Menschen verlassen ihre Dörfer und tragen ihre Habseligkeiten durch überschwemmte Ebenen, um in höher gelegene Gebiete im südlichen Punjab zu erreichen, 25. August 2022. © Getty / Shahid Saeed Mirza
Menschen verlassen ihre Dörfer und tragen ihre Habseligkeiten durch überschwemmte Ebenen, um in höher gelegene Gebiete im südlichen Punjab zu erreichen, 25. August 2022. © Getty / Shahid Saeed Mirza

Pakistan Klimakatastrophen gefährden insbesondere Kinder und ältere Menschen

Medienmitteilung 6. Mai 2025, London/Bern – Medienkontakt
In Pakistan sind das Gesundheitssystem und der Katastrophenschutz inmitten extremer klimabedingter Wetterereignisse nicht in der Lage, Kinder und ältere Menschen angemessen zu schützen und zu versorgen. Laut einem neuen Bericht von Amnesty International sind es aber gerade diese Bevölkerungsgruppen, die bei solchen Ereignissen am stärksten von Krankheit und Tod bedroht sind.

Der Bericht «Uncounted: Invisible deaths of older people and children during climate disasters in Pakistan» dokumentiert, dass das unterfinanzierte pakistanische Gesundheitssystem die Folgen der immer häufiger auftretenden Überflutungen und Hitzewellen nicht angemessen bewältigen kann. Dies führt zu vermeidbaren Todesfällen, insbesondere von Kleinkindern und älteren Menschen.

Pakistan, das für etwa 1 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, rangiert global auf dem fünften Platz, was die Anfälligkeit für Klimakatastrophen angeht. In Zusammenarbeit mit dem Indus Hospital & Health Network (IHHN), einer gemeinnützigen Organisation, die in Pakistan kostenlose Gesundheitsleistungen anbietet, dokumentierte Amnesty International eine Häufung von Todesfällen infolge extremer Wetterereignisse.

«Steigende Temperaturen führen zu einem Wettergeschehen, das immer extremer und unberechenbarer wird. Kinder und ältere Menschen in Pakistan sind direkt von den Folgen der Klimakrise betroffen. Sie sind unverhältnissmässig oft die Opfer von Krankheits- und Todesfällen aufgrund extremer Hitze und heftiger Überschwemmungen», erklärte Laura Mills, Mitarbeiterin im Krisenreaktionsteam von Amnesty International.

«Das pakistanische Gesundheitssystem ist selbst in Zeiten, in denen kein Notstand herrscht, völlig unterfinanziert und überlastet. Durch den Klimanotstand wird das System zusätzlich unter Druck gesetzt und ist nicht in der Lage, die Betroffenen angemessen zu versorgen.»

Überschwemmungen führen häufig zur Ausbreitung von Atemwegserkrankungen und Krankheiten, die durch Wasser und Mücken übertragen werden – was ein erhöhtes Risiko für ältere Menschen und kleine Kinder darstellt. Auch extreme Hitze bringt insbesondere Kleinkinder und ältere Erwachsene – vor allem bei Vorerkrankungen – in Gefahr. Pakistan erhebt so gut wie keine Daten zu der mit diesen Wetterereignissen verbundenen Sterblichkeitsrate. Dies schränkt die Möglichkeit ein, angemessen zu reagieren und Leben zu retten.

Die NGO Indus Hospital & Health Network (IHHN) führte eine quantitative Studie zu den Auswirkungen extremer Wetterereignisse auf die menschliche Gesundheit durch und analysierte dafür im Jahr 2022 die Zahl der Todesfälle in drei IHHN-Gesundheitseinrichtungen: in Badin in der Provinz Sindh, die am stärksten von Überschwemmungen betroffen ist, sowie in Muzaffargarh und in Bhong in der Provinz Punjab, welche am stärksten von Hitzewellen betroffen sind. IHHN untersuchte die Beziehung zwischen Sterblichkeitsraten und Klimaindikatoren, einschliesslich Niederschlag und Temperatur.

Auf der Grundlage der quantitativen Untersuchung von IHHN führte Amnesty International qualitative Interviews durch, um der Situation noch weiter auf den Grund zu gehen. Amnesty International besuchte zwischen April 2024 und Januar 2025 viermal die Provinzen Sindh und Punjab und führte Ferninterviews mit Menschen aus den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan durch. Insgesamt sprach die Organisation mit 210 Personen, darunter 90 Angehörige von Verstorbenen, deren Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Hitzewellen oder Überschwemmungen zurückgeführt werden konnte.

