Die Uigur*innen in China leiden unter systematischen willkürlichen Inhaftierungen sowie Folterung und Verfolgung. © Amnesty International
Die Uigur*innen in China leiden unter systematischen willkürlichen Inhaftierungen sowie Folterung und Verfolgung. © Amnesty International

China Uno-Menschenrechtskommissarin muss Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang anprangern

Medienmitteilung 23. Mai 2022, London/Bern – Medienkontakt
Die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte muss bei ihrem Besuch in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang die dort begangenen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Sprache bringen. Dies fordert Amnesty International zum Auftakt des lang erwarteten Besuchs der Uno-Delegation in China diese Woche.

Die Delegation unter Leitung der Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, wird sechs Tage in China verbringen und dabei auch die Region Xinjiang besuchen, wo Amnesty International die systematische willkürliche Inhaftierung sowie Folterung und Verfolgung von Uigur*innen, Kasach*innen und anderen vornehmlich muslimischen Minderheiten dokumentiert hat.

«Der lang erwartete Besuch von Michelle Bachelet in Xinjiang ist eine wichtige Gelegenheit, um die chinesischen Behörden mit Menschenrechtsverletzungen in der Region zu konfrontieren. Es ist zu erwarten, dass die Regierung alles daran setzen wird, die Wahrheit weiterhin zu verschleiern. Die Vereinten Nationen müssen dem entgegenwirken und dürfen sich keinesfalls für offenkundige Propaganda instrumentalisieren lassen», sagt Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. «Ein sechstägiger Besuch kann nur an der Oberfläche von dem kratzen, was nötig ist, um die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang aufzuarbeiten. Doch der Besuch von Michelle Bachelet sollte zumindest bewirken, dass der Fokus auf die von Menschenrechtsverstössen Betroffenen gelenkt wird: die Uigur*innen und anderen Muslim*innen, die ins Visier gerieten, sowie die zahlreichen Familien im Ausland, die nicht wissen, wo ihre Verwandten festgehalten werden und wie sie Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung erlangen können.»

Amnesty International und andere Menschenrechtsgruppen fordern die chinesischen Behörden seit Langem auf, unabhängigen Uno-Menschenrechtsexpert*innen und anderen Menschenrechtsbeobachter*innen Zugang zu Xinjiang zu gewähren – eine Forderung, auf die mit diesem kurzen Besuch des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte nun endlich eingegangen wurde.

Vereinte Nationen dürfen sich nicht zum Komplizen machen

Vor ihrem Besuch sicherte die Menschenrechtskommissarin zu, mit wichtigen Interessengruppen zu sprechen. Doch wird es für die Uno-Delegation eine grosse Herausforderung sein, dafür zu sorgen, dass dieser Besuch dem Standard der Vereinten Nationen entspricht und wahrhaftig «uneingeschränkt» und «bedeutsam» ist und auch «unüberwachte Gespräche mit einschliesst».

Amnesty International hat Vorfälle dokumentiert, in denen in Xinjiang inhaftierte Personen vor dem Besuch einer ausländischen Delegation tagelang  «gecoacht» wurden, wie sie auf Fragen zu antworten haben.

«Michelle Bachelet wird sehr wohl bewusst sein, dass die chinesischen Behörden bei vorangegangenen Besuchen von Uno-Menschenrechtsgesandten wiederholt Massnahmen ergriffen haben, um Zugänge einzuschränken und Delegationen zu überwachen. So wurden potenzielle Gesprächspartner*innen vorübergehend inhaftiert und andere Personen ermahnt, sich nicht befragen zu lassen», sagte Agnès Callamard.

Amnesty International hat darüber hinaus Vorfälle dokumentiert, in denen in Xinjiang inhaftierte Personen aus Minderheitengruppen vor dem Besuch einer ausländischen Delegation tagelang unter Strafandrohung darin „gecoacht“ wurden, wie sie auf Fragen zu antworten haben.

«Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte darf sich nicht zum Komplizen von Bemühungen der chinesischen Regierung machen, die Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen und den Besuch selbst als ‚Beweis‘ dafür zu verwenden, dass diese nicht existieren», sagt Agnès Callamard. «Der Besuchsverlauf sollte sich vom Mandat der Delegation leiten lassen und auf bewährter Menschenrechtsmethodologie beruhen, indem ein Ansatz gewählt wird, der die Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. Die Delegation um Michelle Bachelet muss die Lage vor Ort unabhängig bewerten und alle Details des Besuchs transparent offenlegen können.»

Haarsträubende Berichte

Seit September 2018, als die Uno-Menschenrechtskommissarin zum ersten Mal Zugang zu Xinjiang forderte, weil «äusserst beunruhigende Vorwürfe über die willkürliche Inhaftierung von Uigur*innen und Muslim*innen» laut geworden waren, haben zahlreiche Organisationen weitere detaillierte und gut belegte Informationen über die dortige Lage veröffentlicht. Im Juni 2021 veröffentlichte Amnesty International einen umfassenden Bericht, aus dem hervorging, dass es sich bei dem scharfen Vorgehen Chinas gegen vornehmlich muslimische ethnische Minderheiten in Xinjiang um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelte.

Der Bericht basierte auf zahlreichen Aussagen von Betroffenen und beschrieb eine «dystopische Höllenlandschaft», in der schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Inhaftierte begangen und Millionen Menschen systematisch staatlich überwacht wurden. Zudem beschrieb er die Bemühungen der chinesischen Behörden, religiöse Bräuche, kulturelle Praktiken und die Sprachen der muslimischen ethnischen Gruppen in der Region auszumerzen.

Amnesty International hat Informationen über 40 verschwundene bzw. inhaftierte Personen zusammengetragen, nachdem der anstehende Besuch der Menschenrechtskommissarin dafür sorgte, dass sich noch mehr Familien zu Wort meldeten.

Amnesty International startete eine internationale Kampagne, die sich eingangs auf etwa 70 Personen konzentrierte und die Schliessung der Internierungslager sowie die Freilassung aller Personen forderte, die willkürlich in Lagern und Gefängnissen inhaftiert waren. Gerade diesen Monat hat Amnesty International Informationen über 40 weitere verschwundene bzw. inhaftierte Personen zusammengetragen, nachdem der anstehende Besuch der Menschenrechtskommissarin dafür sorgte, dass sich noch mehr Familien zu Wort meldeten, um Gerechtigkeit für ihre Verwandten zu fordern, die in Xinjiang verschwanden und aller Wahrscheinlichkeit nach inhaftiert sind.

Der Besuch von Michelle Bachelet ist eine Gelegenheit, langfristige Kommunikationskanäle zwischen dem Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte und den Behörden vor Ort zu etablieren, was künftige Anfragen von Familien bezüglich des Schicksals und Verbleibs ihrer Angehörigen betrifft.

«Die Vereinten Nationen müssen den Bemühungen für die Suche nach verschwundenen Personen Rückenwind geben, indem sie bekannten Inhaftierten aktiv nachspüren und alles daran setzen, sie zu finden. Die von den chinesischen Behörden vertuschte Wahrheit muss mithilfe der Vereinten Nationen aufgedeckt werden», sagte Agnès Callamard.

Uno-Bericht muss veröffentlicht werden

Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte hat einen eigenen Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang angefertigt. Laut Angaben von Michelle Bachelet befand dieser sich im vergangenen Jahr in der Fertigstellung. Doch trotz wiederholter Forderungen von Amnesty International und fast 200 anderen NGOs ist dieser Bericht noch nicht veröffentlicht worden.

«Die Erkenntnisse der Uno-Delegation in China müssen zeitnah veröffentlicht werden und dürfen nicht in gleicher Weise verschleppt werden wie die Veröffentlichung des Berichts zu Xinjiang, auf den die Welt aus unerklärten Gründen immer noch wartet. Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte muss alle Erkenntnisse über Menschenrechtsverletzungen in China ohne weitere Verzögerung öffentlich machen», fordert Agnès Callamard.