Karama Khamis Khamisain, ein jemenitischer Staatsangehöriger, der wegen Verdachts auf Drogenhandel im pakistanischen Quetta im Gefängnis sass, musste sich den Bart wachsen lassen und lernen, Gebete und rituelle Waschungen gemäss islamischer Vorschrift auszuüben, damit er als glaubwürdiger «Terrorverdächtiger» an die US-Armee verkauft werden konnte. Das Beispiel von Karama Khamisain ist nur eines von vielen, die in einem heute von Amnesty International (AI) veröffentlichten Bericht zu finden sind und die belegen, dass Hunderte von Menschen nach dem 11. September 2001 in Pakistan willkürlich festgenommen und an die USA verkauft worden sind.
«Die USA haben ab Januar 2002 in Pakistan Tausende von Flugblättern verteilt, auf denen finanzielle Belohnungen für die Verhaftung und Überstellung von ‚Terrorverdächtigen’ versprochen wurden», erklärt Susanne Preisig, Pakistan-Expertin von Amnesty International. «Das führte dazu, dass unzählige Menschen ohne konkreten Verdacht, zum Beispiel einzig aufgrund ihrer arabischen Herkunft, verhaftet oder von Privatpersonen, militärischen und paramilitärischen Gruppierungen aufgegriffen und an die USA verkauft wurden.» Diese Praxis führte zu Hunderten von Fällen von «Verschwindenlassen» und Folter, wie im AI-Bericht «Pakistan: Human rights ignored in the ‚war on terror’» zu lesen ist.
«Die Strasse nach Guantánamo beginnt in Pakistan», stellt Preisig fest. AI geht davon aus, dass mehr als 85 Prozent – oder über 700 - der Häftlinge in Guantánamo nicht von US-Truppen, sondern von afghanischen oder pakistanischen Häschern verschleppt und gegen Geld an das US-Militär weitergereicht worden sind. Der AI-Bericht belegt damit Äusserungen des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf, der in seiner soeben erschienen Biografie schreibt, dass der US-Geheimdienst CIA für die Jagd auf «Terroristen» Millionen von Dollars an Pakistan überwiesen habe.
Mit seiner Beteiligung am «Krieg gegen den Terror» hat Pakistan in den letzten Jahren systematisch und schwerwiegend die Menschenrechte verletzt. Das Schicksal und der Aufenthaltsort von vielen Verschleppten, darunter Frauen, Kinder und Säuglinge, sind nach wie vor unbekannt. Angehörige von «Verschwundenen» wurden bedroht und davor gewarnt, an die Öffentlichkeit zu gehen oder rechtliche Schritte zu unternehmen.
«Vor dem ‚Krieg gegen den Terror’ war ‚Verschwindenlassen’ in Pakistan praktisch unbekannt; jetzt ist es eine immer weiter um sich greifende Praxis, die auch MenschenrechtsverteidigerInnen und JournalistInnen erfasst», sagt Preisig. Verhaftete sind misshandelt, gefoltert und möglicherweise auch aussergerichtlich hingerichtet worden. «Es mag sein, dass sich die pakistanische Regierung gezwungen sah, die USA im ‚Krieg gegen den Terror’ zu unterstützen, wie Musharraf behauptet. Aber das entschuldigt schwere Menschenrechtsverletzungen keinesfalls“, betont die Pakistan-Expertin. AI fordert Pakistan auf, «Verschwindenlassen», Folter und aussergerichtliche Hinrichtungen sofort zu beenden und «Terrorverdächtige» vor ein ordentliches Gericht zu stellen oder freizulassen. Die Opfer müssen angemessen entschädigt werden.
Pakistan Hunderte von «Terrorverdächtigen» an die USA verkauft
29. September 2006
Unter dem Deckmantel des «Kriegs gegen den Terror» und in Zusammenarbeit mit den USA hat die pakistanische Regierung zahllose PakistanerInnen und AusländerInnen «verschwinden» lassen, sie in geheimen Gefängnissen festgehalten oder an Drittstaaten ausgeliefert. Ein heute von Amnesty International veröffentlichter Bericht belegt mit zahlreichen Einzelfällen, dass Hunderte von willkürlich Festgenommenen an die US-Armee verkauft worden sind.