Aktion für Bhima Koregaon in Berlin. © Amnesty International, Foto: Toralf Albrecht
Aktion für Bhima Koregaon in Berlin. © Amnesty International, Foto: Toralf Albrecht

Indien Bhima Koregaon: Inhaftiert wegen des Einsatzes für die Rechte der Dalits

9. August 2021
16 prominente indische Menschenrechtsverteidiger*innen sitzen seit drei Jahren auf der Anklagebank in Indien. Sie werden des Landesverrats beschuldigt, es wurde aber nie ein Verfahren gegen sie eingeleitet.

Im Januar 2018 organisierten Organisationen der Dalits (die sogenannten Kastenlosen oder «Unberührbaren) und von anderen marginalisierten Gruppen eine Gedenkveranstaltung bei Bhima Koregaon, einem Dorf im indischen Bundesstaat Maharashtra. Die Veranstaltung wurde von hindu-nationalistischen Schlägertruppen angegriffen, wobei eine Person ums Leben kam. Die polizeilichen Untersuchungen richteten sich zunächst gegen zwei prominente Hindu-Nationalisten. Doch dann gerieten die Veranstalter*innen der Gedenkfeier selbst in den Fokus der Untersuchungen. Die Polizei behauptet seitdem, dass die Gewalt durch aufrührerische Reden ausgelöst worden sei und dass die Organisator*innen der Gedenkfeier die Schuld an den Geschehnissen trügen.

Verhaftungswelle

In der Folge nahm die Polizei des Bundesstaats Maharashtra im Juni 2018 bei mehreren Razzien die Menschenrechtsverteidiger*innen Surendra Gadling, Rona Wilson und Sudhir Dhawale, Shoma Sen und Mahesh Raut fest. Zwei Monate später wurden die Anwältin und Gewerkschafterin Sudha Bharadwaj, die Aktivisten Vernon Gonsalves und Arun Ferreira und der Schriftsteller Varavara Rao verhaftet. Im Januar 2020 übernahm die nationale Antiterroreinheit NIA die Ermittlungen und benannte weitere Personen, die mutmasslich an den gewaltsamen Unruhen beteiligt sein sollten. Am 14. April 2020 stellten sich der Journalist Gautam Navlakha und der Hochschullehrer Anand Teltumbde den Behörden; beide befinden sich seitdem in Haft. Im Juli wurde der Englisch-Professor Hany Babu festgenommen, am 8. Oktober der Jesuitenpater Stan Swamy. Der 84-jahrige Priester kämpfte seit mehr als drei Jahrzehnten für die Rechte der Adivasi in Jharkhand. Am 7. und 8. September inhaftierten die Behörden Sagar Tatyarao Gorkhe, Ramesh Murlidhar Gaichor und Jyoti Jagtap vom Kulturverein Kabir Kala Manch in Pune, der sich mit Theateraufführungen gegen das Kastensystem und Gräueltaten an Dalits wendet.

Der in Haft verstorbene Pater Stan Swamy, hier im Jahr 2010. © Khetfield59/wikimedia

Ältere Menschen mit Vorerkrankungen in überfüllten Gefängnissen

Damit sind bisher 16 Personen in Zusammenhang mit den Ereignissen in Bhima Koregaon inhaftiert, der Fall ist deshalb auch unter der Abkürzung BK16 bekannt. Einige der Inhaftierten sind ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Sie werden dennoch in überfüllten Gefängnissen festgehalten, in denen sie einem erhöhten Corona-Risiko mit gleichzeitig wenig Behandlungsmöglichkeiten ausgesetzt sind. So wurde der 80-jahrige Schriftsteller Varavara Rao im Juli 2020 positiv auf das Virus getestet, die Gerichte lehnten es jedoch ab, ihn gegen Kaution freizulassen. Der 84-jährige Jesuitenpater Stan Swamy verstarb am 5. Juli 2021 an einer Corona-Infektion, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte.

Fordern sie die Freiheit der der BK 16 und unterzeichnen Sie die Petition, die die Zürcher Frauengruppe von Amnesty Schweiz zusammen mit dem Solifonds lanciert hat.

Repression im Namen des Krieges gegen den Terror

Die Festnahmen erfolgten alle auf der Grundlage des drakonischen «Unlawful Activities (Prevention) Act». Das Anti-Terror-Gesetz schränkt die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit empfindlich ein und wird oft verwendet, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Internationale Beobachter*innen und Organisationen sehen im Fall BK16 ein Indiz für den Niedergang der zivilen Rechte oder gar der Demokratie in Indien, denn mit den BK16 steht ein wesentlicher Teil der kritischen indischen Zivilgesellschaft unter Anklage. Die Behörden nutzten die Ausschreitungen von Bhima Koregaon als Vorwand, um gegen diejenigen vorzugehen, die seit vielen Jahren genau diese repressiven Gesetze bekämpft haben, auf deren Grundlage sie nun angeklagt sind.

In den letzten Jahren wurden Menschenrechtsaktivist*innen und NGOs in Indien zunehmend kriminalisiert, darunter auch Amnesty selber, das seine Arbeit in Indien einstellen musste. Mehr zur Situation unserer Amnesty-Sektion in Indien

Amnesty International fordert von der indischen Regierung, dass alle Gefangenen derBK16 umgehend freigelassen werden. Ebenso muss die indische Regierung die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit sicherstellen.

Hintergrund

Alljährlich gedenken Dalit-Aktivist*innen des Siegs der früheren britischen Kolonialmacht gegen die Armee der indischen Peshwa in einer historischen Schlacht bei der Ortschaft Bhima Koregaon im Bundesstaat Maharasthra. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, macht durchaus Sinn, denn die Streitkräfte der East India Company bestanden fast ausschliesslich aus Dalits und sie siegten gegen die Armee der brahmanischen Peshwa-Dynastie. Die Erinnerung an diese Schlacht ist eng mit den sozialen und politischen Kämpfen der Gegenwart verknüpft. Die Anhängerschaft der regierenden Indischen Volkspartei (BJP) und radikal-hinduistischen Nationalist*innen der RSS empfinden die alljährliche Feier dieses Siegs als Provokation und staatsfeindliches Verhalten. Aus Sicht der Dalits hingegen repräsentiert die Peshwa-Dynastie die traditionelle Kastenhierarchie, verbunden mit all der Verachtung, Unterdrückung und Ausbeutung gegenüber Dalits und Adivasis, an der sich bis heute wenig geändert hat. Über die Jahre wurde Bhima Koregaon damit zu einem Symbol für die Emanzipation der Dalits.


Mehr zur aktuellen Lage in Indien und zum Widerstand gegen die wachsende Repression und den Nationalismus im aktuellen Amnesty-Magazin.