Im Bericht «Obstacles to Autonomy: Post-Roe Removal of Abortion Information Online» zeigt Amnesty International auf, wie sich Social-Media-Unternehmen über internationale Menschenrechtsstandards hinwegsetzen, indem sie Inhalte mit Abtreibungsbezug entfernen, ohne diese Entscheidungen angemessen und transparent zu erläutern.
Seit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, mit dem 2022 das Urteil von Roe vs. Wade gekippt und das verfassungsmässige Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch aufgehoben wurde, entfernten beliebte Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok Inhalte, die das Thema Schwangerschaftsabbruch behandeln, darunter auch Beiträge mit Informationen über den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen.
«Der Zugang zu korrekten und wertneutralen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche ist ein wesentlicher Bestandteil der reproduktiven Gesundheits-versorgung. Technologieunternehmen müssen dafür sorgen, dass ihre Nutzer*innen Zugang zu diesen Informationen haben.» Jane Eklund, Expertin für Technologie und reproduktive Rechte bei Amnesty International USA
«Durch das Entfernen von Inhalten über Schwangerschaftsabbrüche schränken die Tech-Konzerne möglicherweise den Zugang zu Informationen ein, wodurch Menschen, die schwanger werden können, diskriminiert und in ihren Menschenrechten verletzt werden», sagt Jane Eklund, Expertin für Technologie und reproduktive Rechte bei Amnesty International USA. «Der Zugang zu korrekten und wertneutralen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche ist ein wesentlicher Bestandteil der reproduktiven Gesundheitsversorgung. Technologieunternehmen müssen dafür sorgen, dass ihre Nutzer*innen Zugang zu diesen Informationen haben.»
Der Bericht unterstreicht, dass das Entfernen von Online-Beiträgen über Schwangerschaftsabbrüche besonders für junge Leute nachteilig ist, da sie sich für Nachrichten und Informationen besonders stark auf die Sozialen Medien verlassen. Hinzu kommt, dass seit der Aufhebung Urteils Roe v. Wade mehr als 20 US-Bundesstaaten den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen eingeschränkt oder verunmöglicht haben. In manchen Bundesstaaten wurden speziell Gesetzentwürfe eingebracht, um auch den Online-Zugang zu Abtreibungsinformationen zu beschränken. Bisher sind diese Gesetzesentwürfe noch nicht verabschiedet worden.
Keine plausiblen Gründe für Entfernung von Inhalten
Die Untersuchungen von Amnesty International zeigen, dass nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2022 auf den grössten Social-Media-Plattformen einige Inhalte über medikamentöse (nicht-chirurgische) Schwangerschaftsabbrüche – die sicher sind und mehr als die Hälfte aller Schwangerschaftsabbrüche in den USA ausmachen – entfernt, vorübergehend unsichtbar gemacht oder als «sensible Beiträge» markiert wurden, die «verstörende oder gewalttätige Inhalte» enthalten könnten. Andere Beiträge wurden entfernt, weil die geteilten Informationen nach Angaben der Plattformbetreiber gegen deren Richtlinien verstiessen, oder weil in dem Beitrag versucht worden sein soll, Abtreibungspillen zu kaufen oder zu verkaufen, was jedoch nicht der Fall war.
Am 27. April 2023 wurde ein Instagram-Post von Ipas – eine Organisation, die den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen und zu Verhütungsmitteln verbessern möchte – entfernt, in dem die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Vorgehensweise für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch erläutert wurde. Als Grund für die Löschung führte Instagram seine Regeln zum «Verkauf illegaler oder regulierter Güter» an, obwohl es in dem Beitrag in keiner Weise um den Verkauf von Medikamenten ging.
Im Jahr 2022 wurden zudem einige Posts der Organisation Planned Parenthood unleserlich gemacht und als «sensibel» gekennzeichnet, in denen es darum ging, in welchen US-Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche noch legal oder bereits eingeschränkt waren.
