In einem neuen Bericht «Why do they want to kill us? The lack of a safe space to defend human rights in Colombia» untersucht Amnesty International die Gründe für die Gewalt gegen Sprecherinnen und Sprecher von indigenen, afrokolumbianischen oder bäuerlichen Gemeinschaften. Der Bericht analysiert auch die Wirkungslosigkeit der Schutzmassnahmen, die von der Regierung seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der bewaffneten Gruppierung FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) im Jahr 2016 umgesetzt wurden.
«Seit Jahren ist Kolumbien weltweit eines der gefährlichsten Länder für Menschen, die Menschenrechte, Land und Umwelt verteidigen.» Erika Guevara-Rosas, Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International.
«Seit Jahren ist Kolumbien weltweit eines der gefährlichsten Länder für Menschen, die Menschenrechte, Land und Umwelt verteidigen. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens hat sich die Situation sogar noch verschlechtert, insbesondere für diejenigen, die in strategisch wichtigen und an Bodenschätzen reichen Gegenden leben», sagt Erika Guevara-Rosas, Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International.
«Solange die Regierung die strukturellen Probleme des Landes wie Ungleichheit und Marginalisierung der Gemeinschaften und die Kontrolle und Verteilung von Land und Boden nicht löst, werden Menschenrechtsverteidiger- und verteidigerinnen unter Beschuss stehen.»
Bericht untersucht vier besonders gefährdete Gemeinschaften
Der Bericht untersucht die Lage von vier besonders gefährdeten Gemeinschaften: der Gemeinschaft Proceso de Comunidades Negras (PCN) in Buenaventura, Valle del Cauca; der Gemeinschaft Comité de Integración Social del Catatumbo (CISCA) in Norte de Santander; der Gemeinschaft Asentamiento Ancestral Indígena Kubeo – Sikuani (ASEINPOME) in Meta; und der Gemeinschaft Asociación de Desarrollo Integral Sostenible de La Perla Amazónica (ADISPA) in Putumayo.
VertreterInnen dieser Gemeinschaften haben Amnesty International von den Drohungen und Angriffen berichtet, die sie bei ihrem Einsatz für Mensch, Land und Umwelt erlebt haben. Angehörige der CISCA legten zum Beispiel dar, dass sie stigmatisiert, schikaniert, angegriffen und beschuldigt werden, bewaffnete Gruppen zu unterstützen, nur weil sie in einem der grössten Coca-Anbaugebiete Kolumbiens leben.
Indigene Gemeinschaften im ganzen Land erleben auch häufig Angriffe, weil sie das Land und die Bodenschätze vor Ausbeutung schützen
Indigene Gemeinschaften im ganzen Land erleben auch häufig Angriffe, weil sie das Land und die Bodenschätze vor Ausbeutung schützen. Im Verwaltungsbezirk Meta zum Beispiel erhält die Gemeinschaft der Kubeo-Sikuani keinen Schutz und sie werden auf ihrem Land bedroht, weil ihre Landrechte nicht anerkannt werden.
Schutzmassnahmen wegen Pandemie reduziert
Die Covid-19-Pandemie bringt die MenschenrechtsverteidigerInnen in noch grössere Gefahr, da sie sowohl die Gewalt, der sie sich gegenübersehen, als auch den mangelnden Schutz durch die Behörden praktisch unsichtbar macht. Seit Ausbruch der Pandemie haben die Behörden die Schutzmassnahmen verringert, die einige MenschenrechtsverteidigerInnen erhalten. Gleichzeitig wurden Aktivitäten, welche die Gemeinschaften gefährden, wie die Ausbeutung von Rohstoffen, Polizeieinsätze und die Zerstörung von Anbauflächen illegaler Substanzen, weiterhin bewilligt.
Kolumbien hat – jedenfalls auf dem Papier – eine Reihe von Massnahmen ergriffen, um MenschenrechtsverteidigerInnen zu schützen. Mindestens 14 dieser Massnahmen betreffen direkt oder indirekt das Problem des kollektiven Schutzes. Doch die Institutionen und ihre Programme zeichnen sich durch mangelnde Effektivität aus.
Kollektive Massnahmen mangelhaft und wenig wirkungsvoll
Die Nationale Schutzeinheit gewährt Massnahmen wie Wachpersonal, Mobiltelefone und kugelsichere Fahrzeuge nur sehr individuell und in erster Linie in den Städten. MenschenrechtsverteidigerInnen und Gemeinschaften auf dem Land werden dadurch kaum geschützt. Das Frühwarnsystem, das kollektiven Schutz gewährleisten soll, ist wenig wirksam, die Behörden haben keinerlei Konsequenzen zu befürchten, wenn sie die vorgesehenen Massnahmen nicht ergreifen. Das von den kolumbianischen Behörden verabschiedete Aktionspaket zum Vorbeugen von Risiken, dem Ergreifen von Gegenmassnahmen bei Drohungen und der Erhöhung des Schutzes von Gruppen und Gemeinschaften (bekannt als Ruta de Protección Colectiva – Weg des kollektiven Schutzes) werden auch nicht effektiv umgesetzt.
«Obwohl Kolumbien in der Theorie eines der umfassendsten Schutzsysteme in der gesamten Region hat, ist dieses System unwirksam, da die Behörden sich weigern, präventiv zu handeln, um die strukturellen Ursachen der kollektiven Gewalt gegen MenschenrechtsverteidigerInnen anzugehen», sagt Erika Guevara-Rosas.
«Die Bandbreite von Schutzmassnahmen ist so gross und komplex, dass viele MenschenrechtsverteidigerInnen schlichtweg nicht wissen, wie sie von ihnen Gebrauch machen können. Sollen Land- und UmweltrechtsverteidigerInnen wirklich geschützt werden, müssen die kolumbianischen Behörden den gefährdeten Gemeinschaften zuhören, sie darin unterstützen, die schon bestehenden Strategien zu verbessern, und sicherstellen, dass diejenigen, die sie angreifen zur Rechenschaft gezogen werden.»