Colombia: Human Rights Defenders testify Colombia: Human Rights Defenders testify

Kolumbien Menschenrechtsverteidiger*innen werden nicht ausreichend geschützt

9. November 2023
Die kolumbianischen Behörden haben in den vergangenen fünf Jahren nicht genügend unternommen, um Menschenrechtsverteidiger*innen im Land vor Gefahren zu schützen.

Wie der Bericht von Amnesty International mit dem Titel Hope at risk: The lack of a safe space to defend human rights in Colombia continues aufzeigt, werden in Kolumbien Menschenrechtsverteidiger*innen wegen ihrer Arbeit bedroht oder angegriffen. Die Menschenrechtsorganisation appelliert deshalb an die Behörden, und verlangt, dass diese dafür sorgt, dass Menschenrechtsverteidiger*innen ihre Arbeit unter angemessenen und sicheren Bedingungen ausüben können.

«Wir haben die Jahre 2020 bis 2023 untersucht und dabei festgestellt, dass die Massnahmen der Behörden nicht ausreichen, um den kollektiven Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen sicherzustellen», sagt Ana Piquer, Direktorin für die Region Amerikas bei Amnesty International. «Die lückenhaften Massnahmen sind besonders für Verteidiger*innen von Land- und Umweltrechten verheerend. Unsere Recherchen zeigen auf, dass angesichts dieser Situation eine klare, vollumfängliche und zwischen den zuständigen Behörden abgestimmte Reaktion nötig ist.»

Wie die kolumbianische Ombudsstelle (Defensoría del Pueblo) berichtete, ist die Anzahl der getöteten Menschenrechtsverteidiger*innen im Zeitraum 2020 – 2023 sukzessive angestiegen. Laut Angaben der Organisation Programa Somos Defensores lag die Zahl der getöteten Menschenrechtsverteidiger*innen im Jahr 2020 bei 199, im Jahr 2021 bei 139, und im Jahr 2022 bei 197. Im September 2023 hatte die zivilgesellschaftliche Organisation INDEPAZ (Instituto de Estudios para el Desarrollo y la Paz) bereits die Tötung von 127 zivilgesellschaftlich und menschenrechtlich engagierten Personen verzeichnet – eine vorläufige, aber nicht minder alarmierende Statistik.

Fünf emblematische Bedrohungsfälle

Der Amnesty-Bericht dokumentiert fünf Fälle aus vier verschiedenen Landesteilen, in denen Menschenrechtsverteidiger*innen bedroht und angegriffen wurden.

  • Die Umweltschutzorganisation FEDEPESAN (Federación de Pescadores Artesanales, Ambientales y Turísticos de Santander) setzt sich für den Schutz der Gewässer in der Region Magdalena Medio und den Erhalt der Lebensweise der vom Fischfang lebenden Menschen in den Feuchtgebieten um Barrancabermeja ein. FEDEPESAN ist eine Dachorganisation für sieben Fischereiorganisationen und macht sich trotz Drohungen und Angriffen unermüdlich für den Schutz der Umwelt stark. Die Vorsitzende der Organisation, Yuly Velásquez, wurde in den vergangenen Jahren mindestens dreimal von bewaffneten Personen angegriffen.

  • CREDHOS (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos) ist ein Netzwerk von Menschenrechtsverteidiger*innen in Magdalena Medio, das seit Jahrzehnten Drohungen und Angriffen ausgesetzt ist. Seit 1987 engagiert sich CREDHOS für die Menschenrechte in der Region. Die Mitarbeiter*innen sind dabei grossen Risiken ausgesetzt: Im Laufe der Jahre wurden mehrere Mitglieder der Organisation ermordet, andere sahen sich aufgrund der Bedrohungslage dazu gezwungen, im Ausland oder in einem anderen Landesteil ins Exil zu gehen.

