«Die chinesischen Behörden haben Chen Guangcheng und seine Familie anderthalb Jahre lang unter Hausarrest gehalten, sie schlimm misshandelt, geschlagen und nicht einmal für das Einkaufen von Nahrungsmitteln aus dem Haus gehen lassen. Diese schändliche Geschichte muss endlich ein Ende haben», sagte Sarah Schafer, China-Expertin von Amnesty International.
Der Anwalt und Menschenrechtsaktivist Chen Guangcheng ist vor allem bekannt für seine öffentliche Kritik an Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisierungen in Linyi in der Provinz Shandong. Vergangene Woche ist er nach 19 Monaten aus dem Hausarrest geflohen. Zwei weitere Personen wurden im Zusammenhang mit dieser Flucht festgenommen. Gemäss den vorliegenden Informationen soll He Peirong, eine Sympathisantin von Chen Guangcheng, die ihm offenbar bei der Flucht half, eine dieser beiden Personen sein. Sie hatte über die Flucht auf ihrem Microblog berichtet, welcher später gelöscht wurde. Auch Chen Guangchengs älterer Bruder, Chen Guangfu, soll festgenommen worden sein.
Gemäss der in den USA beheimateten China Aid Association ist Chen Guangcheng aus seinem Haus in der Provinz Shandong mit Hilfe einiger Freunde geflohen. Am 27. April 2012 gab die Organisation bekannt, dass Chen «an einem 100% sicheren Ort» in Beijing sei. Amnesty konnte für diese Information keine Bestätigung finden und ist weiterhin um Chens Sicherheit besorgt.
In einer am Freitag verbreiteten Videobotschaft sagte Chen Guangcheng, er sei «endlich entkommen», und berichtete, dass die Misshandlungen, denen er und seine Familie ausgesetzt gewesen waren, noch schlimmer waren als Gerüchte im Internet hatten vermuten lassen. Er erzählte, dass die Behörden, oder von ihnen angeheuerte Personen, seine Frau derart übel geschlagen hätten, dass sie einen Knochen nahe dem linken Auge brach, dass ihr aber nicht gestattet worden war, sich medizinisch betreuen zu lassen. Auch seine Mutter sei geschlagen worden.
Chen Guangcheng sagte weiter, dass seine Tochter jeden Tag von drei Personen verfolgt werde, die ihre Schultasche durchsuchten. Er sagte weiter, dass er um die Sicherheit seiner Familie, namentlich seiner Frau, Yuan Weijing, und seiner kleinen Tochter fürchte, die vermutlich noch immer unter Arrest stehen und nun mit «Racheaktionen» rechnen müssen. In dem Video wandte sich Chen Guangcheng direkt an Premierminister Wen Jiabao mit der dringenden Aufforderung, die in diesen Fall verwickelten Personen zu bestrafen, seine Familienangehörigen zu schützen, und unter anderem die Korruption zu bekämpfen.
Hintergrundinformationen
Der autodidaktisch ausgebildete Anwalt wurde international bekannt, nachdem er die bei den Behörden von Linyi im Namen der chinesischen Bevölkerungskontrollpolitik weit verbreitete Praxis der Zwangsabtreibung und Zwangssterilisierung angeprangert hatte. Die Behörden reagierten mit Repression, indem sie ihn wegen «Beschädigung von Eigentum und Versammlung einer Menschenmenge zur Blockierung des Verkehrs» im Jahr 2006 zu vier Jahren Gefängnis verurteilten. Amnesty International engagierte sich für ihn als Gewissensgefangenen.
Unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im September 2010 wurden Chen Guangcheng und seine Familie an ihrem Wohnort in Donshigu in Linyi unter illegalen Hausarrest gestellt. Besucher, die Chen während des Hausarrests aufsuchen wollten, sagten gegenüber den Medien, dass sie blutig geprügelt, ausgeraubt und mit Säcken über den Köpfen vom Ort weggefahren wurden.
In einem berühmt gewordenen Versuch, den blinden Aktivisten zu besuchen, wurden der Batman-Darsteller Christian Bale und ein CNN-Fernsehteam, das ihn begleitete, von einem lokalen Sicherheitsmann rüde abgewiesen.
Als Retorsionsmassnahme wegen der Veröffentlichung eines Videos über ihr Leben unter Hausarrest wurden Chen und seine Frau letztes Jahr von Zivilpolizisten geschlagen.
Chen Guangcheng hat eine populäre Online-Kampagne ausgelöst, in der Sympathisanten Fotos von sich mit dunkler Brille veröffentlichen oder dunkle Brillen auf ihre Social-Media-Profile stellen.