Der Uno-Menschenrechtsrat tagt in Genf zum ersten Mal seit Veröffentlichung des Berichts des Uno-Hochkommissariats über die Gräueltaten in Xinjiang. Darin erhebt auch die Uno schwere Vorwürfe gegen China und spricht von möglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Menschen, die vor kurzem aus Xinjiang geflohen sind, und Familienangehörige von Gefangenen berichten Amnesty International, dass Menschen in der Region weiterhin allein aufgrund ihrer Religion und ethnischen Zugehörigkeit verfolgt und willkürlich inhaftiert werden.
«Der Uno-Menschenrechtsrat hat es immer wieder versäumt, die Menschenrechte von Millionen von Muslim*innen in Xinjiang zu schützen, die in den letzten Jahren zahllosen Gräueltaten ausgesetzt waren. Viele Mitgliedsstaaten des Menschenrechtsrates haben das langjährige Schweigen der ehemaligen Hochkommissarin dazu genutzt, ihr eigenes Schweigen zu rechtfertigen», sagte die Generalsekretärin von Amnesty International, Agnès Callamard.
«Aber die Zeit für Halbheiten ist vorbei: Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte hat bestätigt, dass die dokumentierten Gräueltaten möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen und die sofortige Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft erfordern. Der Rat muss eine Antwort geben, die dem Ausmass und der Schwere der Verstösse angemessen ist.»
Auch die Schweiz soll sich stärker engagieren
Amnesty International fordert die Mitglieder des Rates auf, konkrete Schritte zu unternehmen, um den Menschenrechtsverstössen der chinesischen Behörden Einhalt zu gebieten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Menschenrechtsrat muss in dieser Session eine Resolution vorlegen und einen unabhängigen internationalen Mechanismus mit der Untersuchung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang beauftragen. Damit sollen die Rechenschaftspflicht für Verbrechen sichergestellt und mutmassliche Täter*innen identifiziert werden.
Die Mitgliedstaaten des Uno-Menschenrechtsrats müssen ausserdem unverzüglich und unmissverständlich von der chinesischen Regierung verlangen, dass sie alle willkürlich in Internierungslagern, Gefängnissen oder anderen Einrichtungen festgehaltenen Personen freilässt. Zudem sollen sich die Staaten verpflichten, niemanden nach China zurückzuschicken, der von Verfolgung oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen bedroht ist.
«Wir erwarten von der Schweiz, als Verfechterin der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und des Multilateralismus, dass sie nicht nur zuschaut, sondern ihr diplomatisches Kapital und Geschick für die Schaffung einer unabhängigen internationalen Untersuchung durch den Menschenrechtsrat einsetzt», sagte Michael Ineichen, Leiter Advocacy der Schweizer Sektion von Amnesty International.
Chinas Vertuschung in Xinjiang
Die chinesischen Behörden haben versucht, die Untersuchungen des Uno-Hochkommissariats zu blockieren, und die Uno-Mitgliedstaaten unter Druck gesetzt, die vorliegenden Beweise herunterzuspielen oder zu ignorieren. Infolgedessen durften Uno-Ermittler*innen nicht nach Xinjiang reisen und der Umfang der Untersuchung der Uno-Hochkommissarin war begrenzt.
Menschen, die in Xinjiang leben oder familiäre Bindungen zur Region haben, riskieren für sich und ihre Familienangehörigen Verhaftung, Inhaftierung, Folter und Verschwindenlassen, wenn sie mit Uno-Vertreter*innen, anderen Ermittler*innen oder Medienschaffenden sprechen.
«Im Inneren wendet China weiterhin schwere Gewalt und Einschüchterung an, während es gleichzeitig auf der Weltbühne diplomatische Druckmittel einsetzt, um seine Gräueltaten in Xinjiang zu vertuschen. Die Ratsmitglieder müssen die Versuche Chinas, die Ergebnisse des Berichts zu delegitimieren, als das erkennen, was sie sind – nichts weniger als ein Versuch, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verbergen und Kritik abzuschrecken», sagte Agnès Callamard.
«Wenn die Ratsmitglieder jetzt nicht handeln, machen sie sich mitschuldig an der Vertuschung durch die chinesische Regierung. Dies wäre ein unverzeihlicher Verrat an den Millionen von Opfern, Überlebenden und ihren Familienangehörigen.»
Angst vor Repressalien
Amnesty International hat zwischen Januar und Juni 2022 in Zentralasien und in der Türkei Personen befragt, die kürzlich aus Xinjiang geflohen sind. Zudem wurden Interviews mit Familienangehörigen von Inhaftierten geführt.
Die meisten der kürzlich Geflüchteten waren zu verängstigt, um offen über ihre Erfahrungen zu sprechen, da sie Vergeltungsmassnahmen gegen Familienmitglieder befürchteten, die sich noch in Xinjiang aufhielten. Nur wenige erklärten sich bereit, unter Bedingung der Anonymität mit Amnesty International zu sprechen.
Sie beschrieben die anhaltende Unterdrückung und Verfolgung überwiegend muslimischer Gruppen in Xinjiang. Ihre Berichte bezeugen schwerwiegende Verletzungen der Rechte auf Freiheit und Sicherheit der Person, auf Privatsphäre, auf Freizügigkeit, auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung, auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit, auf Teilnahme am kulturellen Leben, auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung sowie auf Freiheit von Zwangsarbeit.
Im Rahmen der Kampagne Free Xinjiang Detainees hat Amnesty International unterdessen 126 Fälle von Inhaftierten dokumentiert. Sie gehören zu den mutmasslich Hundertausenden von Menschen, die willkürlich in Internierungslagern und Gefängnissen in Xinjiang inhaftiert sind.