Temperaturen bis zu 50° Grad Celsius

Im Jahr 2022 erlebte Pakistan eine Rekordhitzewelle mit Temperaturen von bis zu 50° Grad Celsius. Diese überdurchschnittlich hohen Temperaturen führten zu ungewöhnlich heftigen Regenfällen. Der Indus, der von Norden nach Süden durch das Land fliesst, trat über die Ufer und überschwemmte eine Fläche von 75‘000 km2. Dies hatte Auswirkungen auf mindestens 33 Millionen Menschen, etwa 8 Millionen Menschen wurden durch die Überflutungen aus ihrer Heimat vertrieben.

Für viele Menschen kam die Katastrophe ohne Vorwarnung. Dies kostete Menschenleben, auch viele Kinder, die bei überstürzten Evakuierungen manchmal zurückgelassen wurden oder verloren gingen.

Im September 2022 verzeichnete das IHHN-Krankenhaus in Badin in der südlichen Provinz Sindh an der Mündung des Indus 71 Prozent mehr Todesfälle als im regulären Monatsdurchschnitt des Jahres. Dies lag hauptsächlich an einer erhöhten Müttersterblichkeit und neonatalen Sterblichkeit; auch Infektionskrankheiten spielten eine grosse Rolle. Die stärkste Zunahme der Sterblichkeitsrate war bei Kindern unter fünf Jahren zu beobachten, insbesondere bei Säuglingen und Neugeborenen, sowie bei Erwachsenen über 50.

Der 61-jährige Haji kann seit dem September 2024 nicht mehr gehen, da seine Gesundheit unter den Überschwemmungen gelitten hat. © Shakil Adil / Amnesty International

Amnesty International sprach mit Dutzenden Personen, die von den Überschwemmungen im Jahr 2022 betroffen waren, darunter auch Menschen, die aufgrund von wasserbürtigen Krankheiten Familienangehörige verloren hatten. In vielen Fällen gaben diese an, dass es hauptsächlich der Mangel an rechtzeitigen Evakuierungsmassnahmen und die unzureichenden Lebensbedingungen gewesen seien, die zu dem Erkranken eines Kindes oder einer älteren Person beigetragen hatten.

Die 32-jährige Seeta und ihre drei Kinder mussten auf eine höher gelegene Strasse in der Nähe ihrer Ortschaft flüchten. Die Familie versuchte, aus Bettgestellen und Planen eine notdürftige Unterkunft zu bauen. Sie sagte Amnesty International: «Wir waren völlig durchnässt und schutzlos.» Kurz darauf begann die einjährige Tochter Kareena schwer zu husten, was wochenlang anhielt. Wegen der Überschwemmungen konnte die Familie keinen Arzt aufsuchen. Schliesslich brachten sie Kareena in das IHHN-Krankenhaus in Badin. Trotz der Versorgung mit Sauerstoff, intravenösen Infusionen und anderen Medikamenten starb Kareena am 27. August 2022 an Lungenversagen. Seeta sagte: «Am Tag ihres Todes war ich an ihrem Bett. Sie verlor das Bewusstsein und schloss die Augen. Ich schrie nach meinem Mann... Es war so furchtbar.»

Wiederholung zwei Jahre später

Im Jahr 2024 trat das gleiche Muster auf: Ungewöhnlich starke Hitze führte zu heftigen Regenfällen und Überschwemmungen. Mehr als 1,5 Millionen Menschen litten unter den Folgen, und viele von ihnen waren bereits zwei Jahre zuvor infolge von Überschwemmungen vertrieben worden. Zwar gab es 2024 in manchen Gegenden bessere Frühwarnsysteme, doch die Überlebenden profitierten häufig weder von Evakuierungsmassnahmen noch von Alternativunterkünften. Auch waren so gut wie keine vorbeugenden Gesundheitsmassnahmen ergriffen worden, weshalb es erneut zur Ausbreitung von Krankheiten kam.

Die verheerenden Hitzewellen 2024 führten in weiten Teilen Pakistans erneut zu Todesopfern. Offiziell war die Zahl der Todesopfer niedrig,  doch Amnesty International sprach mit vielen Menschen, deren Gesundheit durch die Hitzewellen Schaden nahm, sowie mit 24 Angehörigen von Personen, deren Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die extremen Temperaturen 2022 und 2024 zurückzuführen war und deren Todesursache nicht als hitzebedingt registriert wurde. Sie waren alle über 50 Jahre alt und mussten in vielen Fällen auch während der gefährlichen Hitzewellen zur Arbeit gehen, da sie keine Rente oder anderen Sozialleistungen in Anspruch nehmen konnten.

