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China Amnesty kritisiert zögerliche Haltung der Uno-Menschenrechtskommissarin

30. Mai 2022
Die chinesische Regierung hat den Besuch der Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, für ihre eigene Propaganda instrumentalisiert. Nun muss das Uno-Hochkommissariat endlich seine Untersuchung zu den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang veröffentlichen und die Verbrechen gegen die Uigur*innen beim Namen nennen, fordert Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.

«Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte muss jetzt öffentlich das Ausmass und die Schwere der Menschenrechtsverletzungen anerkennen, die von der chinesischen Regierung in Xinjiang begangen werden. Die Menschenrechtskommissarin sollte den lange erwarteten Bericht über Xinjiang veröffentlichen und die Erkenntnisse auf der nächsten Sitzung des Uno-Menschenrechtsrats im Juni vorstellen», so Agnès Callamard.

«Einen Bericht nicht zu veröffentlichen, der die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Region umfassend kritisiert, käme einem Verrat an den Opfern und ihren Familien gleich. Dieses anhaltende Zaudern untergräbt die Glaubwürdigkeit des Hochkommissariats.» Agnès Callamard, Generalsekretärin Amnesty International

«Einen Bericht nicht zu veröffentlichen, der die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Region umfassend kritisiert, käme einem Verrat an den Opfern und ihren Familien gleich. Dieses anhaltende Zaudern untergräbt die Glaubwürdigkeit des Hochkommissariats.»

«Der Besuch der Menschenrechtskommissarin in China bestand zu weiten Teilen aus Fototerminen mit hochrangigen Regierungsbediensteten, und die Stellungnahmen von Michelle Bachelet wurden von den staatlichen Medien für deren Zwecke manipuliert. Somit entstand der Eindruck, dass sich die Uno-Hochkommissarin sehenden Auges für die vorhersehbare Propaganda der chinesischen Regierung hat einspannen lassen.»

Michelle Bachelet sollte stattdessen die fortdauernden schweren Menschenrechtsverletzungen verurteilen und sich für Rechenschaft, Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzen, forderte Agnès Callamard.

«Michelle Bachelet sagte, dass sie Appelle von Uigur*innen ausserhalb Chinas erhalten habe, die nach ihren vermutlich inhaftierten Familienmitgliedern suchten, und dass sie die chinesischen Behörden auf diese Fälle angesprochen habe. Das Hochkommissariat muss diese Fälle im Auge behalten und darauf bestehen, dass die Behörden die Rechte der Gefangenen gewährleisten und ihnen den regelmässigen Kontakt mit Familienmitgliedern – auch im Ausland – ermöglichen», sagte Agnès Callamard.

Angesichts der zahlreichen Einschränkungen, die dieser Besuch (auch aufgrund von Coronamassnahmen) aufwies, hat Michelle Bachelet zu Recht festgestellt, dass es sich nicht um eine ‚Untersuchung‘ handelte. Allerdings sollte sie sich dafür einsetzen, dass nach ihrem Besuch in naher Zukunft wirksamere Massnahmen und Untersuchungen durch unabhängige Menschenrechtsexpert*innen vorgenommen werden.

Michelle Bachelet kündigte eine Arbeitsgruppe zu Menschenrechten an, die sich u. a. mit Wirtschaft und Menschenrechten, Antiterror und Menschenrechten sowie den Rechten von Minderheiten befassen soll und die von den Vereinten Nationen und chinesischen Behörden gemeinsam eingerichtet werde. Hierfür wurden jedoch weder klare Ziele noch ein angepeilter Zeitrahmen kommuniziert.

«Dies kann kein Ersatz dafür sein, umgehend einen unabhängigen internationalen Mechanismus einzurichten, der Völkerrechtsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang untersucht, um Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten, unter anderem durch die Identifizierung derjenigen, die dafür mutmasslich verantwortlich sind», sagte Agnès Callamard.

«Die Uno-Hochkommissarin muss die chinesische Regierung auffordern, umgehend alle verbleibenden Internierungslager zu schliessen und alle willkürlich inhaftierten Menschen zu entlassen – auch solche, die in Gefängnissen festgehalten werden. Die systematische Repression gegen Uigur*innen, Kasach*innen und andere muslimische Minderheiten in Xinjiang muss aufhören», forderte Agnès Callamard.

Hintergrund

Eine Delegation unter Leitung von Michelle Bachelet verbrachte sechs Tage in China und dabei auch zwei Tage in der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang, wo Amnesty International die systematische willkürliche Inhaftierung sowie Folterung und Verfolgung von Uigur*innen, Kasach*innen und anderen vornehmlich muslimischen Minderheiten dokumentiert hat.

Am Samstag, den 28. Mai hielt die Uno-Hochkommissarin eine virtuelle Pressekonferenz in Guangzhou ab, in der sie über ihren Besuch in China sprach. Sie hatte sich dort mit Regierungsbediensteten, Wirtschaftsvertreter*innen und Mitgliedern der Zivilgesellschaft getroffen. Bezüglich Xinjiang sagte sie, dass Antiterrormassnahmen nicht zu Menschenrechtsverletzungen führen dürften und unabhängig überwacht werden müssten. Sie erwähnte ausserdem Rechte in Bezug auf Sprache, Religion, Kultur und Bildung in Tibet, sowie weitere menschenrechtliche Themen.

Während Michelle Bachelets Besuch in China wurde sie in den staatlichen Medien dahingehend zitiert, dass sie «die chinesischen Bemühungen zum... Schutz der Menschenrechte bewundere». Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte gab später eine Stellungnahme ab, die klarstellte, dass Michelle Bachelet die Menschenrechtsbilanz Chinas nicht gelobt habe.

Seit September 2018, als die Uno-Menschenrechtskommissarin zum ersten Mal Zugang zu Xinjiang forderte, weil «äusserst beunruhigende Vorwürfe über die willkürliche Inhaftierung von Uigur*innen und Muslim*innen» laut geworden waren, haben zahlreiche Organisationen weitere detaillierte und gut belegte Informationen über die dortige Lage an die Öffentlichkeit gebracht. Im Juni 2021 veröffentlichte Amnesty International einen umfassenden Bericht zur Repression in Xinjiang, aus dem hervorging, dass vornehmlich muslimische ethnische Minderheiten systematisch und massenhaft inhaftiert, gefoltert und verfolgt werden. Dieses Vorgehen der chinesischen Regierung kommt Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich.

Der Bericht basiert auf zahlreichen Aussagen von Betroffenen und beschreibt eine «dystopische Schreckensherrschaft», in der schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Inhaftierte begangen und Millionen Menschen systematisch überwacht werden. Zudem beschreibt er die Bemühungen der chinesischen Behörden, religiöse Bräuche, kulturelle Praktiken und die Sprachen der muslimischen ethnischen Gruppen in der Region auszuradieren. Amnesty International startete eine internationale Kampagne zur Schliessung der Internierungslager. Sie zeigt das Schicksal Dutzender Inhaftierter und ihrer Familien auf.

Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte hat seinen eigenen Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang angefertigt. Laut Angaben von Michelle Bachelet befand er sich im vergangenen Jahr in der Fertigstellung. Doch trotz wiederholter Forderungen von Amnesty International und fast 200 weiteren NGOs ist dieser Bericht noch immer nicht veröffentlicht worden.