Seit mehreren Tagen gehen die Behörden hart gegen Demonstrant*innen vor, die gegen die geplanten Quotenregelungen in Bangladesch protestieren: Die Armee wurde eingesetzt, es wurde Schiessbefehle und eine Ausgangssperre erlassen. Die Unruhen begannen, nachdem die Regierung angekündigt hatte, ein Quotensystem für gut bezahlte und sichere Regierungsstellen wieder einzuführen. Dieses System hätte mehr als die Hälfte dieser Stellen für bestimmte Gruppen reserviert.
«Diese repressiven Massnahmen sind ein bewusster Versuch, sowohl diese Proteste als auch jeden zukünftigen Dissens zu unterdrücken» Deprose Muchena, Senior Director bei Amnesty International
Die Regierung reagierte mit harter Gewalt gegen die Proteste, doch die Einschränkungen des Internetzugangs erschwerten die Überwachung der Menschenrechtssituation im Land. Medienberichten zufolge gab es seit dem 16. Juli 2500 Verhaftungen, fast 200 Tote und mehrere tausend Verletzte. 61000 Personen wurden laut Medienberichten wegen Gewalt im Zusammenhang mit den Protesten angeklagt.
Mittlerweile wurde der Internetzugang wiederhergestellt. Zeug*innenaussagen, Video- und Fotobeweise, die von Amnesty International und dem Crisis Evidence Lab analysiert und beglaubigt wurden, bestätigen die Anwendung von rechtswidriger Gewalt durch die Polizei gegen protestierende Studierende. Amnesty International und sein Crisis Evidence Lab haben Videos von drei Vorfällen verifiziert, bei denen die Strafverfolgungsbehörden bei der Niederschlagung der Proteste unrechtmässig tödliche und weniger tödliche Waffen eingesetzt haben.
«Amnesty International fordert die Regierung von Bangladesch und ihre Behörden dringend auf, das Recht auf Protest zu respektieren, die gewaltsame Niederschlagung der Proteste zu beenden und alle Kommunikationsbeschränkungen unverzüglich aufzuheben», sagte Deprose Muchena, Senior Director bei Amnesty International.
Warnhinweis: Die folgenden Links auf die Videos enthalten verstörende und gewaltvolle Inhalte.
Missbräuchlicher Einsatz von weniger tödlichen Waffen
Am 18. Juli tauchten in den sozialen Medien Videos auf, die einen Demonstranten zeigten, der Berichten zufolge bei Zusammenstössen mit Polizeibeamten während einer Demonstration in der Nähe eines Busbahnhofs in Savar nahe der Hauptstadt Dhaka verletzt und getötet wurde. Der Demonstrant wurde später als Shykh Aashhabul Yamin identifiziert, ein Student des Military Institute of Science and Technology,
Das erste Video zeigt einen gepanzerten Mannschaftstransportwagen (APC), der auf dem Dhaka-Aricha Highway fährt. Auf dem Dach liegt Shykh Aashhabul Yamin, er ist bewusstlos. In einem zweiten Video ist zu sehen, wie ein Beamter versucht, Yamin an den Armen hochzuheben, während ein anderer Beamter ihn an den Beinen packt und seinen Körper gewaltsam aus dem Fahrzeug reisst, so dass Yamin mit dem Kopf auf dem Bürgersteig aufschlägt. Das letzte Video beginnt damit, dass zwei Beamte in voller Einsatzkleidung aus dem APC steigen und scheinbar auf den Körper von Yamin hinunterschauen, der vor ihnen auf dem Boden liegt. Schliesslich heben die Beamten Yamin vom Boden auf, ziehen ihn über die Mittelstreifen der Strasse und legen ihn auf der anderen Seite neben einer anderen Gruppe von Beamten ab. Schliesslich fährt der APC weg. Berichten zufolge erlag Yamin später an diesem Tag seinen Verletzungen.
