Afghanistan Misshandlungen im Schatten von Guantánamo

19. Oktober 2010
Das US-Gefängnis in Bagram, dem amerikanischen Stützpunkt in Afghanistan, wurde von Amnesty International wiederholt kritisiert. Amnesty warf den US-Behörden fehlende Rechtsgrundlagen und mangelhafte Transparenz vor. Nun präsentiert ein Bericht der Open Society Foundations Hinweise auf ein geheimes Gefängnis in Bagram. Dort sollen Gefangene misshandelt und unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Der Bericht der Open Society Foundations über das Geheimgefängnis in Bagram beruht auf Interviews mit 18 Gefangenen in Afghanistan. Diese geben an, sie seien an einem isolierten Ort auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Bagram festgehalten und gefoltert worden. Der Ort sei nicht identisch mit dem offiziellen Gefängnis der US-Streitkräfte am gleichen Ort, dem Bagram Theater Internment Facility (früher Bagram Collection Point genannt).

Schwarzer Knast

Die Gefangenen nennen das unbekannte Gefängnis «Schwarzer Knast». Neun der 18 befragten Gefangenen berichten, sie seien 2009 oder 2010 dort festgehalten worden – also zu Zeiten der Obama Administration. Die anderen waren 2007 oder 2008 dort inhaftiert. Die Gefangenen berichten übereinstimmend, sie seien extremer Kälte und grellem Licht ausgesetzt gewesen; sie litten unter Schlafentzug und Nahrungsmangel; sie durften ihre religiösen Pflichten nicht ausüben und sie waren isoliert, in winzigen Zellen ohne Tageslicht eingesperrt. Ausserdem habe das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) keinen Zugang zu ihnen gehabt.

Bereits Ende 2009 hatten amerikanische Medien über ähnliche Angaben von afghanischen Gefangenen berichtet. Und im April 2010 hat BBC sieben ehemalige Gefangene interviewt, die ebenfalls von Misshandlungen in einem geheimen Gefängnis von Bagram erzählten.

Obama im Zwielicht

Der neue Bericht über ein Geheimgefängnis in Bagram wirft erneut ein schiefes Licht auf die Antiterror-Politik von Präsident Obama, der nach Amtsantritt nicht nur die Schliessung von Guantánamo versprochen hat, sondern auch das Ende des geheimen Haftprogramms der CIA. Zu Obama’s Versprechen gehörte auch die Garantie, dem IKRK Zugang zu allen Personen zu geben, welche die USA im Rahmen von bewaffneten Konflikten inhaftiert haben.

Ebenfalls ins Licht gerückt wird das Bagram-Gefängnis, das nicht weniger kritikwürdig ist als Guantánamo. Die amerikanischen Streitkräfte haben das Gefängnis kurz nach Beginn des Afghanistan-Krieges im Jahr 2002 in Betrieb genommen. Während das gleichzeitig eröffnete Lager in Guantánamo bald unter massive internationale Kritik kam, blieb Bagram weitgehend im Schatten der Aufmerksamkeit. Dabei hat Bagram für die US-Streitkräfte stetig an Bedeutung gewonnen. Schon bevor die Schliessung von Guantánamo entschieden war, wurde Bagram weiter ausgebaut. Während die Anzahl Gefangener in Guantánamo langsam abnimmt, steigt sie in Bagram stetig an.

Zurzeit halten die USA dort ungefähr 900 Gefangene ohne Anklage und ohne Zugang zu Anwälten fest; einzelne davon schon seit Jahren. In Bagram sitzen auch Gefangene, die nicht im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden – sie wurden in anderen Ländern verhaftet und nach Bagram verschleppt. Amnesty International hat wiederholt sowohl die fehlende rechtliche Grundlage der Haft in Bagram kritisiert als auch die mangelhafte Transparenz der US-Behörden.

Zum Bericht der Open Society Foundations (Englisch)