Im vergangenen Jahr hat die chinesische Regierung ihre harsche Praxis in Bezug auf die Verletzung der Menschenrechte und den Mangel an Demokratie nicht aufgegeben. Doch zögerliche Veränderungen sind zu registrieren, die auch auf den grossen internationalen Druck und das Engagement einer namhaften Zahl von Chinesen und Chinesinnen zurückgeht.
Seit fünf Jahren sitzt Shi Tao im Gefängnis, weil er einer internationalen Organisation ein Email über die Pressezensur schickte. Amnesty International hat deswegen rund um den Globus Aktionen lanciert und so die Verbesserung seiner Haftbedingungen erreicht. Heute ist er nicht mehr zu Zwangsarbeit verpflichtet, die seiner Gesundheit schadete, und darf Zeitungen und Bücher lesen.
Charta 08 fordert Veränderungen
Aber für andere AktivistInnen bleibt viel zu tun. Amnesty International registrierte mindestens 100 Fälle von Verhaftungen oder Gewalt durch die Behörden, weil sich Menschen für das Recht auf Land, Unterkunft oder Arbeit einsetzten. Die UnterzeichnerInnen der Charta 08, einer Petition für juristische und politische Reformen, werden nach wie vor im ganzen Land Verhören unterzogen.
Einer der Unterzeichnenden der Charta 08 ist Liu Xiaobo. Die Polizei nahm ihn am 8. Dezember 2008 bei ihm zuhause in Peking fest. Sie stellte ihn unter «häusliche Observierung», einer Form von Hausarrest. Am 23. Juni 2009 wurde er wegen «Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt» formell festgenommen. Amnesty International befürchtet, dass ihm Folter oder andere Misshandlungen drohen, um ein Geständnis zu erzwingen.
Viele andere MenschenrechtsverteidigerInnen sind weiter unter Druck. Kürzlich wurde mehreren Anwälten der Entzug ihres Patents angedroht, weil sie die Grundrechte ihrer Klienten und Klientinnen verteidigten. Zahlreiche Menschen, die rund um die olympischen Spiele verhaftet wurden, weil sie ihre Meinung öffentlich äusserten, sind immer noch in Haft. Ji Sizun, Aktivist und Rechtsberater in der Provinz Fujian, wurde verhaftet, als er das Gesuch für die Bewilligung einer Demonstration während den olympischen Spielen einreichte.
Todesstrafe
Ein dunkles Kapitel in der Menschenrechtsbilanz ist die Todesstrafe. 2008 war die Volksrepublik China trauriger Weltmeister bei den Exekutionen: Sie war mit mindestens 1718 Fällen für fast drei Viertel aller weltweiten Hinrichtungen verantwortlich. Die Dunkelziffer liegt vermutlich um ein Vielfaches höher, da Statistiken zu Todesurteilen und Exekutionen in China als Staatsgeheimnis behandelt werden.
Zeichen der Hoffnung
Trotzdem sind nach und nach positive Zeichen zu registrieren. Zum ersten Mal hat die chinesische Regierung 2009 einen Aktionsplan für die Menschenrechte verabschiedet. Er enthält allgemeine Ziele und einen Zeitplan bis 2010. Aber diese Ziele sind nicht einfach zu erreichen, vor allem in diesem erinnerungsschweren Jahr: Im Juni jährte sich das Massaker auf dem Tiananmen-Platz in Peking zum 20. Mal, und die Invasion von Tibet fand vor genau 50 Jahren statt. Die Regierung versuchte überall, Erinnerungskundgebungen zu verhindern, und setzte dabei die bekannten Mittel von Zensur und Verhaftungen ein.
Internet birgt Freiheit und Gefahren
Anfang 2009 sperrten die chinesischen Behörden erneut die Hauptseite von Amnesty International. Doch das Internet, auch wenn es zensuriert wird, bleibt ein Raum der Freiheit für die chinesische Bevölkerung. Dank dem weltweiten Netz können immer mehr Menschen Informationen über Menschenrechtsverletzungen sammeln und austauschen. Allerdings nicht ganz risikofrei: Die Behörden blockieren systematisch gewisse Websites oder Dienstleitungen, und mehrere BlogerInnen schmoren im Gefängnis. Doch die Menschenrechtsbewegung ist unterwegs – wenn auch auf einem langen und gefährlichen Weg.