Die Unterzeichnung des Friedensabkommens – das am 2. Oktober durch eine Volksabstimmung noch bestätigt werden muss – ist in Kolumbien zu Recht ein Festtag. Der historische Erfolg könnte jedoch untergraben werden, wenn diejenigen nicht zur Verantwortung gezogen werden, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Eine Übergangsjustiz soll zwar dafür sorgen, dass ein gewisses Mass an Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für einige der Opfer sicherstellt wird. Etliche Bestimmungen genügen jedoch dem internationalen Recht nicht: So steht das Ausmass der Strafen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in keinem Verhältnis zur Schwere der begangenen Verbrechen. Die Definition der Befehlsverantwortung ist so eng gefasst, dass es zahlreichen Kommandanten der Konfliktparteien gelingen könnte, sich der Justiz zu entziehen.
Menschenrechtsverletzungen aus ökonomischen Motiven dauern an
Kolumbien hat seit den blutigsten Jahren des Konflikts einen langen Weg zurückgelegt. Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe gegen marginalisierte – insbesondere indigene und afrokolumbianische – Gemeinschaften sowie gegen Menschen- und Landrechts-Aktivistinnen und Gewerkschafter sind jedoch nach wie vor an der Tagesordnung; sie werden meist von paramilitärischen Gruppen verübt. Dies hängt weniger mit dem Konflikt zwischen Regierung und FARC zusammen als mit ökonomischen Interessen wie Bergbau, Infrastrukturvorhaben oder Agroindustrie.
Im Zuge der Umsetzung des nunmehr geschlossenen Friedensabkommens muss die Regierung nicht nur eng mit den Opfern des Konflikts zusammenarbeiten, sondern auch entschieden gegen die ökonomisch motivierten Gewaltakte gegen zivile Gemeinschaften und AktivistInnen vorgehen. Sonst droht das historische Abkommen ein Stück Papier zu bleiben.
10 Fakten zum Konflikt in Kolumbien
- 7,9 Millionen Betroffene, davon fast die Hälfte Frauen (Quelle: Unidad para la Atención y Reparación Integral a las Víctimas, UARIV, September 2016)
- 6,9 Millionen intern Vertriebene (UARIV)
- 267‘000 Todesopfer, mehrheitlich ZivilistInnen (UARIV)
- 4392 Opfer extralegaler Hinrichtungen (Kolumbien-Büro des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte, März 2016).
- 46'386 Verschwundene (UARIV)
- 29'622 Entführungen (UARIV)
- 11'062 Minenopfer (UARIV)
- 8'022 KindersoldatInnen (UARIV)
- 63 MenschenrechtsverteidigerInnen, einschliesslich AktivistInnen indigener, afrokolumbianischer und anderer ländlicher Gemeinschaften, die seit 2015 ermordet worden sind, zudem bereits 52 in den ersten neun Monaten 2016 (We Are Defenders-Programm).
- 20 getötete GewerkschafterInnen 2015 (Escuela Nacional Sindical)