In den drei von Amnesty International überprüften Videos hat keiner der 12 sichtbaren Beamten versucht, Yamin medizinische Hilfe zu leisten. Gemäss Abschnitt 5(c) Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen durch Beamte mit Polizeibefugnissen* der Vereinten Nationen müssen Vollzugsbeamt*innen sicherstellen, dass verletzten oder betroffenen Personen so schnell wie möglich Hilfe und medizinische Versorgung zuteilwird. Derrick Pounder, ein unabhängiger Gerichtsmediziner, der die fotografischen Beweise für die Wunden in Yamins Brust untersucht hat, erklärte gegenüber Amnesty International, dass die Todesursache vermutlich auf die an seinem Körper sichtbaren Verletzungen durch Vogelschrotkugeln in der linken vorderen Brust zurückzuführen ist. Amnesty International hält den Einsatz von Schrotkugeln für die Strafverfolgung für absolut ungeeignet. Diese sollten niemals für die Auflösung von Protesten eingesetzt werden.
Gefährlicher Einsatz von Tränengas
In einem weiteren Video, das am 18. Juli veröffentlicht wurde, feuert ein Beamter Tränengas durch ein geschlossenes Tor der BRAC-Universität in Dhaka, wo es zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen der Polizei und protestierenden Student*innen kam. Ein Video, das aus dem Inneren der Universität aufgenommen wurde, zeigt, dass sich eine Menge protestierender Student*innen auf der anderen Seite eines geschlossenen Hofes versammelt hatte, als der bangladeschische Polizeibeamte durch die Tore der Universität in die Menge schoss.
Auf diesen von Amnesty International überprüften Videos stellt das Vorgehen des Polizeibeamt*innen eindeutig eine unrechtmässige und unnötige Gewaltanwendung dar. Strafverfolgungsbehörden dürfen niemals Tränengas in einen geschlossenen Raum feuern, in dem es keine offensichtliche Möglichkeit gibt, den Auswirkungen des chemischen Reizstoffs zu entkommen. Lokalen Nachrichtenberichten zufolge erlitten mindestens 30 Menschen Verletzungen durch den Einsatz von Tränengas auf dem Campus der BRAC-Universität.
Einsatz von tödlichen Schusswaffen
Ein Video, das seit dem 20. Juli in den sozialen Medien kursiert, zeigt einen Polizisten, der während der Proteste ein Sturmgewehr mit AK-Muster abfeuert. Das sieben Sekunden lange Video, das von Amnesty International verifiziert wurde, wurde vor einer Bank in der DIT Road im Stadtteil Rampura in Dhaka gefilmt. Es zeigt mehrere Beamt*innen der Polizei von Bangladesch und des Grenzschutzes von Bangladesch, die neben einem APC stehen. Ein Polizist richtet ein chinesisches Sturmgewehr vom Typ 56-1 auf Ziele im Hintergrund und feuert zwei Schüsse ab.
Schusswaffen sind kein geeignetes Mittel für die Überwachung von Versammlungen; sie dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn dies unbedingt erforderlich ist, um einer unmittelbaren Bedrohung durch Tod oder schwere Verletzungen zu begegnen.
In einem anderen Video, das ebenfalls im Stadtteil Rampura irgendwann am oder vor dem 19. Juli aufgenommen wurde, sieht man Polizeibeamt*innen in voller Einsatzkleidung neben einem APC eine Strasse entlang marschieren, ausgerüstet mit Schrotflinten vom Kaliber 12 und 37/38-mm-Granatwerfern. Einige der Polizeibeamt*innen geben mehrere Schüsse aus Schrotflinten auf Ziele im Hintergrund ab.
«Diese repressiven Massnahmen sind ein bewusster Versuch, sowohl diese Proteste als auch jeden zukünftigen Dissens zu unterdrücken», sagte Deprose Muchena.«Es muss dringend eine unabhängige und unparteiische Untersuchung aller von den Sicherheitskräften begangenen Menschenrechtsverletzungen durchgeführt werden. Alle Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Opfer rechtswidriger Gewaltanwendung durch die Polizei, einschliesslich der Verletzten und der Familienangehörigen der Getöteten, müssen vom Staat voll entschädigt werden.»