Demonstration für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, das in dem europäischen Land vollständig verboten ist. © Stop Violencies
Demonstration für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, das in dem europäischen Land vollständig verboten ist. © Stop Violencies

Andorra Aktivistin vor Gericht, weil sie sich zum Abtreibungsverbot geäussert hat

4. Dezember 2023
Am 4. Dezember startet in Andorra der Prozess gegen Vanessa Mendoza Cortés. Die Aktivistin ist der Verleumdung angeklagt, nachdem sie bei einer Sitzung des Ausschusses der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) Bedenken gegen das totale Abtreibungsverbot in Andorra geäussert hatte.

Die Präsidentin von Stop Violence (Stop Violències), einer zivilgesellschaftlichen Organisation, hatte im Jahr 2019 vor einem Expert*innenausschuss der Vereinten Nationen über Frauenrechte in Andorra und konkret über das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gesprochen. Im Jahr 2020 erhob die Staatsanwaltschaft drei Strafanzeigen wegen Verleumdung gegen sie, doch nach einem internationalen Aufschrei wurden zwei der Anklagen, die mit Gefängnisstrafen verbunden waren, fallen gelassen. Derzeit wird sie wegen eines «Verbrechens gegen das Ansehen der Institutionen» angeklagt. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr eine Geldstrafe von 6000 Euro, weitere 6000 Euro Schadenersatz und ein sechsmonatiges Verbot, ein öffentliches Amt auszuüben.

«Dieser politisch motivierte Prozess ist der jüngste Versuch der andorranischen Behörden, die Kritik an den schädlichen Auswirkungen ihres totalen Abtreibungsverbots zum Schweigen zu bringen», sagte Monica Costa Riba, Senior Campaignerin von Amnesty International für Geschlechtergerechtigkeit in Europa. «Diese Strafverfolgung ist ein vorsätzlicher und schockierender Versuch, eine angesehene Menschenrechtsverteidigerin für ihre Teilnahme an einem UN-Treffen zu bestrafen».

Andorra ist das einzige Land in Europa mit einem totalen Abtreibungsverbot. Dies hat zur Folge, dass Menschen, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen, gezwungen sind, ins Ausland zu reisen, um die benötigte medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, was ihre Rechte verletzt und zusätzlichen Stress bereitet.

Bei Kritik drohen Klagen

«Schwangerschaftsabbruch ist ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung, und der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Menschenrecht», sagt Katrine Thomasen, stellvertretende Direktorin für Europa beim Center for Reproductive Rights. «Menschenrechtsverteidigerinnen wie Vanessa Mendoza Cortés, die sich für reproduktive Rechte einsetzen, sollten niemals Repressalien und anderen Formen der Einschüchterung ausgesetzt sein. Die Anklagen sollten fallen gelassen werden, und die andorranischen Behörden sollten den Repressalien gegen Menschenrechtsverteidiger*innenb, die mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten, ein Ende setzen.»

Amnesty International, das «Center for Reproductive Rights» und die Organisation «Women’s Link» sind zutiefst besorgt über die Bestimmungen des Strafgesetzbuches zur Verleumdung von staatlichen Institutionen und Staatsoberhäuptern, einschliesslich des Artikels, nach dem Vanessa Mendoza Cortés angeklagt wurde. «Die Strafverfolgung von Vanessa Mendoza Cortés zeigt, wie die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu Verletzungen der Rechte auf Information, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit führen und die öffentliche Debatte und die Kontrolle der Regierung einschränken kann», sagte Gema Fernández, geschäftsführende Anwältin von Women's Link.

Angesichts der schwerwiegenden menschenrechtlichen Bedenken gegen die langwierige Strafverfolgung von Vanessa Mendoza Cortés werden die beiden renommierte Menschenrechtsexpertinnen Patricia Schulz and Hélène Tigroudja als unabhängige Prozessbeobachterinnen an der Anhörung vom 4. Dezember teilnehmen und die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards im Gerichtsverfahren bewerten.

Patricia Schulz ist Expertin für internationales Menschenrechtsrecht und Gleichstellung. Von 1994 bis 2010 war sie Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweiz. Zwischen 2011 und 2018 war sie Mitglied des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau.

Dr. Hélène Tigroudja ist Professorin für Internationales Öffentliches Recht an der Universität Aix-Marseille, Hauser Global Professor an der New York University und Gastprofessorin an der Washington American University (Academy of Human Rights and Humanitarian Law). Seit 2019 ist sie Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses.