Was ein Gebärmuttervorfall ist, wissen in Europa nicht einmal alle Frauen: Die gynäkologische Erkrankung, bei der sich die Gebärmutter in die Vagina senkt und im fortgeschrittenen Stadium aus ihr heraus tritt, betrifft hierzulande vor allem ältere Frauen und ist zudem behandelbar. In Nepal hingegen sind Hunderttausende davon betroffen - gemäss einer Schätzung der Uno rund jede zehnte Frau -, und viele von ihnen schon im Alter von 20 bis 30 Jahren. Der Grund dafür wurzelt in der weit verbreiteten Diskriminierung von Frauen und Mädchen. Die Folge ist eine Behinderung der Betroffenen bei den alltäglichsten Tätigkeiten. Wer unter einem Gebärmuttervorfall leidet, wird zudem häufig stigmatisiert und aus Familie und Gesellschaft ausgeschlossen.
Verletzung von Frauenrechten als Ursache
«Während das Problem auf den ersten Blick gynäkologischer Natur ist, hängen sowohl die Ursachen, die Folgen wie auch die Lösung eng mit Menschenrechten zusammen», sagt Stella Jegher, Frauenrechtsexpertin von Amnesty International Schweiz.
«Kinderheiraten, zu frühe und zu rasch aufeinanderfolgende Geburten, Mangelernährung und körperliche Schwerstarbeit auch kurz vor und nach einer Geburt, fehlender Zugang zu ärztlicher Betreuung und Versorgung im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt sind einige der Gründe, warum so viele Frauen unter einem Gebärmuttervorfall leiden. Die Lösung muss deshalb bei der Bekämpfung von Diskriminierung und bei der Gewährleistung grundlegender sexueller und reproduktiver Rechte gesucht werden.»
Mädchen und Frauen haben in Nepal kaum Chancen, selbst über ihre sexuellen Beziehungen zu bestimmen, über Zahl und Abstand ihrer Schwangerschaften zu entscheiden und sich vor und nach einer Geburt adäquat zu schonen. Das belegt der Bericht Unnötige Last: geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gebärmuttervorfall in Nepal (Unnecessary Burden: Gender discrimination and uterine prolapse in Nepal). Er beruht auf einer ausgedehnten Recherche vor Ort und auf zahlreichen Gesprächen von Amnesty International mit Frauen, Mädchen und Männern, mit Frauenrechtsaktivistinnen, medizinischen Fachpersonen und mit Regierungsbeamten.
Laue Massnahmen der Regierung
«Die Regierungen von Nepal haben im Umgang mit dem Problem des Gebärmuttervorfalls eine nach der anderen versagt», stellt Madhu Malhotra fest. Die Direktorin der Gender-Abteilung von Amnesty International war selbst an der Erarbeitung des Berichts beteiligt. «Sie haben lediglich ein paar laue Massnahmen der Symptombekämpfung getroffen. Die tieferliegenden Ursachen, die Diskriminierung und die Risikofaktoren wurden hingegen nicht angegangen.» Trotz jahrelangem Druck von nepalesischen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen hat die Regierung bis heute keine Strategie.
Amnesty International will nun den Druck auf die nepalesische Regierung verstärken: «Nepal muss endlich einen umfassenden Plan dafür entwickeln, wie Gebärmuttervorfall wirksam bekämpft werden kann. Die Regierung muss das Problem, unter dem Hunderttausende leiden, als Menschenrechtsthema anerkennen und die entsprechenden Massnahmen treffen», so Malhotra.
Kampagne für sexuelle und reproduktive Rechte
Die Veröffentlichung des Berichts erfolgt im Vorfeld der Lancierung einer weltweiten Kampagne von Amnesty International für die sexuellen und reproduktiven Rechte. In vielen Ländern werden diese Rechte trotz internationaler Verpflichtungen nicht eingehalten und geschützt, und auch auf Ebene der Uno besteht die Gefahr, dass sie zurückbuchstabiert werden.
Medienmitteilung veröffentlicht: London / Bern, 20. Februar 2014
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