Der ban­g­la­de­schische Journalist Shafiqul Islam Kajo bei seiner Verhaftung im Mai 2020 © Privat
Der ban­g­la­de­schische Journalist Shafiqul Islam Kajo bei seiner Verhaftung im Mai 2020 © Privat

Bangladesch: Drakonisches Sicherheitsgesetz schränkt Meinungsfreiheit im Internet massiv ein

26. Juli 2021
Die bangladeschischen Behörden müssen die massiven Einschränkungen des Rechts auf Meinungsfreiheit im Internet aufheben. Das drakonische Gesetz zur digitalen Sicherheit muss umgehend abgeschafft werden, sofern es nicht in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen gebracht werden kann. Dies fordert Amnesty International in einem heute veröffentlichten Briefing.

Im Rahmen des Briefings «No space for dissent» («Kein Raum für Dissens») untersuchte Amnesty International zehn Fälle von Personen, die unter dem Gesetz zur digitalen Sicherheit (Digital Security Act, DSA) massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt waren. Sie “verschwanden“, wurden willkürlich inhaftiert und gefoltert – nur, weil sie einflussreiche Persönlichkeiten in den Sozialen Medien kritisiert hatten. Das DSA beinhaltet breit gefasste und vage Bestimmungen und räumt den Behörden weitreichende Befugnisse zur Internetüberwachung ein.

In Bangladesch wurden bis Juli 2021 mindestens 433 Personen unter dem DSA inhaftiert. Den meisten von ihnen wird das Verbreiten von Falschinformationen und üble Nachrede im Internet vorgeworfen. Zu den Betroffenen gehören unter anderem Journalist*innen, Karikaturist*innen, Musiker*innen, Aktivist*innen, Unternehmer*innen, Studierende und sogar ein Bauer, der weder lesen noch schreiben kann. Es kam bereits zu einem Todesfall: Mushtaq Ahmed starb im Gefängnis an einem Herzinfarkt, nachdem er dort zehn Monate lang ohne Prozess im Zusammenhang mit Anschuldigungen unter dem DSA inhaftiert war. Ein Mithäftling berichtete, dass Mushtaq Ahmed gefoltert worden sei.

«Die Maßnahmen, die von den Behörden im Rahmen des DSA ergriffen wurden, zeigen, wie gefährlich es heute in Bangladesch geworden ist, die eigene Meinung zu äußern und abweichende Ansichten zu vertreten. Die massiven Einschränkungen der Meinungsvielfalt haben einen abschreckenden Effekt auf die gesamte bangladeschische Gesellschaft.» Saad Hammadi, Südasien-Experte bei Amnesty International

«Die Maßnahmen, die von den Behörden im Rahmen des DSA ergriffen wurden, zeigen, wie gefährlich es heute in Bangladesch geworden ist, die eigene Meinung zu äußern und abweichende Ansichten zu vertreten. Die massiven Einschränkungen der Meinungsvielfalt haben einen abschreckenden Effekt auf die gesamte bangladeschische Gesellschaft. Das Vorgehen der Behörden engt den Spielraum für unabhängige Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen stark ein. Die Verantwortlichen müssen alle Gefangenen freilassen, die nur deshalb festgehalten werden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben», sagte Saad Hammadi, Südasien-Experte bei Amnesty International.

Das im Oktober 2018 eingeführte DSA wird zunehmend eingesetzt, um abweichende Meinungen in den Sozialen Medien, auf Internetseiten und anderen digitalen Plattformen zu unterdrücken. Den Betroffenen drohen bis zu lebenslange Haftstrafen. Das Gesetz erteilt den Strafverfolgungsbehörden willkürliche Befugnisse, Durchsuchungen durchzuführen, Geräte und deren Inhalte zu beschlagnahmen und Personen ohne Haftbefehl zu inhaftieren, nur weil sie einen Kommentar im Internet geteilt haben. Dieses Vorgehen stellt einen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung dar, das im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) verankert ist, zu dessen Vertragsstaaten Bangladesch gehört.

