Der Bericht «Deadly Cargo: Exposing the Supply Chain that Fuels War Crimes in Myanmar» liefert detaillierte Einblicke in die Lieferkette für Flugtreibstoff seit dem Militärputsch von 2021. Die Recherche deckt auf, wie der Treibstoff in weit entfernten Häfen verladen und umgelagert wird, in die Lager des Militärs gelangt und schliesslich für schockierende, illegale Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung verwendet wird. «Durch diese Luftangriffe wurden Familien zerstört, Zivilpersonen in Angst und Schrecken versetzt und Menschen getötet und verstümmelt. Doch wenn die Flugzeuge nicht nachtanken können, können sie auch nicht losfliegen und Schaden anrichten. Wir fordern heute Lieferfirmen, Schiffsagenten, Schiffseigner und Versicherungen auf, sich aus einer Lieferkette zurückzuziehen, die der Luftwaffe von Myanmar zuarbeitet», so Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.
«Es gibt keine Rechtfertigung dafür, ein Militär mit Treibstoff zu versorgen, das die Menschenrechte in eklatanter Weise missachtet und das wiederholt beschuldigt wurde, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben.»
«Der Fall zeigt exemplarisch, warum ein wirksames Gesetz für Konzernverantwortung bei Missbräuchen im Ausland auch in der Schweiz dringlich ist.» Danièle Gosteli Hauser, Verantwortliche für Wirtschaft und Menschenrechte bei der Schweizer Sektion von Amnesty International
Die Untersuchung von Amnesty International erfolgte in Zusammenarbeit mit der Aktivist*innen-Gruppe Justice For Myanmar und der Unterstützung weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Burma Campaign UK. Der Bericht stützt sich auf eine Vielzahl von Quellen, darunter geleakte Unternehmens- und Geschäftsdokumente, Daten von nachverfolgten Schiffsfahrten, Satellitenbilder, öffentliche Dokumente sowie Exklusivinterviews mit Überläufer*innen aus der myanmarischen Luftwaffe mit und Quellen aus dem Umfeld von Puma Energy.
Auch Überlebende der Luftangriffe kommen zu Wort. In ihren erschütternden Schilderungen der Ereignisse wird deutlich, wie viele Opfer diese rechtswidrigen Angriffe gefordert haben. Seit dem Militärputsch wurden mindestens 2300 Zivilpersonen getötet, zahlreiche davon durch Luftangriffe der der Junta.
Der 73-jährige Ka Naw, der im Februar 2022 Zeuge eines Luftangriffs auf ein bewohntes Dorf im Bundesstaat Kayah (Karenni) im Osten Myanmars wurde, beschreibt den Angriff, bei dem zwei Zivilpersonen ums Leben kamen, wie folgt: «Es war unglaublich laut. Ich sah, wie die Flugzeuge herunterkamen, ihre Bomben abwarfen und dann wieder aufstiegen. Sie sind sehr tief geflogen ... Beim ersten Überflug haben sie [das Dorf] bombardiert, dann haben sie gewendet und mit Maschinengewehren geschossen.»
Lieferkette offengelegt
Unternehmen sind zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet, wo immer sie tätig sind. Die heute von Amnesty International veröffentlichten Rechercheergebnisse zeigen jedoch, dass die Tätigkeiten einiger Unternehmen, die an der Lieferung von Flugtreibstoff nach Myanmar beteiligt sind, mit der Begehung von Kriegsverbrechen durch das Militär in Myanmar in Verbindung stehen.
Seit 2015 ist Puma Energy mit Sitz in Genf und Singapur als wichtigstes ausländisches Unternehmen an der Abfertigung, Lagerung und beim Vertrieb von Flugtreibstoff in Myanmar beteiligt. Puma Energy befindet sich weitgehend im Besitz des Schweizer Rohstoffmultis Trafigura. In Myanmar war das Unternehmen über seine Tochtergesellschaft Puma Energy Asia Sun (PEAS) und das Joint Venture National Energy Puma Aviation Services (NEPAS) tätig. Nach Angaben von Puma Energy hat das Unternehmen seinen Betrieb ab Februar 2021 bis zum 5. Oktober 2022 auf die Bereitstellung von Flugtreibstoff für zivile Zwecke beschränkt.
Aus dem Bericht geht jedoch etwas anderes hervor: Den Erkenntnissen von Amnesty International zufolge wird Jet-A-1-Kerosin in erster Linie über ein von PEAS verwaltetes Terminal im Hafen von Thilawa nach Myanmar eingeführt. Amnesty International hat acht separate Kerosinlieferungen identifiziert, die zwischen Februar 2021 und Mitte September 2022 an diesem Terminal entladen wurden. Der Treibstoff wurde dann im PEAS-Terminal zwischengelagert, bis er mit Tanklastwagen zu NEPAS-Lagereinrichtungen und Militärflugplätzen im ganzen Land transportiert wurde. Aus den von Dezember 2021 bis August 2022 erhobenen Daten geht hervor, dass einige NEPAS-Lagereinrichtungen mit Militärflugplätzen verbunden sind. Daraus folgt, dass die zivile und die militärische Nutzung von Flugtreibstoff untrennbar miteinander verbunden sind.
Dadurch, dass Puma Energy dem Militär in Myanmar den Zugang zu Flugtreibstoff erleichterte, hat das Unternehmen also zur Verletzung der Menschenrechte durch das Militär in Myanmar beigetragen. Wie Puma Energy gegenüber Amnesty International einräumte, habe das Unternehmen Kenntnis von Berichten über die gewaltsame Einforderung von Treibstoff durch das Militär an bestimmten NEPAS-Flughafeneinrichtungen. «Die Berichte von diesen Vorfällen haben unser Vertrauen in die Fähigkeit von NEPAS, die [von Puma Energy] eingerichteten Kontrollen zu wahren, erschüttert.»
Am 26. September konfrontierte Amnesty International Puma Energy mit den Ergebnissen des Berichts. Zehn Tage darauf gab das Unternehmen bekannt, dass es das Land verlassen und seine Niederlassung in Myanmar verkaufen werde.
«Auch wenn wir die Entscheidung von Puma Energy, sich aus Myanmar zurückzuziehen, begrüssen: Die Ankündigung vom Verkauf an ein nicht näher genanntes ‚privates Unternehmen in lokalem Besitz‘ schafft neue Bedenken. Schliesslich geht es darum, sich auf verantwortungsvolle und transparente Weise zurückzuziehen und zu vermeiden, dass die Infrastruktur für Flugtreibstoff in den Händen des Militärs von Myanmar verbleibt», sagt Montse Ferrer, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International.
«Puma Energy muss sich auf eine verantwortungsvolle Weise zurückziehen und zur Wiedergutmachung der entstandenen Schäden beitragen. Als erster Schritt sollte das Unternehmen mit den Gemeinden in Myanmar, die von Luftangriffen betroffen waren, angemessene Entschädigungen aushandeln», sagte Ferrer.
«Der Fall zeigt exemplarisch, warum ein wirksames Gesetz für Konzernverantwortung bei Missbräuchen im Ausland auch in der Schweiz dringlich ist», sagt Danièle Gosteli Hauser, Verantwortliche für Wirtschaft und Menschenrechte bei der Schweizer Sektion von Amnesty International.
«Im Gegensatz zur europäischen Union, die gerade dabei ist, ein Konzernverantwortungsgesetz zu erlassen, hinkt die Schweiz beim Thema hinterher. Als Antwort auf die Konzernverantwortungsinitiative, die 2020 von einer Mehrheit der Stimmbevölkerung angenommen wurde, aber am Ständemehr scheiterte, hat sich der Bundesrat auf eine Berichterstattungspflicht der Unternehmen beschränkt. Auf Haftungsregeln oder behördliche Kontrolle wurde gleich ganz verzichtet. Die Schweiz drückt lieber ein Auge zu, als dafür zu sorgen, dass die Aktivitäten von Konzernen, insbesondere in Konfliktregionen, nicht zu Menschenrechtsverletzungen oder gar Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit führen.»
Lieferungen an die Luftwaffe
Puma Energy ist kein Einzelfall. Auch andere Unternehmen spielen eine wichtige Rolle in der Lieferkette von Flugtreibstoff in Myanmar. Sie werden mit den gleichen Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang gebracht. Von Februar 2021 bis zum 17. September 2022 wurden mindestens sieben Öltanker acht Flugtreibstofflieferungen am Hafenterminal in Thilawa im Handelszentrum Rangoon entladen – ein Terminal, das von der Puma-Energy-Tocher PEAS verwaltet wird.
Amnesty International konnte die Lieferfirmen und das Datum von vier dieser Lieferungen identifizieren: Die Singapore Petroleum Company (SPC), eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Petro China (Dezember 2021); das russische Unternehmen Rosneft (Dezember 2021); Chevron Singapore (Februar 2022) und Thai Oil (Juni 2022). Auch ExxonMobil wird mit einer Lieferung im Juni 2022 in Verbindung gebracht.
Aus Amnesty International vorliegenden Dokumenten geht hervor, dass die Lieferungen von Thai Oil und SPC (PetroChina) für die Luftwaffe von Myanmar bestimmt waren.
Vertreter*innen von Rosneft, Chevron und Thai Oil erklärten gegenüber Amnesty International, sie hätten die Zusicherung erhalten, dass die Lieferungen nur für zivile Zwecke bestimmt seien. SPC (PetroChina) hat auf keine Bitte um Stellungnahme reagiert. Thai Oil reagierte auf die Schreiben von Amnesty International mit der Erklärung, es werde den Verkauf von Jet-A-1-Kerosin an Myanmar aussetzen, «bis keine derartigen Bedenken mehr bestehen».
