Satellitenbilder vom 30. Mai 2020 zeigen, dass ein grosser Teil des Dorfes Mee Let Wa im Bundesstaat Chin zerstört ist. © 2020 Maxar Technologies
Satellitenbilder vom 30. Mai 2020 zeigen, dass ein grosser Teil des Dorfes Mee Let Wa im Bundesstaat Chin zerstört ist. © 2020 Maxar Technologies

Myanmar Luftangriffe fordern zivile Opfer

Medienmitteilung 8. Juli 2020, London/Bern – Medienkontakt
Amnesty International hat neue Beweise, dass bei Luftangriffen durch das Militär im Nordwesten Myanmars zahlreiche Zivilpersonen getötet wurden, darunter auch Kinder. Im Kampf mit Aufständischen werden in den Bundesstaaten Rakhine und Chin ganze Dörfer niedergebrannt. Es gelangen Berichte von willkürlicher Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen aus der abgeschotteten Region nach aussen.

Das myanmarische Militär geht im Nordwesten des Landes gegen die bewaffnete ethnische Gruppe Arakan Army (AA) vor. Die Kämpfe nahmen zwischen März und Mai an Intensität zu. Nach Uno-Angaben wurden allein im Mai mehr als 30 Zivilpersonen im Zuge des Konflikts getötet oder verletzt. Laut Schätzungen des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen flohen Anfang Juli weitere 10'000 Menschen aufgrund schwerer Kampfhandlungen und Warnungen vor vorrückenden Militäreinheiten aus ihren Häusern.

Die Gewalteskalation findet in Teilen Myanmars statt, die inmitten der Covid-19-Pandemie seit Monaten vom Internet abgeschnitten sind. Durch die Internetsperre weiss die Bevölkerung nur wenig über die Gefahren durch das Coronavirus. Sie hat auch keinen Zugang zu Informationen über humanitäre Hilfe.

Brutale Taktik des Militärs

Amnesty International interviewte im Mai und Juni 2020 mehr als zwei Dutzend Angehörige der ethnischen Gruppen der Rakhine und Chin, die von militärischen Operationen wie Luftangriffen und Granatbeschuss betroffen waren. Zudem analysierte die Organisation aktuelle Satellitenbilder niedergebrannter Dörfer und überprüfte die Echtheit von Videomaterial, auf welchen Verstösse des myanmarischen Militärs zu sehen sind.

«Die von uns gesammelten Beweise legen ein schockierendes Zeugnis davon ab, wie weit die Straflosigkeit in den Reihen des myanmarischen Militärs immer noch reicht. Dies trotz des zunehmenden internationalen Drucks gegen die Militäreinsätze in der Region, einschliesslich einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs IGH», sagte Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Asien-Pazifik bei Amnesty International.

Die Opfer stammen überwiegend aus ethnischen Minderheiten mit buddhistischem und christlichem Glauben in den Bundesstaaten Rakhine und Chin. Medienberichte dokumentierten aber auch Verstösse gegen zivile Angehörige der muslimischen Rohingya-Minderheit.

Zeugenaussagen belegen, dass myanmarische Soldaten im Bundesstaat Rakhine willkürlich Zivilpersonen wegen angeblicher Verbindungen zur AA inhaftiert und in einigen Fällen auf Folter und andere Formen der Misshandlung zurückgegriffen haben. Zudem gibt es neue glaubhafte Berichte über Plünderungen durch das Militär, wie sie bereits in einem 2019 erschienenen Bericht von Amnesty International dokumentiert wurden.

Zudem dokumentierte Amnesty International, wie in verschiedenen Townships der Bundesstaaten Rakhine und Chin Dörfer niedergebrannt bzw. zerstört wurden. Satellitenaufnahmen mehrerer Dörfer zeigen, dass weite Teile in Brand gesteckt wurden – eine übliche Taktik des myanmarischen Militärs. Das Militär und die Arakan Army geben sich gegenseitig die Schuld an den Brandstiftungen.

Amnesty International konnte aufgrund der Reisebeschränkungen im Zuge der Covid-19-Pandemie und wegen des eingeschränkten Zugangs zu Konfliktzonen und zu AugenzeugInnen die Einsätze und Menschenrechtsverstösse der Arakan Army nicht dokumentieren. Neuere Berichte legen jedoch den Schluss nahe, dass die Arakan Army weiterhin Menschenrechte verletzt, wie sie in der Vergangenheit dokumentiert wurden. So bringt die bewaffnete Gruppe bei ihren Angriffen das Leben von Zivilpersonen in Gefahr; örtliche Gemeinschaften werden einschüchtert und Menschen willkürlich inhaftiert.

Forderung nach Strafuntersuchung durch ICC

Amnesty International fordert den Uno-Sicherheitsrat dringend auf, den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) mit der Untersuchung der Situation in Myanmar zu betrauen.

«Was neu ist, sind die Luftangriffe und Internetsperren; was gleichgeblieben ist, ist die skrupellose Gleichgültigkeit des Militärs gegenüber dem Leben von Zivilpersonen», stellt Nicholas Bequelin klar. «Die Gräueltaten haben nicht aufgehört. Im Gegenteil. Die Grausamkeit des myanmarischen Militärs zeigt sich auf immer raffiniertere Weise. Dieses Muster an Menschenrechtsverletzungen muss eindeutig vor den ICC gebracht werden. Der Uno-Sicherheitsrat muss dringend handeln.»