Am 25. August 2019 jährt sich der Beginn der grossen Militäroperation im Bundesstaat Rakhine zum zweiten Mal. Die Angriffe zwangen mehr als 740'000 Frauen, Männer und Kinder der Rohingya über die Grenze nach Bangladesch zu fliehen. Dort leben sie noch heute. Die Militäroperation war von Gräueltaten geprägt, die eine Untersuchungskommission der Uno als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wahrscheinlich auch als Völkermord einstuft.
Trotz internationaler Empörung und der Verabschiedung einer Resolution des Uno-Menschenrechtsrats, die die Rechenschaftspflicht in Myanmar einfordert, sind die Generäle, die die Angriffe auf die Rohingya koordinierten, nach wie vor auf ihren Posten. Der Amnesty-Bericht «We Will Destroy Everything‘: Military Responsibility for Crimes against Humanity in Rakhine State, Myanmar» vom Juni 2018 dokumentiert das Vorgehen der Militäreinheiten in Rakhine und zeigt, dass die Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen bis in die obersten Befehlsstrukturen reicht. Neben Myanmars Armeechef Min Aung Hlaing hat Amnesty International zwölf weitere Personen identifiziert, die bei diesen Menschenrechtsverletzungen eine Schlüsselrolle spielten. Gegen sie müssen Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet werden. Im Mai 2019 zeigte der Amnesty-Bericht mit dem Titel «No one can protect us: War crimes and abuses in Myanmar’s Rakhine State» weitere Kriegsverbrechen durch myanmarische Militärangehörige auf, die diese im Rahmen einer späteren Offensive gegen die bewaffnete Rohingya-Gruppe Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) begangen hatte.
«Die jüngsten Pläne einer beschleunigten Rückführung haben in den Flüchtlingslagern Angst und Schrecken ausgelöst.» Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Ost- und Südostasien bei Amnesty International
«Die jüngsten Pläne einer beschleunigten Rückführung Tausender Rohingya aus Bangladesch nach Myanmar haben in den Flüchtlingslagern Angst und Schrecken ausgelöst. Die Erinnerungen an Mord, Vergewaltigung und niedergebrannte Dörfer sind in den Köpfen der geflohenen Rohingya noch frisch. Das myanmarische Militär ist so mächtig und unbarmherzig wie eh und eh. Somit bleibt eine Rückkehr nach Rakhine unsicher für alle», sagte Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Ost- und Südostasien bei Amnesty International.
Der Uno-Menschenrechtsrat hat 2018 eine Resolution für die Rechenschaftspflicht in Myanmar verabschiedet. Mit der Unterstützung des Mandats sollen Beweise für Völkerrechtsverbrechen gesammelt und gesichert werden. Amnesty International begrüsst die Schritte in Richtung Rechenschaftspflicht, fordert aber weiterhin, dass sich der Internationale Strafgerichtshof mit der Situation in Myanmar befassen muss.
«Dieser traurige Jahrestag erinnert uns deutlich daran, dass es dem UN-Sicherheitsrat nicht gelungen ist, sich an die Seite der Überlebenden zu stellen und die Verantwortlichen für die Massenverbrechen vor Gericht zu stellen. Die Lage in Myanmar muss dringend dem Internationalen Strafgerichtshof übergeben und ein wirksames Waffenembargo verhängt werden. »
Ein Albtraum auf beiden Seiten der Grenze
Den Rohingya werden auf beiden Seiten der Grenze zwischen Myanmar und Bangladesch ihre Rechte verweigert. In Myanmar leben Hunderttausende Rohingya seit Jahrzehnten unter systematischer Diskriminierung und Ausgrenzung. Das zeigt der Amnesty-Bericht «Caged without a roof’: Apartheid in Myanmar’s Rakhine State»: Rohingya dürfen sich nicht frei bewegen, der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung wird ihnen verwehrt.
Die Zufahrtswege nach Rakhine werden vom Militär streng kontrolliert, was eine internationale Überwachung der Situation der Zurückkehrenden äusserst schwierig machen würde.
In Bangladesch leben mehr als 910'000 Rohingya in Flüchtlingslagern, wo ihnen häufig die elementarsten Grundrechte verweigert werden. Darunter sind auch Menschen, die bereits vor früheren Angriffen geflohen sind. Die Regierung in Bangladesch schränkt ihr Leben stark ein: Auch sie können sich nicht frei bewegen, dürfen keine Arbeit annehmen und ihre Kinder dürfen nicht zur Schule gehen.
Eine angemessene Einbeziehung der Rohingya für die Rückführungen fand nicht statt.
Am 15. August 2019 gaben die Regierungen von Bangladesch und Myanmar bekannt, dass sie eine beschleunigte Rückführung der Flüchtlinge aus Bangladesch nach Myanmar planen. In einem ersten Schritt sollen 3540 Rohingya zurückgeführt werden. Die Behörden gaben zwar an, dass die Rückführungen nur durchgeführt werden sollten, wenn sie sicher, freiwillig und in Würde vonstatten gehen könnten. Doch eine angemessene Einbeziehung der Rohingya im Vorfeld fand nicht statt. Ausserdem haben es die Behörden in Myanmar versäumt, die Rechenschaftspflicht für die begangenen Verbrechen umzusetzen und das bestehende Apartheitssystem abzuschaffen – was einer sicheren und würdevollen Rückführung klar entgegensteht.
«Die internationale Gemeinschaft muss mit den Behörden in Bangladesch zusammenarbeiten, um den geflohenen Rohingya einen würdevollen Neuanfang zu ermöglichen. Ohne eine angemessene Einbindung der Rohingya sollten keine Entscheidungen über ihre Zukunft getroffen werden. »