«Die Polizisten sagten zu mir, ich solle aufhören zu heulen und dass ich nicht die Wahrheit sagen würde» (Mädchen, 12 Jahre)
Diese schockierende Gewalt wird noch verschlimmert durch die äusseren Umstände: Das Problembewusstsein in der Gesellschaft für diese Missstände fehlt, es gibt kaum Betreuungs- oder Anlaufstellen, geschützte Heime sind rar. Wendet sich das Opfer an die Behörden, so richten Polizei und Justiz auf allen Ebenen Hürden auf: von der Schwierigkeit, solche Taten zur Anzeige zu bringen, bis zu Mängeln in Untersuchungen und Strafprozessen. Häufig werden die Opfer zu Schuldigen gestempelt und damit noch ein zweites Mal verletzt und ausgegrenzt. Der neue Amnesty-Bericht zitiert dazu erschreckende Aussagen von Jugendlichen und Kindern.
Zudem hat Nicaragua 2008 ein Gesetz verabschiedet, das in seiner Radikalität sogar in Lateinamerika seinesgleichen sucht: es verbietet ganz strikt jede Abtreibung unter allen Umständen; der Versuch dazu und jede Beihilfe, auch von medizinischem Personal, werden unter schwere Strafe gestellt, auch wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist und sogar wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.
Der Antifolterausschuss der Uno hat festgehalten, dass bereits mehrere Fälle von schwangeren Frauen dokumentiert sind, die auf Grund dieses Gesetzes gestorben sind, und dass dies ethischen Grundsätzen widerspricht. Vier weitere Uno-Ausschüsse haben Nicaragua aufgefordert, Massnahmen gegen sexuelle Übergriffe auf Kinder und Frauen zu ergreifen und das exzessive Abtreibungsgesetz zurückzuziehen. Dieselben Forderungen wurden auch im März bei der periodischen Überprüfung Nicaraguas im Menschenrechtsrat in Genf erhoben.
Amnesty fordert daher Nicaragua mit Nachdruck auf, auf die Stimmen der Opfer zu hören und sich für sie einzusetzen. Die Organisation verlangt von der nicaraguanischen Regierung, einen Massnahmenplan zu erarbeiten, um die Gewalt gegen Frauen und besonders gegen Minderjährige einzudämmen, Anlaufstellen zu schaffen, Polizei und Justiz zu sensibilisieren und das Abtreibungsgesetz zurückzuziehen. Diese Massnahmen müssen Prävention, Schutz, Gerechtigkeit und auch Entschädigung für die Opfer beinhalten. Sexuelle Gewalt erzeugt Leid und Angst, die Opfer müssen darin unterstützt werden, auf der Basis eigener Entscheidungen einen Weg zu finden, um ihr Leben neu aufzubauen und zu meistern.