  • Die Organisation ADISPA (Asociación de Desarrollo Integral Sostenible de La Perla Amazónica) setzt sich für den Schutz des Amazonas und die Lebensweise der Kleinbäuer*innen (Campesinos) in Putumayo ein. Jani Silva und andere Mitglieder von ADISPA wurden in den vergangenen fünf Jahren mehrfach bedroht und angegriffen, vor allem wegen ihres Einsatzes für den Umweltschutz, die Wasserqualität und die Artenvielfalt in der Region.

  • Die indigene Gemeinde ASEINPOME im Departement Meta ist seit mehr als 30 Jahren das Ziel von Gewalt, Angriffen und Vertreibung. Dennoch ist die Gemeinschaft auf ihr angestammtes Territorium zurückgekehrt und harrt dort aus. Seit ihrer Rückkehr im Jahr 2015 sieht sich die Gemeinschaft Schikanen und Angriffen ausgesetzt, die offenbar darauf abzielen, sie aus diesem Gebiet zu vertreiben.

  • Die Organisation CISCA (Comité de Integración Social del Catatumbo) macht sich für die Landrechte der kleinbäuerlichen Gemeinschaften von Catatumbo stark, die Gewalt, Ausgrenzung und Armut ausgesetzt sind. Die Kleinbauern-Familien von Catatumbo werden seit jeher gesellschaftlich ausgegrenzt und haben unverhältnismässig stark unter den Auswirkungen des bewaffneten Konflikts und der erzwungenen Vernichtung von Kokapflanzen zu leiden.

Die Umweltaktivistin Jani Silva wurde mehrfach bedroht und angegriffen. © Nubia Acosta

Trotz Kurswechsel der neuen Regierung kommt es weiterhin zu Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen

Abgesehen von diesen spezifischen Fällen analysierte Amnesty International auch die kollektiven Schutzmassnahmen für Landrechtsverteidiger*innen und Umweltschützer*innen in Kolumbien. Dazu wurden die letzten zwei Jahre der Regierungszeit von Iván Duque und das erste Amtsjahr des neuen Präsidenten Gustavo Petro unter die Lupe genommen. Am Ende der Präsidentschaft von Iván Duque beharrte die Regierung trotz zahlreicher Warnungen und Empfehlungen von Menschenrechtsorganisationen, Plattformen und internationalen Organisationen – darunter auch Amnesty International – auf der Verabschiedung von Massnahmen, die dem Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen abträglich waren. Zudem hielt die Regierung sich nicht an Zusagen aus dem Friedensabkommen von 2016.

Die Regierungszeit von Gustavo Petro hatte mit Absichtserklärungen begonnen, etwas an der Situation zu ändern, sowie der Verabschiedung eines Notfallplans zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und Bemühungen um mittel- und langfristige Lösungen. Trotz dieses Kurswechsels hat Amnesty International festgestellt, dass es während seiner Amtszeit weiterhin zu Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen gekommen ist. Dies geht sowohl aus den allgemeinen Statistiken als auch aus vielen der im Bericht dokumentierten Fälle hervor.

Um die strukturellen Ursachen der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen angemessen zu mindern und zu bewältigen, sollten kollektive Schutzmassnahmen ergriffen werden. Diese müssen zusätzlich zu individuellen Schutzmassnahmen erfolgen und auf einem intersektionellen Ansatz basieren, der angemessen berücksichtigt, welchen speziellen Gefahren Frauen, indigene Bevölkerungsgruppen, afrokolumbianische und kleinbäuerliche Gemeinschaften, Kinder, LGBTI*, ländliche Gemeinden und andere ausgegrenzte bzw. diskriminierte Gruppen ausgesetzt sind und was sie benötigen. Amnesty International fordert die kolumbianische Regierung auf, gemäss diesem Ansatz weitere Massnahmen zu verabschieden und somit Menschen, Gruppen und Gemeinschaften bestmöglich zu schützen.

Der neue Amnesty-Bericht Hope at risk folgt auf den 2020 veröffentlichten Bericht Why do they want to kill us?: Lack of safe space to defend human rights in Colombia und baut auf den damaligen Recherchen zur Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien auf.