Am 15. März übergab Amnesty Indien den Behörden eine Petition, die von Menschen aus zwölf Ländern unterzeichnet worden war: Die indischen Behörden und insbesondere Premierminister Narendra Modi sind aufgefordert, den Einschüchterungen und Drangsalierungen von MenschenrechtsverteidigerInnen und zivilgesellschaftlichen Organisationen ein Ende zu setzen und vom Einsatz repressiver Gesetze gegen sie abzusehen.
«Von den USA bis nach Südkorea: Tausende Menschen auf der ganzen Welt unterstützen den Appell von Amnesty International an die indischen Behörden, ihr scharfes Vorgehen gegen menschenrechtlich und zivilgesellschaftlich engagierte Personen umgehend zu beenden, so Aakar Patel, Leiter von Amnesty International in Indien. «Auch Uno-Agenturen und Abgeordnete des EU-Parlaments haben aufgrund der zunehmend gefährdeten Menschenrechtsarbeit in Indien ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Dies zeigt uns, dass die Welt zusieht und dass die indischen Behörden Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler nicht länger ungestraft einsperren, angreifen oder schikanieren können.»
So hatten Anfang März 20 Abgeordnete des EU-Parlaments einen Brief an die indischen Behörden gesandt, in dem sie ihre Bedenken ausdrückten und die Regierung zum Handeln aufforderten. Im Dezember 2018 hatten sich drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen bezüglich der Razzien in den indischen Büros von Amnesty International und Greenpeace schriftlich an die indische Regierung gewandt. Der Sonderberichterstatter über die Förderung und den Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung, der Sonderberichterstatter für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und der Sonderberichterstatter über die Lage von MenschenrechtsverteidigerInnen baten um Informationen und äusserten sich besorgt über die Vorfälle.
«In Indien stehen bald Wahlen an, und Amnesty Indien appelliert an alle politischen Parteien, die Menschenrechte im Wahlkampf zur Priorität zu machen. Wir werden diese Regierung und alle nachfolgenden Regierungen weiterhin auffordern, unseren Forderungen nachzukommen. Die Behörden müssen dafür sorgen, dass Indien ein Ort bleibt, an dem abweichende Meinungen frei geäussert werden dürfen und wo Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler ihrer Arbeit ungehindert und ohne Furcht nachgehen können», so Aakar Patel.
Hintergrund
Menschenrechsorganisationen und weitere NGOs werden in Indien zunehmend ins Visier genommen. Seit etwa einem Jahr ist verstärkt zu beobachten, wie Organisationen und Einzelpersonen, die Menschenrechtsverletzungen an den ärmsten und am stärksten marginalisierten Gemeinschaften im Land anprangern, dämonisiert und kriminalisiert werden.
Im Oktober 2018 durchsuchte die Behörde für Finanzdelikte (Enforcement Directorate), die dem Finanzministerium untersteht, die Büros von Amnesty und Greenpeace in Indien. Im Anschluss an die Razzien wurden die Bankkonten der beiden Organisationen eingefroren. Die Konten von Greenpeace Indien wurden infolge eines Urteils des Hohen Gerichts von Karnataka mittlerweile wieder freigegeben.
Das scharfe Vorgehen gegen die indischen Büros von Amnesty International und Greenpeace ist nur eines von vielen Beispielen für den harten Kurs, den die Regierung gegen die Zivilgesellschaft fährt. Von Juni bis August 2018 konnte man in Indien eine besonders harte Linie gegen MenschenrechtsverteidigerInnen beobachten: Zehn bekannte AktivistInnen wurden unter einem repressiven Antiterrorgesetz festgenommen, dem Gesetz zur Verhütung von Straftaten (Unlawful Activities Prevention Act – UAPA). Dieses Regelwerk wird häufig dazu genutzt, um RegierungskritikerInnen zum Schweigen zu bringen. Zudem wird das drakonische Gesetz über Finanzierung aus dem Ausland (Foreign Contribution (Regulation) Act) herangezogen, um die Arbeit bestimmter Einrichtungen auszusetzen oder ganz einzustellen. Betroffen sind bisher beispielsweise Organisationen wie People’s Watch (die Organisation von Amnesty-Menschenrechtspreisträger Henri Tiphagne), Lawyers Collective, Sabrang Trust und Navsarjan Trust.