© Amnesty International
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Jahresbericht Hongkong 2019

29. Januar 2020
Der Entwurf für ein neues Auslieferungsgesetz löste in Hongkong ab April 2019 zahlreiche Proteste aus, auf die die Behörden mit unverhältnismässiger Gewalt reagierten. Die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verschlechterte sich zusehends.

Amtliche Bezeichnung: Sonderverwaltungsregion Hongkong, Volksrepublik China
Regierungschefin: Carrie Lam

Übersicht

Recht auf Versammlungsfreiheit
Gewaltlose politische Gefangene
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

2019 kam es in Hongkonk zu einer dramatischen Verschlechterung bezüglich der Rechte auf Versammlungs-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, da die Behörden in Hongkong zunehmend die vage und allzu weit gefasste Definition der nationalen Sicherheit von Festlandchina übernahmen. Angesichts von Massenprotesten setzte die Regierung einen Entwurf für ein Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen (Auslieferungsgesetz) zunächst aus und zog ihn im September formell zurück. Das Gesetz hätte es den Behörden Hongkongs erlaubt, von China verdächtigte und gesuchte Personen an die Behörden des Festlands auszuliefern. Nach monatelangen Protesten gingen die pro-demokratischen Parteien im November mit haushohem Gewinn aus den Bezirkswahlen hervor, die eine Rekordwahlbeteiligung aufwiesen.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Wäre das Auslieferungsgesetz verabschiedet worden, hätten sich Personen aus Hongkong vor der Justiz des chinesischen Festlands verantworten müssen, deren Menschenrechtsverletzungen gut dokumentiert sind.

Der Gesetzentwurf löste ab April 2019 zahlreiche Proteste aus, darunter drei friedliche Massenkundgebungen, bei denen am 9. Juni Schätzungen zufolge mehr als eine Million, am 16. Juni etwa zwei Millionen und am 18. August rund 1,7 Millionen Menschen auf die Strassen gingen, um gewaltfrei dagegen zu demonstrieren. Nachdem die Regierung das Auslieferungsgesetz am 4. September zurückzog, weitete die Protestbewegung ihre Forderungen aus und verlangte unter anderem eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der Gewaltanwendung durch die Polizei. Im Laufe des Jahres eskalierte die Gewalt sowohl seitens der Polizei als auch seitens der Protestierenden.

Die Hongkonger Polizei reagierte auf die Proteste mit unnötiger und unverhältnismässiger Gewaltanwendung. Amnesty International dokumentierte den gefährlichen Einsatz von Gummigeschossen und Geschossen, die in einem Beutel Schrot enthalten (bean bags), Schläge gegen Demonstrierende, die keinen Widerstand leisteten, aggressive taktische Massnahmen, um JournalistInnen an der Berichterstattung über die Proteste zu hindern, die missbräuchliche Verwendung von Pfefferspray und Tränengas sowie Folter und andere Misshandlungen in der Haft. Am 31. August 2019 begann die Polizei, Wasserwerfer einzusetzen. Dabei verwendete sie Wasser, das Reizstoffe und Farbstoff enthielt, der die Protestierenden unterschiedslos markierte, um sie später als TeilnehmerInnen identifizieren zu können. Im Oktober griff die Regierung auf eine Notstandsverordnung aus der britischen Kolonialzeit zurück, um Protestierenden das Tragen von Masken zu untersagen, die das Gesicht teilweise oder ganz verdecken. Das Strafgericht erklärte das Vermummungsverbot später für verfassungswidrig. Die Regierung legte gegen das Urteil Rekurs ein, über den 2020 entschieden wird.

Gewaltlose politische Gefangene

Die Regierung griff auf vage Anklagen zurück, um politisch engagierte BürgerInnen wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit strafrechtlich zu verfolgen und zu inhaftieren. Im April 2019 wurden neun Personen, die 2015 die pro-demokratische «Regenschirmbewegung» angeführt hatten, wegen vager Vorwürfe in Zusammenhang mit der «Erregung öffentlichen Ärgernisses» schuldig gesprochen. Der Juraprofessor Benny Tai und der Soziologieprofessor Chan Kin-man wurden zu je 16 Monaten Haft verurteilt. Der Parteipolitiker Raphael Wong und der Abgeordnete Shiu Ka-chun erhielten achtmonatige Haftstrafen. Um ihre Anschuldigungen zu untermauern, führte die Staatsanwaltschaft als wichtigste Beweise Pressekonferenzen, Medieninterviews und öffentliche Versammlungen auf, bei denen die führenden VertreterInnen der pro-demokratischen Kräfte ihre gewaltfreien direkten Aktionen erörtert hatten. Im August 2019 wurde Benny Tai bis zur Berufungsverhandlung gegen Kaution auf freien Fuss gesetzt.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Im März 2019 bestätigte ein Gericht die zweiwöchige Haftstrafe, zu der die Wohnrechtsaktivistin Yip Po-lam wegen eines Sitzstreiks im Legislativrat 2014 verurteilt worden war, der sich gegen ein Bauvorhaben in den nordöstlichen New Territories richtete. AktivistInnen und betroffene DorfbewohnerInnen protestieren seit Jahren gegen das von der Regierung vorgeschlagene grosse Infrastrukturprojekt, weil sie Kungeleien zwischen der Regierung und den Bauträgern, rechtswidrige Zwangsräumungen der örtlichen Bevölkerung und Umweltschäden befürchten.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Im Juni entschied das höchste Berufungsgericht, Lohnzusatzleistungen und eine gemeinsame Besteuerung auf heterosexuelle Ehepaare zu beschränken, stelle eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung dar. Das Strafgericht wies hingegen Beschwerden ab, die erreichen wollten, dass sich transgeschlechtliche Menschen nicht mehr einer Operation unterziehen müssen, bevor sie ihr Geschlecht rechtlich anerkennen lassen können.

Veröffentlichungen von Amnesty International zu Hongkong

  • Amnesty International, Beijing’s “Red Line” in Hong Kong (ASA 17/0944/2019)
  • Amnesty International, Hong Kong: Proposed extradition law amendments a dangerous threat to human rights (Press release, 7 June 2019)
  • Amnesty International Hong Kong, Open letter to the Chief Executive – calling for an independent commission of inquiry (Press release, 28 June 2019)
  • Amnesty International, How not to police a protest: Unlawful use of force by Hong Kong police (ASA 17/0576/2019)
  • Amnesty International, Hong Kong: Arbitrary arrests, brutal beatings and other torture in police detention revealed (Press release, 19 September 2019)
  • Amnesty International, Hong Kong: Water cannons pose real danger in hands of trigger-happy police (Press release, 9 August 2019)
  • Amnesty International, Hong Kong: Emergency powers are an extreme attempt to quash protests (Press release, 4 October 2019)

Berichtszeitraum: 1. Januar – 31. Dezember 2019