«Alle Unternehmen, die mit gebotener Sorgfalt eine Prüfung in Sachen Menschenrechte durchführen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass der Verkauf von Flugtreibstoff an Kunden in einem Land, das von einem Militär mit einer grausamen Menschenrechtsbilanz regiert wird, zumindest hohe Risiken birgt», sagte Ferrer.
Der koreanische Schiffseigner Pan Ocean und die norwegische Reederei Wilhelmsen waren ebenfalls an einer Reihe von Flugtreibstofflieferungen beteiligt. Pan Ocean hat auf die Anfragen von Amnesty nicht reagiert. Wilhelmsen erklärte, das Unternehmen sei davon ausgegangen, dass die Lieferungen zivilen Zwecken dienten, man werde aber «ab sofort keinerlei Vermittlungsdienste mehr für Schiffs- oder Frachteigner erbringen, die in Häfen in Myanmar Jet-A-1-Kerosin entladen».
Dokumentation von Luftangriffen
Im Zuge dieser Recherche hat Amnesty International 16 rechtswidrige Luftangriffe dokumentiert, die zwischen März 2021 und August 2022 in den Bundesstaaten Kayah, Kayin und Chin sowie in der Region Sagaing durchgeführt wurden.
Der Einsatz von Streumunition durch das myanmarische Militär, den Amnesty International bei zweien dieser Angriffe nachgewiesen hat, stellt eine beunruhigende neue Entwicklung dar. Der Einsatz von Streumunition ist international verboten, da diese nicht zwischen Zivilist*innen und Kombattanten unterscheidet und zu hohen zivilen Opferzahlen führt.
Amnesty International konnte vier Luftwaffenstützpunkte – Hmawbi, Magway, Tada-U und Taungoo – direkt mit Angriffen in Verbindung bringen, die Kriegsverbrechen darstellen. Bei den dokumentierten Luftangriffen wurden insgesamt mindestens 15 Zivilpersonen getötet, mindestens 36 weitere verletzt. Ausserdem wurden Häuser, religiöse Gebäude, Schulen, medizinische Einrichtungen und ein Lager für Vertriebene zerstört.
Die Zahl der Todesopfer durch Luftangriffe basiert auf den Angaben, die Amnesty International durch direkte Beweise überprüfen konnte. Dazu gehören übereinstimmende Aussagen von Zeug*innen und die Namen der Opfer, die häufig durch Foto- und Videomaterial der Angriffe untermauert wurden.
Laut Medienberichten und anderen Zeugnissen von Menschenrechtsverletzungen gab es noch weitaus mehr rechtswidrige Luftangriffe, bei denen Zivilpersonen in ganz Myanmar getötet und verletzt wurden. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer ist damit wesentlich höher. In den allermeisten dieser dokumentierten Fälle scheinen sich zum Zeitpunkt des Angriffs nur Zivilpersonen am Ort des Geschehens aufgehalten zu haben.
Die Schwestern Maria und Caroline, etwa 15 und 12 Jahre alt, wurden am 17. Januar 2022 getötet, als das Lager für Binnenvertriebene von Ree Khee Bu in dem an Thailand grenzenden Bundesstaat Kayah mitten in der Nacht angegriffen wurde. Nu Nu, ein Mann in den Fünfzigern, wurde ebenfalls getötet. Kaw Reh, der 50-jährige Vater der Mädchen, der sich in dieser Nacht in einem anderen Dorf aufgehalten hatte, fand die Leichen am nächsten Morgen in Tücher gehüllt vor. «Sie haben die Leichen meiner Töchter und des Mannes in die Kirche gebracht. Ich wollte einfach nur die Getöteten sehen und mich dort hinsetzen», berichtete er und fügte hinzu, dass das Hab und Gut der Familie am Ort des Angriffs entweder durch Granatsplitter zerstört oder von anderen Bewohner*innen verbrannt wurde, weil es «voller Organe und Blut» gewesen sei. Seine überlebende Tochter, die früher aktiv und aufgeschlossen war, möchte jetzt nicht mehr mit anderen Kindern spielen.
Im Juli 2022 besuchten zwei Expert*innen von Amnesty International den Ort des Angriffs und begutachteten die Bombenkrater und die noch sichtbaren Schäden. Da sich zum Zeitpunkt des Angriffs keine Kämpfer*innen oder andere militärische Ziele in der Nähe befanden, scheint es sich um einen direkten Angriff auf die Zivilbevölkerung und damit um ein Kriegsverbrechen zu handeln.
«Das von einer Reihe von Unternehmen gelieferte, importierte, gelagerte und vertriebene Kerosin war für das myanmarische Militär bei der Durchführung dieser Art von schrecklichen Luftangriffen unerlässlich. Es ist an der Zeit, die Lieferung von Flugtreibstoff an die myanmarische Luftwaffe ein für alle Mal zu stoppen», so Ferrer.