitten.

In vielen Ländern wird das Recht auf Protest täglich durch den Einsatz extrem schädlicher Waffen und Munition bedroht, obwohl deren Einsatz bei Protesten nach internationalem Recht verboten ist.