«Viele Bestimmungen im DSA kriminalisieren ein Verhalten, das als solches gar nicht unter Strafe stehen sollte. Wir fordern die Behörden auf, die Anwendung dieses Gesetzes als Waffe gegen Andersdenkende zu beenden», so Hammadi.

«Die UN-Mitgliedstaaten, die sich im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung durch den Menschenrechtsrat besorgt über das Recht auf freie Meinungsäußerung in Bangladesch gezeigt haben, müssen diese Besorgnis angesichts der anhaltenden Menschenrechtsverstöße unter dem DSA weiterhin zum Ausdruck bringen. Sie müssen außerdem mit den bangladeschischen Behörden an der Umsetzung ihrer Empfehlungen arbeiten, damit sichergestellt wird, dass kritische Stimmen nicht länger zum Schweigen gebracht werden», sagte Saad Hammadi.

Hintergrund

Noch vor Inkrafttreten des DSA äußerten die UN-Sonderberichterstatter*innen für Meinungsfreiheit und die Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen angesichts des Entwurfs Bedenken. Im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung (Universal Periodic Review, UPR) empfahlen zahlreiche UN-Mitgliedsstaaten der Regierung von Bangladesch, das DSA zu ändern, um «die Meinungsfreiheit im Internet sicherzustellen». Obwohl die bangladeschische Regierung diese Empfehlung annahm, versäumte sie bisher deren Umsetzung. Stattdessen geht sie weiterhin massiv gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung vor.

Amnesty International hat ein besorgniserregendes Muster festgestellt, nach dem die Behörden die Paragrafen 25 (Weitergabe, Veröffentlichung etc. von beleidigenden, falschen oder bedrohlichen Dateninformationen), 29 (Veröffentlichung, Weitergabe etc. von verleumderischen Informationen) und 31 (Straftatbestand und Strafe für die Gefährdung von Recht und Ordnung etc.) des Sicherheitsgesetzes als Waffe einsetzen, um kritische Stimmen ins Visier zu nehmen und zu schikanieren.

Die Art und Weise, wie Verleumdung unter dem Gesetz zur digitalen Sicherheit strafrechtlich kriminalisiert wird, weist schwerwiegende Mängel auf. Dabei wird das DSA weiter instrumentalisiert, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen.

Das Cyber-Tribunal mit Sitz in Dhaka, vor dem Straftaten im Internet – einschließlich der Fälle unter dem DSA – verhandelt werden, hat zwischen dem 1. Januar und dem 6. Mai 2021 199 Fälle bearbeitet. Amnesty International stellte fest, dass 134 dieser Fälle auf Grundlage der drei genannten Paragrafen des DSA verhandelt wurden. In achtzig Prozent dieser Fälle (107 von 134 Fällen) wurden die Verfahren sowohl nach Paragraf 25 als auch nach Paragraf 29 des DSA eingeleitet.

Im Rahmen des Briefings stellte sich heraus, dass in sechs von zehn Fällen alle drei Paragrafen des DSA angewendet wurden. Gegen drei weitere Personen wurden die Paragrafen 25 und 31 angewendet.

Die Art und Weise, wie Verleumdung unter dem Gesetz zur digitalen Sicherheit strafrechtlich kriminalisiert wird, weist schwerwiegende Mängel auf. Dabei wird das DSA weiter instrumentalisiert, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Amnesty International fordert die bangladeschischen Behörden auf, dafür zu sorgen, dass Verleumdungen in einem zivilrechtlichen und nicht in einem strafrechtlichen Prozess verhandelt werden. Die Klagen gegen acht der zehn Personen, deren Fälle im Rahmen des Briefings untersucht wurden, wurden von Vertreter*innen gesetzgebender oder Strafverfolgungsbehörden oder von Mitgliedern der Regierungspartei Awami League eingereicht.

Das Cyber-Tribunal in Dhaka hat im Berichtszeitraum fast 50 Prozent der Fälle (97 von 199 Fällen) wegen mangelnder Begründung und Beweise abgewiesen. Das macht jedoch die Menschenrechtsverletzungen, die die Betroffenen erlitten haben, nicht ungeschehen – einschließlich ihrer Inhaftierung über längere Zeiträume, noch bevor die Fälle überhaupt vor Gericht waren.