Kolumbien Opfer von sexueller Gewalt im Stich gelassen

21. September 2011, aktualisiert am 31. Mai 2012
Frauen und Mädchen werden in Kolumbien oft wie Kriegstrophäen behandelt. Angehörige aller Konfliktparteien üben sexuelle Gewalt aus, um Frauen zu bestrafen oder sie zum Schweigen zu bringen.

800_colombia.jpg Überlebende von sexueller Gewalt bilden mit ihren Händen einen Kreis, März 2011 © Corporación Sisma Mujer

Millionen von Frauen, Männern und Kindern wurden in Kolumbiens 45-jährigem Konflikt vertrieben, willkürlich verhaftet, aussergerichtlich hingerichtet, gefoltert, vergewaltigt, entführt oder sind verschwunden. Amnesty International schätzt, dass in Kolumbien in den letzten 25 Jahren zwischen drei und fünf Millionen Menschen intern vertrieben wurden.

Straffreiheit für sexuelle Gewalt

Der neue Bericht von Amnesty International «This is what we demand. Justice!» zeigt auf, wie die Behörden den Überlebenden von sexueller Gewalt ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung verweigern.
Das Fehlen von glaubwürdigen offiziellen Statistiken und die Angst der Betroffenen, solche Straftaten anzuzeigen, machen es sehr schwierig, das effektive Ausmass des Problems zu evaluieren. Die vorliegenden Statistiken zeigen zudem nicht klar auf, welche Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit dem Konflikt im Zusammenhang stehen.

Im Jahr 2010 hat das Nationale Institut für Gerichtsmedizin und forensische Wissenschaft 20'142 Fälle von mutmasslicher sexueller Gewalt untersucht, verglichen mit 12'732 im Jahr 2000.Bei den mehr als 20'000 Untersuchungen betreffen über 85% Fälle von Minderjährigen.

Zu einer Ermittlung kommt es sehr selten. Gemäss Statistik der General-staatsanwaltschaft laufen neben den vom Verfassungsgericht im Jahr 2008 in Auftrag gegebenen 183 Untersuchungen nur gerade für 68 weitere Fälle von sexueller Gewalt in Verbindung mit dem Konflikt Ermittlungen.

Von Armut betroffene Frauen besonders gefährdet

Die kolumbianischen Sicherheitskräfte, Paramilitärs und Guerillagruppen üben alle Gewalt an Frauen und Mädchen aus, sie brauchen die Frauen als Sexsklavinnen oder führen Racheakte aus.

Sexuelle Gewalt sät Schrecken innerhalb von ganzen Gemeinden und zwingt ganze Familien zur Flucht, deren zurückgelassenes Land sich dann Dritte widerrechtlich aneignen.
Opfer von sexueller Gewalt sind insbesondere indigene Frauen und Mädchen und solche mit afrikanischer Abstammung, aber auch intern Vertriebene und ganz generell von Armut betroffene Frauen. Menschenrechtsverteidigerinnen und ihre Familien werden besonders bedroht und eingeschüchtert.

Massnahmen greifen nicht

Carolina (Name geändert) war ein führendes Mitglied ihrer Gemeinschaft in einer Stadt im Departement Caldas, im Westen Kolumbiens. 2007 wurde ihr Sohn von einem jungen Mann einer paramilitärischen Gruppe vergewaltigt, Carolina erstattete Anzeige.

Mitglieder der paramilitärischen Gruppe versuchten, Carolina dazu zu bringen, die Anzeige zurück zu ziehen. Als sie ablehnte, bedrohten sie Carolina und zwangen sie zuzuschauen, wie sie eines ihrer Opfer verstümmelten. Im Mai 2007 wurde Carolina entführt und von acht Paramilitärs vergewaltigt. Als Folge davon wurde sie schwanger. Als der paramilitärische Kommandant von der Schwangerschaft erfuhr, befahl er seinen Männern Carolina zu verprügeln; sie verlor das Baby.
Im Juni 2007 wurde sie im Rahmen des Schutzprogramms der Generalstaatsan-waltschaft in eine andere Stadt umgesiedelt, aber die Bedrohungen hielten an, sodass sie abermals umgesiedelt werden musste. Carolina lebte ein Jahr lang unter dem Schutzprogramm, heute erhält sie keinen Schutz mehr.

Im September 2008 wurde der Fall, auch aufgrund des Drucks von Frauen-NGOs, an die Menschenrechtsabteilung des Staatsanwalts in Bogotá übergeben. Doch die zuständige Abteilung lud Carolina nie zu einer Zeugenaussage vor.

Im August 2010 wurde der zuständige Staatsanwalt gewechselt. Der neue Staatsanwalt hat anscheinend erst kürzlich damit begonnen, Carolina’s Fall zu bearbeiten.

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Kolumbiens Regierung muss handeln

Amnesty International fordert von den kolumbianischen Behörden, dass sie in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen eine umfassende Strategie erarbeiten, um die im Kontext des bewaffneten Konflikts stehende Gewalt gegen Frauen zu verhindern, begangene Verbrechen wirksam aufzuklären sowie die Opfer zu entschädigen.
« Die Kolumbianischen Behörden müssen einschneidende Massnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass die Verantwortlichen für sexuelle Gewalttaten - von denen viele Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind -  zur Rechenschaft gezogen werden. Sollten die Behörden dies weiterhin unterlassen, müsste der internationale Strafgerichtshof eingeschaltet werden» sagt Susan Lee, Direktorin für den amerikanischen Kontinent bei Amnesty International.

  • Zahlen und Fakten zum neuen Bericht
  • Den Bericht «Das verlangen wir: Gerechtigkeit! Straflosigkeit und sexuelle Gewalt gegen Frauen im bewaffneten Konflikt Kolumbiens» finden Sie nebenstehend auf Englisch oder Spanisch