«Es ist schon paradox, eine Pressekonferenz zu verbieten, in der es darum gehen soll, dass kritische Stimmen vor den Europaspielen in Aserbaidschan systematisch zum Schweigen gebracht werden. Damit erreicht die Regierung in Aserbaidschan genau das Gegenteil: statt von den Menschenrechtsverletzungen im Land abzulenken, richtet sie den Fokus auf die eigenen verzweifelten Versuche, jede Kritik rund um die Europaspiele im Keim zu ersticken», sagt Denis Krivosheev, Direktor für Europa und Zentralasien bei Amnesty International.
Der Amnesty-Bericht «Azerbaijan: The Repression Games – The voices you won’t hear at the first European Games» belegt eindrücklich, wie Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten, Mitglieder der Opposition und Jugendaktivistinnen von «Pro Democracy» im vergangenen Jahr bedroht, verhaftet, angegriffen und gefoltert wurden. Das Vorgehen der Regierung gegen Regimekritiker wurde immer härter, je näher die Europaspiele rückten. Viele mussten das Land verlassen.
In Aserbaidschan sind mindestens 20 friedliche Gewissensgefangene in Haft, weil sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen haben. Eine der bekanntesten Regimekritikerinnen, die 60-jährige Leyla Yunus, sitzt seit einem Jahr ohne Urteil im Gefängnis, weil sie zu einem Boykott der Spiele aufgerufen hatte. Auch Yunus‘ Ehemann Arif ist in Haft. Beide sind gesundheitlich stark angeschlagen, sie dürfen untereinander keinen Kontakt haben. Weitere Aktivisten wurden in unfairen Gerichtsverfahren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. So zum Beispiel der Menschenrechtsanwalt Intigam Aliyev, der zahlreiche Fälle vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gebracht hatte, und nun wegen angeblicher Steuerhinterziehung und unlauterem Geschäftsgebahren für siebeneinhalb Jahre hinter Gitter muss.
«Die Olympische Charta sieht den Sport als Mittel zur Förderung einer harmonischen Gesellschaft und erkennt die Pressefreiheit und die menschliche Würde explizit an. Es ist mir ein Rätsel, wie diese hehren Ziele mit dem Vorgehen der Regierung, jegliche Kritik im Keim zu ersticken, in Einklang zu bringen sind», sagt Lisa Salza, bei Amnesty International Schweiz zuständig für Zentralasien.
Journalist sucht Schutz in Schweizer Botschaft
Als die Researcher von Amnesty International Aserbaidschan im März 2015 besuchten, fanden sie kaum Hinweise auf eine unabhängige Zivilgesellschaft. Kritische Stimmen sind effektiv zum Schweigen gebracht worden. Jene, die nicht in Polizeigewahrsam waren, sind aus dem Land geflohen oder schweigen aus Angst vor Repressalien. Auch Journalistinnen und Journalisten sind Opfer staatlicher Unterdrückung. Das zeigt unter anderem der Fall von Emin Huseynov: Der prominente Regimekritiker und Geschäftsleiter des Instituts für Pressefreiheit flüchtete im August 2014 in die Schweizer Botschaft. Er sollte aufgrund konstruierter Vorwürfe von Steuerhinterziehung verhaftet werden. Die Schweizer Botschaft in Baku gewährt ihm seither humanitären Schutz.
Einmalige Chance verpasst
«Die Austragung der Europaspiele in Aserbaidschan hätte eine einmalige Gelegenheit geboten, um auf Verbesserungsmöglichkeiten im Menschenrechtsbereich hinzuweisen. Doch das Europäische Olympische Komitee hat es verpasst, sich für die Einhaltung der Menschenrechte im Austragungsland auszusprechen. Dieses Stillschweigen hat dem Präsidenten den Weg geebnet, der kritischen Zivilgesellschaft das Leben auszuhauchen», kritisiert Lisa Salza.
Amnesty International ruft die aserbaidschanische Regierung dazu auf, alle Gewissensgefangenen freizulassen und das Recht auf Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu garantieren. Die internationale Gemeinschaft, dazu zählt das Europäische Olympische Komitee sowie die Regierungen der an den Spielen teilnehmenden Länder, sollte Aserbaidschan ebenfalls auffordern, die Menschenrechte in ihrem Land zu respektieren.
Petition und Video auf amnesty-action.org
Medienmitteilung veröffentlicht: London/Bern, 10. Juni 2015
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