Polizeiaufgebot an einer Protestkundgebung in Mexiko City. © Amnesty International/Sergio Ortiz Borbolla
Polizeiaufgebot an einer Protestkundgebung in Mexiko City. © Amnesty International/Sergio Ortiz Borbolla

Mexiko Willkürliche Verhaftungen sind ein Schandfleck für das neue Justizsystem

13. Juli 2017
Ein fehleranfälliges Justizsystem, schlecht ausgebildete Polizeibeamte und weitreichende Straflosigkeit sind die Gründe dafür, dass es in Mexiko noch immer willkürliche Verhaftungen, Folter, aussergerichtliche Hinrichtungen und erzwungenes Verschwindenlassen gibt. Das hält Amnesty International in einem neu erschienen Bericht zu Mexiko fest.

Der Bericht «False suspicions: Arbitrary detentions by police in Mexico» (Falsche Anschuldigungen: Willkürliche Verhaftungen der Polizei in Mexiko) zeigt auf, wie die Polizei in Mexiko routinemässig Menschen verhaftet, um sie zu erpressen. Häufig schieben die Beamten dem Verhafteten ein Beweismittel unter, um die Verhaftung zu rechtfertigen. Die Aussagen im Bericht basieren auf vertraulichen Gesprächen mit Polizei- und Justizbehörden.

«Es sieht so aus, als würde die Polizei nur deshalb Menschen verhaften, um den Kampf gegen Kriminelle vorzutäuschen. Dieses Vorgehen führt jedoch zu nichts, im Gegenteil: es bringt letztlich alle in Gefahr, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden», sagt Erika Guevara-Rosas, Amerika-Direktorin von Amnesty International.

Sogar Kinder willkürlich verhaftet

Am 25. Februar 2016 verhaftete die Polizei in X-Can, einer kleinen Gemeinschaft auf der Yucatán Halbinsel, José Adrián, einen 14-jähriger Jungen mit einer Behinderung. Die Beamten beschuldigten ihn, Steine gegen ihr Auto geworfen zu haben.

Die Verhaftung war willkürlich. Die Polizeibeamten sagten José Adrián nicht, weshalb sie ihn festnahmen und sie haben auch seine Familie nicht kontaktiert. Stattdessen schlugen sie den Jungen, legten ihm Handschellen an und brachten ihn zu einer nahe gelegenen Polizeistation. Dort hängten sie ihn an den Handschellen auf, schlugen ihn abermals und zwangen ihn zu einem Geständnis.

Als die Eltern José Adrián endlich fanden, wurden sie aufgefordert, für den Schaden am Polizeiauto aufzukommen und eine Busse zu bezahlen, andernfalls käme José Adrián nicht frei. Also organisierten die Eltern das Geld, damit ihr Sohn freigelassen wurde.  

Die Familie reichte eine Beschwerde bei der Menschenrechtskommission und bei der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates ein. Doch 18 Monate später sind sie noch immer nicht darüber informiert worden, ob und wann der Vorfall untersucht wird.

Polizei mit mehr Kompetenzen

Im Juni 2016 trat in Mexiko ein neues Verfahren in Kraft, nach dem die Polizei Untersuchungen selbst durchführen kann. Dieses neue Prozedere sollte ein effizienteres Vorgehen bei der Verbrechensbekämpfung ermöglichen. Doch die meisten Polizeibeamten sind zu schlecht ausgebildet, um diese zusätzliche Verantwortung tragen zu können. Viele Beamtinnen und Beamte respektieren beispielsweise die Unschuldsvermutung nicht, obwohl diese ein Grundrecht ist.

Kommt hinzu, dass Justizbeamte die Herkunft eines Beweismittels in der Regel nicht hinterfragen, obwohl sie wissen, dass die Polizei oft Beweise unterschiebt, um einen Verdächtigen zu belasten.

Angehörige der Justiz, Polizei und Staatsanwaltschaft beklagten gegenüber Amnesty International einen Mangel an Ressourcen, um Verbrechen wirkungsvoll zu bekämpfen. Ausserdem würden sie von Vorgesetzten und teils sogar von der Exekutive unter Druck gesetzt, Urteile in deren Sinne zu sprechen.

«Jede Person in Mexiko läuft Gefahr, willkürlich festgenommen zu werden. Doch das Risiko steigt, wenn du mittellos bist, die falschen Kleider trägst oder dich für Menschenrechte einsetzt. Dieser Zustand ist unhaltbar und muss sich schleunigst ändern», fordert Erika Guevara-Rosas.