Wo sind die Kinder? Die Geschichte einer Familie, die auseinandergerissen wurden. (bei Klick aufs Bild öffnet sich die Galerie ). © Amnesty International
Wo sind die Kinder? Die Geschichte einer Familie, die auseinandergerissen wurden. (bei Klick aufs Bild öffnet sich die Galerie ). © Amnesty International

China Behörden reissen in Xinjiang uigurische Familien auseinander

Medienmitteilung 19. März 2021, London/Bern – Medienkontakt
Eine neue Studie von Amnesty International macht auf eine dramatische Situation aufmerksam: Im Exil lebende Uigur*innen, die ihre Kinder in China zurücklassen mussten, schildern darin, was diese Trennung für sie bedeutet.

Amnesty International hat Eltern befragt, die vollständig von ihren Kindern getrennt wurden – manche sind erst fünf Jahre alt. Während die Kinder in staatlichen «Waisenhäusern» in der chinesischen Region Xinjiang festgehalten werden, können die Eltern nicht dorthin zurückkehren, weil ihnen die Einweisung in ein sogenanntes «Umerziehungslager» droht.

«Chinas rücksichtslose Masseninhaftierungen in Xinjiang hat getrennte Familien in eine ausweglose Situation gebracht: Die Kinder dürfen nicht ausreisen, aber wenn die Eltern versuchen, nach Hause zurückzukehren, um sich um sie zu kümmern, dann drohen ihnen Verfolgung und willkürliche Inhaftierung», stellt Alkan Akad, China-Experte bei Amnesty International, fest.

«Die herzzerreissenden Berichte der Eltern, mit denen wir gesprochen haben, skizzieren nur oberflächlich das ganze Ausmass des Leids, das uigurische Familien ertragen müssen, die von ihren Kindern getrennt sind. Die chinesische Regierung muss ihre harte Politik in Xinjiang beenden. Sie muss sicherstellen, dass die betroffenen Familien so schnell wie möglich wieder zusammengeführt werden – ohne dass die Eltern Angst haben müssen, in ein Lager zu kommen.»

Viele Eltern schweigen aus Angst um ihre Angehörigen

Amnesty International befragte sechs uigurische Familien, die derzeit in Australien, Kanada, Italien, den Niederlanden und der Türkei im Exil leben. Die Familien haben China vor dem verschärften Vorgehen gegen Uigurinnen und Uiguren und andere muslimische Minderheiten seit dem Jahr 2017 verlassen. Sie rechneten nicht damit, dass ihre Kinder daran gehindert werden würden, ihnen zu folgen.

Die Geschichte der vier Kinder von Mihriban Kader und Ablikim Memtinin

Im März 2017 trat die Verordnung zur «Entradikalisierung» in Kraft, die öffentliche und private Zurschaustellung einer religiösen oder kulturellen Zugehörigkeit als extremistisch einstuft. Schätzungen zufolge werden in Xinjiang seitdem mindestens eine Million Menschen willkürlich in sogenannten «Transformation-durch-Bildung»- oder «Berufsausbildungszentren» festgehalten. Dort sind sie verschiedenen Formen von Folter und Misshandlungen ausgesetzt, einschliesslich politischer Indoktrination und erzwungener kultureller Assimilation.

«Uigurinnen und Uiguren im Ausland sprechen nur ungern öffentlich über Menschenrechtsverletzungen, die sie oder ihre Angehörigen erfahren haben, weil sie Angst haben, dass dies Konsequenzen für ihre Verwandten in China haben könnte. Trotz solcher Herausforderungen haben sich die befragten Eltern dazu entschlossen, ihre Geschichten öffentlich zu machen. Sie hoffen, dass dieser Schritt zu einem baldigen Wiedersehen mit ihren Kindern beitragen kann», berichtet Alkan Akad.

«Wir weinen nur nachts»

Zu denjenigen, die über ihre Lage sprechen, gehören Omer und Meryem Faruh. Nachdem die Polizei die Reisepässe des Paars beschlagnahmen wollte, flohen sie Ende 2016 in die Türkei. Da ihre beiden jüngsten Kinder im Alter von fünf und sechs Jahren noch keine eigenen Reisedokumente besassen, liessen sie sie bei den Grosseltern zurück. Später erfuhren die beiden, dass ihre Verwandten in ein Lager gebracht worden waren. Von ihren Kindern haben sie seitdem nichts mehr gehört.

Von ihren Kindern haben Omer und Meryem Faruh seit Jahren nichts mehr gehört.

Im Interview mit Amnesty International erzählt Omer Faruh: «Wir haben die Stimmen unserer Töchter seit 1594 Tagen nicht mehr gehört. Da wir unseren Schmerz vor unseren anderen Kindern, die hier mit uns leben, nicht zeigen wollen, weinen meine Frau und ich nur nachts.»

«Die dramatischen Familientrennungen in Xinjiang entlarven die Unmenschlichkeit des chinesischen Vorgehens, Uigurinnen und Uiguren und andere muslimische Gruppen im Namen der ‚Terrorismusbekämpfung‘ kontrollieren und indoktrinieren zu wollen», betont Alkan Akad.

«China muss sämtliche Massnahmen beenden, die das Recht aller muslimischer Minderheiten auf freie Ein- und Ausreise einschränken. Das Land muss alle politischen ‚Umerziehungslager‘ schliessen und die dort Inhaftierten sofort und bedingungslos freilassen.»

Viele Kinder werden in staatlich geführte Waisenhäuser gebracht. © Amnesty International

Zugang nach Xinjiang gefordert

Amnesty International fordert die chinesische Regierung auf, Uno-Menschenrechtsexpert*innen sowie unabhängigen Recherche-Teams und Journalist*innen uneingeschränkten Zugang nach Xinjiang zu gewähren, damit diese die Vorgänge in der Region untersuchen können.

Gleichzeitig wendet sich die Organisation an Regierungen von Staaten, in denen Uigur*innen, Kasach*innen und andere Angehörige von Minderheiten aus China leben. Sie fordert diese dazu auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Eltern, die von ihren Kindern getrennt sind, bei der Suche, Kontaktaufnahme und der Familienzusammenführung zu unterstützen.

Weitere Schicksale von Familien im Bericht «Hearts and lives broken. The nightmare of Uyghur families separated by repression.» (PDF, in English,12 Seiten)