Die Repressionspolitik der Regierung von Nicolás Maduro und die Menschenrechtskrise gefährden weiterhin die Rechte auf Leben, Freiheit und Schutz vor Schaden in Venezuela.
«Unser Bericht dokumentiert nicht nur die ungerechtfertigte Inhaftierung von Lehrpersonen, Gewerkschafter*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, sondern auch die Willkür des Justizsystems, die unmenschlichen Haftbedingungen und die Auswirkungen auf das Leben der Menschen, die inhaftiert werden. Willkürliche Verhaftungen dürfen nicht länger ein Instrument der Repression und sozialen Kontrolle durch die Regierung sein», sagte Erika Guevara-Rosas, Direktorin für Nord- und Südamerika bei Amnesty International.
Die neue Untersuchung von Amnesty International dokumentiert neun Fälle von Opfern politisch motivierter willkürlicher Inhaftierungen zwischen 2018 und 2022. Einige standen in direktem Zusammenhang mit politischem Aktivismus in Opposition zur Regierung, wie im Fall von Roland Carreño. Andere Personen wurden aus geschlechtsspezifischen Gründen oder wegen familiärer Verbindungen zu Dritten, die von der Regierung als verdächtig angesehen wurden, inhaftiert, wie im Fall von Emirlendris Benítez. Die Betroffenen reichen von erklärten Regierungsgegner*innen bis zu Menschen, die überhaupt nicht politisch aktiv sind.
Die neun in diesem Bericht dokumentierten Opfer der Inhaftierung sind:
- Emirlendris Benítez: Mutter und Geschäftsfrau, verhaftet im August 2018.
- María Auxiliadora Delgado und Juan Carlos Marrufo: Ehepaar, beide berufstätig, verhaftet im März 2019.
- Roland Carreño: Journalist und politischer Aktivist, verhaftet im Oktober 2020.
- Guillermo Zárraga: ehemaliger Gewerkschafter und Vater, verhaftet im November 2020.
- Dario Estrada: Ingenieur und neurodiverse Person, verhaftet im Dezember 2020.
- Robert Franco: Lehrer und Gewerkschafter, verhaftet im Dezember 2020.
- Javier Tarazona: Menschenrechtsverteidiger und politischer Gefangener, verhaftet im Juli 2021.
- Gabriel Blanco: Aktivist und humanitärer Helfer, verhaftet im Juli 2022.
Emirlendris Benítez, 42 Jahre alt, ist Mutter, Schwester und Geschäftsfrau und wurde am 5. August 2018 willkürlich festgenommen. Sie wurde aus unbekannten Gründen inhaftiert und fälschlicherweise mit Gewalttaten gegen Nicolás Maduro in Verbindung gebracht, nur weil sie mit Dritten Auto fuhr, die angeblich an solchen Taten beteiligt waren. Obwohl Emirlendris schwanger war, wurde sie gefoltert und zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen. Die Folgen der Schläge, die sie erlitt, führten dazu, dass sie auf einen Rollstuhl angewiesen ist und andere schwere gesundheitliche Probleme hat. Emirlendris verbüsst eine ungerechtfertigte 30-jährige Haftstrafe im Nationalen Institut für weibliche Orientierung (INOF) in Los Teques, Caracas, etwa 30 Kilometer von ihrer Familie entfernt, die sie trotz der humanitären Notlage, die das Land weiterhin plagt, mit Lebensmitteln, Wasser und Vorräten versorgen muss.
María Auxiliadora Delgado, 49 Jahre alt, und Juan Carlos Marrufo, 52 Jahre alt, sind ein venezolanisches Ehepaar mit spanischer bzw. italienischer Doppelstaatsangehörigkeit. Sie wurden am 19. März 2021 von Agenten der Generaldirektion für militärische Spionageabwehr (DGCIM) willkürlich festgenommen. Ihre einzige Verbindung zu den ihnen vorgeworfenen Verbrechen scheint sich darauf zu beschränken, dass María Auxiliadora die Schwester eines pensionierten Militärangehörigen ist, der Verbindungen zu einem Attentat auf Nicolás Maduro haben soll. Als sie verhaftet wurden, hatten sie beschlossen, sich einer In-vitro-Fertilisationsbehandlung zu unterziehen. Sie sind nicht nur Opfer einer willkürlichen Inhaftierung, sondern wurden auch ihrer Lebenspläne beraubt, zu denen die Gründung einer Familie gehörte.
Guillermo Zárraga ist ein 59-jähriger Ingenieur und ehemaliger Gewerkschafter in der venezolanischen Ölindustrie, der am 14. November 2020 um 3 Uhr morgens von Agent*innen der DGCIM willkürlich in seiner Wohnung festgenommen wurde. (Siehe dazu auch unsere Urgent Action zu Guillermo Zárraga). In seiner Funktion als Vorsitzender der Gewerkschaft des staatlichen Unternehmens Petróleos de Venezuela S.A. wurde Zárraga mit Juan Guaidó, dem Führer der Opposition, fotografiert. Dieses Foto diente der Staatsanwaltschaft als Beweis für Zárragas angebliche Absicht, einen Sabotageplan zu unterstützen, der von einem Agenten des amerikanischen Geheimdienstes gefördert worden sein soll. Angesichts der unbegründeten und politisch motivierten Anschuldigungen gegen ihn wird Guillermo weiterhin willkürlich inhaftiert und leidet unter einer schweren Verschlechterung seines Gesundheitszustands, ohne Zugang zu Trinkwasser oder angemessener Nahrung.
Diese Fälle sowie die fünf weiteren im Bericht beschriebenen Fälle spiegeln ein Muster wiederholter Handlungen zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten und durch verschiedene staatliche Sicherheitskräfte wider.
Schwere Menschenrechtsverletzungen
Im Zusammenhang mit diesen willkürlichen Verhaftungen werden auch andere schwerwiegende, damit zusammenhängende und wiederkehrende Menschenrechtsverletzungen oder sogar Verbrechen nach dem Völkerrecht begangen. Dazu gehören Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, erzwungenes Verschwindenlassen, die Verweigerung eines ordnungsgemässen Verfahrens und fairer Prozessgarantien, der Einsatz von Gerichten mit Sonderzuständigkeit für «Terrorismus» und unmenschliche Haftbedingungen. Ebenso verwenden die Behörden immer wieder zweideutige und willkürliche Definitionen von Straftatbeständen und erheben willkürlich und unbegründet Anklagen wegen krimineller Vereinigung.
«Emirlendris, María Auxiliadora, Juan Carlos und Guillermo sind emblematische Opfer eines weit verbreiteten und systematischen Musters von Angriffen auf Menschen, die als regierungskritisch angesehen werden können. Diese Fälle gehören weder der Vergangenheit an noch sind sie Einzelfälle. Die willkürlichen Verhaftungen, die Folter und das gewaltsame Verschwindenlassen, denen sie ausgesetzt waren und sind, sind Verbrechen nach internationalem Recht. Deshalb werden die venezolanischen Behörden vom Internationalen Strafgerichtshof und von argentinischen Gerichten nach dem Grundsatz der universellen Zuständigkeit strafrechtlich verfolgt und unterliegen der Kontrolle der Vereinten Nationen. Der Druck der internationalen Gemeinschaft darf nicht nachlassen», sagte Erika Guevara-Rosas.
Nach Schätzungen von Organisationen der venezolanischen Zivilgesellschaft befinden sich derzeit rund 300 Personen aus politischen Gründen in Venezuela in Haft. Laut der Organisation Foro Penal hat es in Venezuela seit 2014 mehr als 15’700 politisch motivierte willkürliche Verhaftungen gegeben.