Rohingya-Flüchtlinge an einem Strassenrand in Bangladesh, 28. September 2017 © Andrew Stanbridge / Amnesty International
Rohingya-Flüchtlinge an einem Strassenrand in Bangladesh, 28. September 2017 © Andrew Stanbridge / Amnesty International

Myanmar Ein Jahr nach den Massakern sind die Täter weiter auf freiem Fuss

Medienmitteilung 23. August 2018, London/Bern – Medienkontakt
Am 25. August 2017 starteten die Sicherheitskräfte Myanmars ihre mörderische Offensive gegen die Rohingya: Über 700'000 Angehörige der muslimischen Minderheit flohen aus dem Norden des Bundesstaates Rakhine in das benachbarte Bangladesch. Aufgrund der Untätigkeit der internationalen Staatengemeinschaft sind die Täter in Armee und Polizei auch ein Jahr nach den Massakern und ethnischen Säuberungen weiter auf freiem Fuss.
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Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden

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Als Reaktion auf mehrere Überfälle auf Polizeiposten durch Rebellen der Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) machten Armee und Polizei ab dem 25. August 2017 systematisch Hunderte Dörfer der Rohingya dem Erdboden gleich. Bei der Militäroffensive handelte es sich um eine ethnische Säuberung, wie Amnesty International ausführlich dokumentiert hat. Im Rahmen des Einsatzes wurden Rohingyadörfer niedergebrannt, Landminen eingesetzt und schwere Menschenrechtsverletzungen sowie systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Vergewaltigung, Folter, Aushungerung und Vertreibung begangen.

 «Dieser Jahrestag ist eine Schande. Solange diejenigen, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind, nicht zur Rechenschaft gezogen werden, sendet die internationale Gemeinschaft das Signal aus, dass das myanmarische Militär nicht nur für vergangene Verbrechen mit Straflosigkeit rechnen, sondern auch zukünftig straflos agieren kann. Das dürfen wir nicht zulassen», erklärt Tirana Hassan, Leiterin des Krisenreaktionsteams von Amnesty International.

 «Ein Jahr nach der mörderischen Kampagne ist die Zukunft für Hunderttausende Rohingya, die vor diesen systematischen Angriffen fliehen mussten und sich jetzt in Flüchtlingslagern in Bangladesch aufhalten, immer noch ungewiss. Solange ihre Peiniger sich auf freiem Fuss befinden, ist es geradezu absurd zu denken, dass für Rohingyaflüchtlinge eine sichere, würdevolle und freiwillige Rückkehr möglich ist.»

Apartheidähnliche Zustände

Im Juni 2018 unterzeichneten Uno-Agenturen und die Regierung von Myanmar eine Absichtserklärung, die weithin als ein «erster Schritt» hin zur Rückführung von Rohingyaflüchtlingen aus Bangladesch bezeichnet wurde. Zwar ist damals der fast fertige Entwurf der Erklärung nach aussen gedrungen, doch die endgültige Vereinbarung wurde nie veröffentlicht.

Für den Norden des Bundesstaates Rakhine werden allerdings ernsthafte Reformen benötigt, wenn eine langfristige Rückführung der Rohingya möglich gemacht werden soll. Amnesty International und andere Organisationen haben dokumentiert, dass hinter der brutalen Reaktion des Militärs auf die Überfälle der ARSA im August 2017 viele Jahre institutioneller Diskriminierung und Ausgrenzung stehen, die mit einem System der Apartheid vergleichbar sind – ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

 «Es ist keine akzeptable Option, Rohingyaflüchtlinge aus überfüllten Lagern in Bangladesch in den Bundesstaat Rakhine zurückzuholen, der für sie seit jeher einem Freiluftgefängnis gleicht. Länder aus aller Welt müssen Druck auf Myanmar ausüben, dieses System der Apartheid abzuschaffen und den Rohingya sowie auch allen anderen ethnischen Minderheiten ihre Rechte auf Staatsangehörigkeit und Freizügigkeit zuzugestehen», so Tirana Hassan.