Auch Beiträge von gemeinnützigen Organisationen wie Plan C, die aktuelle Informationen zu Abtreibungspillen zur Verfügung stellen, und Telemedizin-Anbietern wie Hey Jane wurden entfernt, und in einigen Fällen wurden gar ihre Social-Media-Konten ohne angemessene Begründung vorübergehend gesperrt. Facebook blockierte jüngst einen Beitrag der Organisation Lilith Fund, die in Texas Schwangere dabei unterstützt, für einen Schwangerschaftsabbruch in andere Bundesstaaten zu reisen. Der Post enthielt einen Link zu Ressourcen für Menschen, die sich über einen Schwangerschaftsabbruch informieren möchten. Das Instagram-Konto der gemeinnützigen Organisation Mayday Health, die Menschen über medikamentöse Abbrüche und den Zugang dazu aufklärt, wurde ohne Vorwarnung vorübergehend gesperrt.
«Alle haben das Recht auf Zugang zu wertneutralen und medizinisch korrekten Informationen über Schwangerschaftsabbrüche. Die Tech-Konzerne sind zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet und sollten den Zugang zu derartigen Inhalten auf ihren Plattformen nicht einschränken», sagt Jane Eklund.
Intransparente Regelungen
Die öffentlich zugänglichen allgemeinen Richtlinien (community guidelines) und Regeln zur Inhaltsmoderation (content moderation policies) von TikTok und Meta (Meta betreibt Facebook und Instagram) informieren die Nutzer*innen nicht angemessen darüber, wie Inhalte über Schwangerschaftsabbrüche moderiert werden. Diesen Richtlinien zufolge erlaubt TikTok «die Erwähnung von Schwangerschaftsabbrüchen in einem medizinischen oder wissenschaftlichen Kontext im Zusammenhang mit Eingriffen, Operationen oder Untersuchungen» (ohne Hinweis auf andere Arten von Inhalten über Schwangerschaftsabbrüche). Meta erwähnt die Begriffe «Schwangerschaftsabbruch» oder «Abtreibung» in seinen Standards erst gar nicht.
Amnesty International bat Meta und TikTok um weitere Informationen, woraufhin Meta erklärte, dass es das Recht auf Gesundheit anerkenne und organische Inhalte zulasse, die Nutzer*innen über medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche aufklärten. Meta erlaubt auf seinen Plattformen nach eigenen Angaben zudem Inhalte mit Informationen über den legalen Zugang zu Arzneimitteln, verbietet aber «Versuche, Arzneimittel zu kaufen, verkaufen, tauschen, spenden, verschenken oder erbitten». TikTok gab an, dass es Themen wie reproduktive Gesundheit und Schwangerschaftsabbrüche, einschliesslich Zugang zu Informationen, weder verbiete noch unterdrücke. Verboten seien allerdings Inhalte, «die medizinische Fehlinformationen enthalten».
Die Fragen sowie die ausführlichen Antworten der Unternehmen sind in dem Amnesty-Bericht nachzulesen.
«Die Antworten der Konzerne stimmen nicht mit dem überein, was augenscheinlich gerade auf ihren Plattformen geschieht.» Jane Eklund
«Die Antworten der Konzerne stimmen nicht mit dem überein, was augenscheinlich gerade auf ihren Plattformen geschieht», sagt Eklund. «Vage Angaben reichen nicht aus. Unternehmen müssen transparente Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Nutzer*innen auf ihren Plattformen Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche haben und dass Mitglieder der Zivilgesellschaft eine angemessene Erklärung für alle entfernten Inhalte erhalten.»
Meta und TikTok sollten transparenter darlegen, wie Abtreibungsinhalte in ihren Richtlinien geregelt sind. Sie sollten zudem für bessere Transparenz bei der Anwendung von Empfehlungssystemen und Algorithmen zur Inhaltsmoderation sorgen. Darüber hinaus sollten sie aktiv die Schäden ermitteln, verhindern und angehen, die sich aus ihrer Inhaltsmoderation und der potenziellen Unterdrückung von Inhalten über Schwangerschaftsabbrüche ergeben.