In Karatschi sorgten anhaltende Stromausfälle, die zur Reduzierung der Netzlast vorgenommen wurden («Lastabwurf»), für gefährlich hohe Temperaturen in dicht besiedelten Wohnblocks. Zwar richteten die Regierung und einige NGOs Kühlzentren ein, doch diese waren für eine Stadt mit mehr als 20,3 Millionen Einwohner*innen zu spärlich gesät. Die meisten Personen, mit denen Amnesty International sprach, wussten nichts von diesen Zentren. Erstversorgungskliniken waren für die Behandlung von Menschen mit hitzebedingten Erkrankungen schlecht gerüstet. Viele Patient*innen wurden an eine Handvoll grösserer Krankenhäuser verwiesen, die schnell an ihre Grenzen stiessen.

Ein Mann in Karatschi berichtete, dass sein 65-jähriger Vater während der langen Stromausfälle starb. Am 25. Juni 2024 brachte der Mann seinen Vater in eine nahegelegene Klinik, nachdem sich sein Zustand verschlechtert hatte. Er sagte: «Sein Körper war heiss, seine Augen geöffnet – aber er atmete sehr schwer und bewegte sich nicht... Die Klinik sagte, wir sollten ihn in ein grösseres Krankenhaus bringen, da sein Zustand zu ernst sei.»

Es standen keine staatlichen Krankenwagen zur Verfügung, und Wohlfahrtsorganisationen sagten, sie könnten aus Kapazitätsgründen keine Ambulanz schicken. Der Mann starb, bevor er das Krankenhaus erreichte.

Pakistan Unzureichende Hilfe: Von Überschwemmungen betroffene Menschen benötigten dringend Nahrungsmittel. 3. September 2022 im südlichen Punjab . © Getty / Arif Ali

Unzureichende Datenerhebung

In Pakistan werden weniger als 5 Prozent der Todesfälle in irgendeiner Form statistisch erfasst. Laut Recherchen von Amnesty International sind die offiziellen Zahlen zu den durch Überschwemmungen verursachten Todesfällen zu tief. So bilden die Zahlen der Katastrophenschutzbehörden in der Regel nur die Todesfälle durch Ertrinken oder Stromschlag ab und erfassen nicht die Menschen, die später an Infektionskrankheiten sterben. Dadurch werden ältere Menschen und Kleinkinder, die nach Überflutungen am stärksten durch Krankheiten gefährdet sind, statistisch übersehen.

Die Statistiken zur Sterblichkeitsrate bei Hitzewellen sind noch unzuverlässiger. Im Jahr 2022, als die Temperaturen in vielen Teilen der Provinz Punjab, in der 120 Millionen Menschen leben, bis auf 50° Grad Celsius kletterten, wurden offiziell keine hitzebedingten Todesfälle registriert.

Todesfälle, die durch extreme Hitze verursacht werden, sind schwer akkurat zu erfassen, da die Betroffenen oft Vorerkrankungen aufweisen, die ihre Anfälligkeit erhöhen. Man spricht daher häufig von «Übersterblichkeit» (eine höhere Sterberate als erwartet), um den Zusammenhang zwischen extremer Hitze und Sterblichkeit zu bestimmen.

Obwohl sich Klimakatastrophen unverhältnismässig stark auf ältere Menschen auswirken, werden in Pakistan praktisch keine Daten über die Gesundheit dieser Altersgruppe erhoben. Die offiziellen Regierungsdaten sind derzeit nicht in der Lage, die Menschenopfer der Klimakrise zu erfassen. Ohne besser zu verstehen, wer am stärksten betroffen ist und wie hoch die Zahl der Todesopfer ist, können weder die pakistanische Regierung noch die internationale Gemeinschaft wirksam gegen Klimafolgen vorgehen.

 

Empfehlungen

Laut internationaler Menschenrechtsnormen müssen Staaten die Rechte auf Leben und Gesundheit schützen. Pakistan hat seit 2022 zwar einige bemerkenswerte Verbesserungen beim Katastrophenschutz vorgenommen, ist jedoch nach wie vor nicht in der Lage, diese Rechte für die gesamte Bevölkerung zu gewährleisten.

«Die tragische Realität ist, dass diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, am stärksten unter den Folgen zu leiden haben», sagte Laura Mills.

«Der Klimawandel macht nicht an internationalen Grenzen halt. Die Verantwortung für die vermeidbaren Todesfälle in Pakistan liegt nicht nur in Islamabad, sondern auch bei den Ländern, die weiterhin fossile Brennstoffe in unannehmbar hohem Masse verbrennen, produzieren und exportieren.

Pakistans Regierung muss mehr tun, um angesichts der Klimaänderungen sein Gesundheitssystem und die Notversorgung zu verbessern. Und auch die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass die schutzbedürftigsten Menschen in Pakistan den nötigen Schutz erhalten. Einkommensstarke Länder mit hohen Emissionen müssen mehr Finanzmittel und andere Ressourcen bereitstellen, um allen Menschen in Pakistan bei der Anpassung an die Klimakrise zu helfen und die Bewältigung von Klimaschäden zu unterstützen.»