Bericht der Uno-Untersuchungskommission

Der nächste Woche erwartete Bericht der Uno-Untersuchungskommission über Myanmar wird sich in die zahlreichen bereits existierenden Nachweise über völkerrechtliche Verbrechen gegen die Rohingya und andere ethnische Minderheiten in den nordöstlichen Staaten Kachin und Shan einreihen – wo Amnesty International Kriegsverbrechen dokumentiert hat und wo schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung an der Tagesordnung sind.

In beiden Regionen schränken die Behörden den Zugang zu humanitärer Hilfe nach wie vor stark ein, was für die Zivilbevölkerung verheerende Folgen mit sich bringt.

 «Ein Mangel an politischem Willen, nicht ein Mangel an Beweisen, ist der Grund für die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft. Es ist unbestreitbar, dass die myanmarischen Sicherheitskräfte Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya verübt haben. Doch während die internationale Gemeinschaft die Entscheidung, darüber, was zu tun sei, weiter hinauszögert, besteht die Gefahr, dass wichtige Beweismittel verschwinden oder vernichtet werden», kritisiert Tirana Hassan.

Gräueltaten nicht unter den Teppich kehren

Ende Mai 2018 kündigten die myanmarischen Behörden auf internationalen Druck hin die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission an, die Menschenrechtsverletzungen im Bundesstaat Rakhine aufklären soll. Bisher waren derartige Kommissionen wenig mehr als Scheinuntersuchungen, um Gräueltaten des Militärs zu übertünchen. Auf einer Pressekonferenz Mitte August sagte die Vorsitzende der Kommission, dass keine «Schuldzuweisungen» gemacht würden und man nicht mit dem Finger auf Einzelpersonen zeigen würde, um ihnen die Verantwortung zu geben – ein klares Indiz dafür, dass sich diese jüngste Untersuchungskommission in keiner Weise von ihren Vorgängern unterscheiden wird.

 «Es kann nicht sein, dass die myanmarischen Behörden eine staatliche Untersuchungskommission als Mittel verwenden, um Gewalttaten gegen die Rohingya unter den Teppich zu kehren. Wir waren schon einmal in einer ähnlichen Situation und es ist ganz offensichtlich, dass sie auf Zeit spielen und darauf warten, dass die Welt sich wieder anderen Dingen zuwendet», so Tirana Hassan.

Internationale Gemeinschaft muss endlich handeln

Amnesty International veröffentlichte im Juni 2018 den Bericht ‘We Will Destroy Everything’, in dem die Namen von 13 Verantwortlichen genannt werden, die bei den Gräueltaten gegen die Rohingya eine Schlüsselrolle gespielt haben. Unter ihnen befindet sich auch der Oberbefehlshaber der Armee, General Min Aung Hlaing.

Amnesty führte konkrete Schritte auf, um diese Personen sowie weitere Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, wie zum Beispiel die Übergabe des Falls an den Internationalen Strafgerichtshof durch den Uno-Sicherheitsrat und die Einrichtung eines internationalen Mechanismus zum Sammeln und Sichern von Beweisen, um diese in zukünftigen strafrechtlichen Verfahren zu verwenden.

Zwar haben in den vergangenen Monaten die Europäische Union, Kanada und die Vereinigten Staaten angekündigt, einige der mutmasslich Verantwortlichen mit gezielten Sanktionen zu belegen, doch es muss auf Uno-Ebene dringend noch viel mehr getan werden, um zu gewährleisten, dass diese auch zur Rechenschaft gezogen werden.

 «Wenn sich der Uno-Menschenrechtsrat und die Generalversammlung nächsten Monat treffen, braucht es entschiedenes Handeln, um Gerechtigkeit für die Rohingya und andere ethnische Minderheiten im Norden Myanmars zu gewährleisten. Der Uno-Sicherheitsrat muss die Situation unbedingt an den Internationalen Strafgerichtshof übergeben – Diese wichtige Chance darf nicht verspielt werden», so Tirana Hassan.