Der Bericht «Being ourselves is too dangerous» (PDF, 109 Seiten in Englisch) von Amnesty International zeigt auf, wie Frauen und LGBTI-Aktivist*innen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren unrechtmässig mit digitaler Überwachung, einschliesslich Pegasus-Spähsoftware und Online-Belästigung, ins Visier genommen werden, um sie zum Schweigen zu bringen.
«Thailand stellt sich seit langem als Verfechter der Geschlechtergleichstellung dar und ist auf internationaler Ebene verschiedene Verpflichtungen zum Schutz der Rechte von Frauen und LGBTI* eingegangen. Die Realität sieht jedoch so aus, dass Frauen und LGBTI-Aktivist*innen in dem Land nach wie vor mit schwerer geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert sind, die durch die digitale Technologie ermöglicht wird», sagt Chanatip Tatiyakaroonwong, Regonialexperte für Thailand bei Amnesty International.
«...Die Realität sieht jedoch so aus, dass Frauen und LGBTI-Aktivist*innen in dem Land nach wie vor mit schwerer geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert sind, die durch die digitale Technologie ermöglicht wird» Chanatip Tatiyakaroonwong, Regonialexperte für Thailand bei Amnesty International
Nach dem Militärputsch 2014 haben Aktivist*innen an der Spitze der friedlichen Proteste in Thailand digitale Technologien genutzt, um angesichts des schrumpfenden Handlungsspielraums der Zivilgesellschaft für die Stärkung der Menschenrechte einzutreten.
Der Bericht zeigt jedoch, wie diese Technologien nun genutzt werden, um Aktivist*innen zu belästigen, geschlechtsspezifische Desinformationen sowie Hassreden und sexualisierte Inhalte zu verbreiten, die Frauen und LGBTI*-Personen erniedrigen.
Der Bericht basiert in erster Linie auf ausführlichen Interviews mit 40 Frauen und LGBTI*-Aktivist*innen, darunter solche, die in den südlichen Grenzprovinzen des Landes leben, in denen malaiische Muslim*innen die Bevölkerungsmehrheit stellen.
Überwachung durch Pegasus-Software
Amnesty International hat im Rahmen ihrer Recherchen neun der 15 Aktivist*innen befragt, die nachweislich in den Jahren 2020 und 2021 von Pegasus, der von der israelischen Cybertechnologiefirma NSO Group entwickelten hochinvasiven Spionagesoftware, ins Visier genommen wurden. Der Bericht zeigt, dass diese gezielte digitale Überwachung unverhältnismässig viele Frauen und LGBTI*-Aktivist*innen trifft.
Das Mobiltelefon von Niraphorn Onnkhaow, einer 22-jährigen studentischen Aktivistin, wurde 14-mal mit Pegasus-Spyware infiziert – der bisherige Rekord bei der Überwachung von Personen in Thailand. Sie glaubt, dass dies mit ihrer Beteiligung an der von Jugendlichen angeführten Demokratiebewegung zusammenhängt, die 2020 begann.
«Als Frau ist es beängstigend, dass jemand in meine Privatsphäre eindringt. Wenn ich private Fotos auf meinem Handy habe, könnte sie jemand veröffentlichen, um meinen Ruf zu schädigen und mich so zu schikanieren, sodass ich meinen Aktivismus einstellen muss», sagt Niraphorn Onnkhaow.
Da die NSO Group ihre Produkte ausschliesslich an Regierungen verkauft, und technisches Beweismaterial vorliegt, kann daraus geschlossen werden, dass ein oder mehrere staatliche Akteure Thailands in die Fälle verwickelt sind, in denen Pegasus eingesetzt wurde. Die thailändische Nationale Menschenrechtskommission teilt die Einschätzung, dass eine thailändische Regierungsstelle an der Verwendung der Spionagesoftware beteiligt war.
Patcharadanai Rawangsub, der sich als schwuler Mann identifiziert, war Mitglied von Talu Fah, einer pro-demokratischen Gruppe. Nachdem er erfahren hatte, dass seine Online-Aktivitäten überwacht wurden, befürchtete er, dass seine privaten Daten zu seiner Strafverfolgung verwendet werden könnten.
«Ins Gefängnis zu gehen, ist mein schlimmster Albtraum. Für schwule Männer und Transfrauen können thailändische Gefängnisse brutal sein, da sie mit grosser Wahrscheinlichkeit sexuell belästigt und angegriffen werden und Diskriminierungen ausgesetzt sind», sagt er.
Vielfältige Arten von Online-Schikane
Einige Aktivist*innen sahen sich Gewalt in Form von «Doxing» ausgesetzt – das bezeichnet die Veröffentlichung von persönlichen oder identifizierenden Dokumenten oder Details über eine Person im Internet ohne deren Zustimmung.
Amnesty International stellte fest, dass die digitale Gewalt eine abschreckende Wirkung auf viele Frauen und LGBTI-Aktivist*innen hat. Sie begannen, sich selbst zu zensieren und sich in einigen Fällen ganz aus der Menschenrechtsarbeit zurückzuziehen. Einige Aktivist*innen litten als Konsequenz unter schwerwiegenden psychischen Folgen, darunter Paranoia, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen.
Die thailändische Regierung leugnete jegliche Beteiligung an der gezielten digitalen Überwachung und Online-Belästigung von Frauen und LGBTI*-Aktivist*innen, zeigte sich aber nicht bereit, die in der Amnesty-Recherche aufgezeigten Fälle zu untersuchen.
Indem die thailändische Regierung es versäumt, sinnvolle Schritte zum Schutz von Aktivist*innen zu unternehmen, kommt sie ihrer Verantwortung aus den internationalen Menschenrechtsverträgen, denen Thailand beigetreten ist, nicht nach. Dazu gehört die Gewährleistung des Rechts auf Freiheit von geschlechtsspezifischer Gewalt, auf freie Meinungsäusserung, auf friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, auf Privatsphäre und auf einen wirksamen Rechtsbehelf.
Die NSO Group kommt ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nach internationalen Rechtsnormen ebenfalls nicht nach. Amnesty Internationals Schreiben an die NSO Group und ihr nahestehende Unternehmen mit Fragen nach dem Verkauf der Pegasus-Software, die bei neun der 40 befragten Personen zum Einsatz kam, blieben unbeantwortet.
Verbot von Spionagesoftware gefordert
Amnesty International fordert Thailand auf, hochinvasive Spionagesoftware zu verbieten und ein menschenrechtskonformes Regulierungssystem für andere Überwachungssoftwares einführen. Bis dahin sollte die thailändische Regierung Initiativen für ein weltweites Moratorium für den Verkauf, den Einsatz, den Export, die Weitergabe und die Unterstützung anderer Formen von Überwachungssoftware unterstützen.
Die NSO Group muss die Herstellung, den Verkauf, die Weitergabe, den Einsatz und die Unterstützung von Pegasus oder anderer ähnlicher hochgradig invasiver Spyware einstellen. Ausserdem muss das Unternehmen den Betroffenen rechtswidriger gezielter Überwachung durch Pegasus in Thailand angemessene Wiedergutmachung leisten.